Der Wünscheerfüller. Achim Albrecht

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Название Der Wünscheerfüller
Автор произведения Achim Albrecht
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942672221



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handele sich um verkappte Geburtszangen.

      So sehr ich das Besteck verachtete, so sehr hatte es mir der Koffer angetan. Er war ein kleines Schmuckstück mit einem Antlitz aus Krokoimitat und schwungvoll geformten Messingbeschlägen, die dem Erscheinungsbild den letzten Pfiff gaben. Wenn er sein Maul aufriss, tat er es mit einem samtrot ausgeschlagenen Schlund, der mit Besteckfächern bestückt war, die den vorgesehenen Inhalt passgenau aufnahmen. Die Fächer konnte ich für meine Zwecke nicht brauchen, denn ich benötigte einen angemessenen Aufbewahrungsort für meine Messersammlung und weitere Kleinigkeiten.

      Wenn, wie in meinem Fall, ein feines Messer Schicksal spielt und man von einem Hodenquetscher in eine längere Rekonvaleszenzphase geschickt wird, wo Zeit und Schmerz im Überfluss zu haben sind, entwickelt man auch zu leblosen Gegenständen eine starke Bindung. Die Damaszener Klinge war mir förmlich aufgedrängt worden und erschien mir anfangs wie ein Schreckgespenst, mit dem ich möglichst nie mehr in Berührung kommen wollte. Sie war Albtraummaterial und selbst in Sachen Bert hatte ich komplizierte Umwege gewählt, anstatt über eine simple Messerlösung nachzudenken.

      Sie wissen es selbst – der Mensch ändert sich. Zeit überwindet alles, auch Abneigungen. Genau wie Sie hatte ich in der populärwissenschaftlichen Literatur über Ängste und Verdrängungsmechanismen gelesen. Die Thesen der Konfrontationstheorie erschienen mir einleuchtend und gaben den Ausschlag, mich mit Messern zu beschäftigen. Sie glauben gar nicht, wie befreiend es ist, wenn man sein persönliches Tabuobjekt zum ersten Mal in den Händen hält und mit dem Daumen die Schärfe der Klinge prüft.

      Ich war so vorgegangen, wie Sie es von mir erwarten – generalstabsmäßig. Im Internet hatte ich Schneidwaren aus aller Welt identifiziert, ihre Machart und Verwendungsweise studiert und mich ihren blanken, seelenlosen Blicken und ihren Raubtiergebissen ausgeliefert. Sie erschienen niemals harmlos oder sogar dekorativ, wie Pistolen mit ihren plumpen, verkleideten Körpern, die sich gerne einen spielzeugartigen Anstrich geben, bis die Kugel das Leben ausgelöscht, das bis zuletzt die Hoffnung hatte zu entkommen. Ich stimme in keinem Fall mit der häufig zu lesenden Charakterisierung überein, dass Handfeuerwaffen Furcht und Schrecken verbreiten, wo immer sie sich zeigen. Ganz im Gegenteil. In Katalogen und auf Messen ziehen sie bewundernde Blicke auf sich. Es sind stille und schwerfällige, manchmal auch dekorative Gesellen, die Macht verkörpern und zum willfährigen Werkzeug ihres Besitzers werden.

      Anders scheint es mir mit Messern zu sein. Niemals kommt man hinter ihr glattgesichtiges Geheimnis. Es gibt sie in allen Formen und Schliffen und immer spiegeln sie nur das wider, was von ihrer blanken Oberfläche reflektiert wird. Sie geben nichts von sich preis, verharren ohne jede Gefühlsregung, obwohl sie bereits blankgezogen haben und ihre hakennasige, spitze oder geschwungene Schärfe, die jeden Lebensfaden mit geringer Anstrengung zu durchtrennen weiß, entblößt ihre Killerseele. Sie sind furchterregend und ohne Mitleid.

      Ich kann mir schon denken, dass Sie diesen philosophischen Exkurs für maßlos übertrieben halten. Mein neuer Deutschlehrer bezeichnet meine weitschweifigen Ausflüge gerne als interessante Miniaturen, die sich jedoch mehr an der Sache orientieren müssten. Ich fragte ihn, ob er Hölderlin den gleichen Rat erteilt hätte. Darauf wurde er unverschämt und bezichtigte mich der Anmaßung. Der Unterschied zwischen mir und Hölderlin sei so gewaltig, dass ich den Namen des Dichterfürsten noch nicht einmal im Munde führen dürfe. Ich hatte jede Menge geistreicher Erwiderungen auf der Zunge und den Messerkoffer unter meinem Schreibtisch. Beide Waffengattungen setzte ich nicht ein und begnügte mich mit der Erkenntnis, dass getroffene Hunde bellen.

      Tatsache ist doch, dass ich mich in der Gegenwