Название | Der Wünscheerfüller |
---|---|
Автор произведения | Achim Albrecht |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783942672221 |
Es mag Sie überraschen, aber eine der ersten Maßnahmen, die ich traf, war, dass ich mich auf einer ambitionierten Abendschule anmeldete, um mein Abitur nachzumachen. Ich war volljährig, konnte den immensen Wert von Bildung sehr gut einschätzen und war der Hüter über einen Falschgeldschatz, der nur darauf wartete, von einem gebildeten jungen Herrn zum Einsatz gebracht zu werden. Außerdem hatte ich bei Besuchen von Spielhallen und Kasinos eine schöne Summe falscher Fünfziger unter die Leute gebracht, die nie beanstandet worden waren. Ehrlich gesagt war es mir trotz intensiven Studiums der Sicherheitsmerkmale der Scheine nicht gelungen, sie als Fälschungen zu identifizieren. Unter ultraviolettem Licht offenbarten sie Wasserzeichen und bunte Einsprengsel ebenso perfekt wie den Sicherheitsfaden mit dem aufgedruckten Wert des Scheins.
Letztlich war es mir einerlei, denn auf diese Art konnte ich sicher sein, dass auch andere Durchschnittsbürger dem schönen Schein nicht misstrauen würden. Zwischenzeitlich hatte ich meine Sozialstunden vollständig abgeleistet und den Führerschein gemacht. Meine heimliche Liebe gehörte allerdings den krachenden und ruckenden Gelenkbussen der städtischen Verkehrsbetriebe, die die Stadt mit einem dichten Netz an Servicelinien überzogen. Besonders angetan hatte es mir die Linie fünf, die von den mit Stacheldraht umzäunten Kasernen bis zum Bahnhof quer durch die Stadt fuhr. In dem Bus, der auf seinen Flanken ein uneingeschränktes Werbebekenntnis zu einer bestimmten Matratze abgab, stieg an der Haltestelle, die auch ich nahm, eine junge Frau zu, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, mich mit ihrem Lächeln zu verzaubern.
Sie haben mich natürlich durchschaut. Eine solche Schmonzette würde sich in meinem Leben niemals ereignen. Weder war das Mädchen mit den Zöpfen eine niedere Dienstmagd, die in Wirklichkeit von einem bösen König ausgesetzt und von armen Leuten großgezogen worden war, noch war ich ein tugendhafter Prinz, der sich auf dem Weg in die Schlacht in die unbekannte Schöne unsterblich verliebte und diese nach etlichen voraussehbaren Intrigen und Verwicklungen ehelichte, worauf sie glücklich waren bis an ihr Lebensende.
Nun ja, selbstverständlich war es nicht so. Ein bisschen allerdings ähnelte unsere erste Begegnung dem typischen Märchenschema. Zunächst – das Mädchen hatte tatsächlich Zöpfe. Es waren richtig schwere Flechtzöpfe, die von einer Unzahl Spangen und Bändern in Form gehalten wurden. Das Mädchen war auch ärmlich gekleidet. Ihre Strickjacke schien schon vor langer Zeit von Hand gestrickt worden zu sein und bewegte sich in Erhaltungszustand und Design außerhalb jeglicher Bewertungskriterien. Die Ballerinas an den Füßen drohten, sich in dem Schneematsch aufzulösen. Die Arme musste völlig blau gefroren sein. Sie hatte ein liebreizendes Gesicht mit Grübchen in den Wangen und riesigen dunklen Augen unter dunklen Haaren. Jawohl, ich scheue mich nicht die Vokabel „liebreizend“ zu gebrauchen. Man sollte ruhig altmodisch sein, wenn es angebracht ist. Hier war es angebracht.
Mit war nicht entgangen, dass sie ansonsten eher untersetzt und stabil gebaut war, und wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, ihre Mutter zu begutachten, wäre ich sicher zu dem Ergebnis gekommen, dass junge Frauen wie sie bis zum Alter von Ende zwanzig zu grazilen Schönheiten erblühten, dann eine kurze Üppigkeitsphase hinter sich brachten, die mit dem Gebären von Kindern und der Ausprägung eines Doppelkinns in Zusammenhang stand und im Alter von gerade einmal Anfang dreißig rasch verwelkten und zu unansehnlichen Muttertieren mit Hängebrüsten und kapitalen Bäuchen verkamen. Die einzige Kompensation für diese unausweichliche Mutation war, dass die Frauen in diesem Stadium kochen konnten und den Haushalt so rigoros an sich rissen, dass die Männer ihr Heil im Müßiggang suchten.
Ich hingegen würde für lange Zeit der begehrte Prinz bleiben und dann zu einem Hagestolz an Aristokraten reifen, der sich vom Alter den aufrechten Gang nicht nehmen ließ. Der rotznäsige kleine Junge mit dem blassen Gesicht an der Hand des Mädchens holte mich in die Wirklichkeit zurück. Zögerlich hob er das Pappschild an, das er an den Kanten festhielt, als sei es sein kostbarster Besitz. „Wir haben Hunger“ stand darauf. Noch ehe ich reagieren konnte, drückte das Mädchen das Schild hastig herunter. Der Kleine fror. Er war nicht viel älter als fünf Jahre. Ein feister Mensch, der auf seinem Kugelkopf einen Jägerhut von der Sorte trug, von der man meinte, sie existiere nicht wirklich in freier Wildbahn, sondern sei eine Erfindung der Medien, um die Biedermänner von den Normalos unterscheiden zu können, giftete etwas von Ausländerpack und Hungerleidern, die man in diesem Land auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung beherberge. Das Mädchen duckte sich zur Seite, als seien die Worte böse Flüche, die verletzen und entstellen konnten, wenn sie trafen.
Zivilcourage ist nicht die Sache von Businsassen. Businsassen schauen bei Beleidigungen und tätlichen Angriffen gerne zur Seite, auch wenn es dort gar nichts zu sehen gibt. Sie stehen in der Hierarchie unter den Autofahrern und haben das Duckmäusertum im Blut. Sie denken ökologisch und gehören den unteren bis mittleren Einkommensstufen an. Businsassen halten sich aus Streitigkeiten heraus und hoffen, dass jemand anders eingreift. Alle starren auf den Busfahrer und der starrt auf die Straße. Er erbringt eine Beförderungsleistung und hat sich für einen Hungerlohn die letzten zwanzig Jahre im Dienste der Kommune einen Quadratarsch in unansehnlich grauen Stoffhosen ersessen und seine Speckfalten in einen formlosen blauen Pullunder ergossen. Alles, was er zu sagen hat, steht auf den großzügig verteilten Klebeschildern. „Busfahrer während der Fahrt nicht ansprechen“ ist sein erklärtes Lieblingsschild.
Mit Sitzbänken im Bus ist es wie mit öffentlichen Toiletten. Man konnte nie wissen, wer auf dem Nachbarsitz saß. In Toiletten wird das von den meisten Leuten berücksichtigt und man findet selten jemanden, der ungehemmt furzt und singt, nur weil das der Stil seiner Verrichtung ist. Sie wissen doch selbst wie das ist. Man gibt allerhöchstens schleichende, unterdrückte Geräusche von sich, die wie ein Kolibri davon flattern oder sich anhören, als sei man auf ein kleines Tier getreten. Bei der geringsten Befürchtung man könne die Darmtrompete entfesseln, greift man zu ausgefeilten Ablenkungsmanövern, wie dem Geklapper mit einem Schlüsselbund oder einem geräuschvollen Schneuzen, das die peinlichen Untertöne überlagert.
Der Ballonkopf vor mir verstieß vorsätzlich gegen die Konvention, in öffentlichen Verkehrsmitteln nur halblaute Gespräche zu führen, die den Intimradius nicht verließen. Korrekt ausgedrückt führte er kein Gespräch, weil es ihm an einem Dialogpartner mangelte. Er räsonierte, und das mittlerweile ohne Unterlass und in einer Lautstärke, die den gesamten Bus beschallte. Er wollte gehört werden und das betretene Schweigen der anderen bestärkte ihn. Mein Motto war, dass der, der in den Wald ruft, auch das Echo vertragen muss.
Ich lächelte verbindlich, als ich ihm mit spitzen Fingern den Jägerhut vom Kopf nahm. Zwischen dichten grauen Stoppeln schimmerte die Kopfhaut rosig wie die eines Babys. Der Mann hatte in letzter Zeit nicht viel Sonne abbekommen. Mit schlabberigen Hängewangen schaute er zu mir auf und streckte instinktiv die Hände nach dem Hut aus. Als ich die Literflasche Fanta über seinen Schädel goss, reagierte er zunächst nicht. Ich liebe Fanta wegen seines künstlichen Sonnengeschmacks und würde sie niemals weggießen, aber man muss in besonderen Situationen Opfer bringen. Dies war eine besondere Situation.
Ich goss langsam und mit Bedacht. Das Gluckern und Zischen des Getränks ging einher mit einem sanft aufsteigenden Orangenaroma, das in den hinteren Sitzreihen die Oberhand über die Abgasdünste gewann. Gibt es einen friedlicheren Weg, einen rassistischen Monolog zu beenden? Ich glaube nicht. Man konnte nur Vermutungen anstellen, ob es die zuckrige Brause war, die den Lodenmantel des Ballonkopfes und alles, was er darunter trug,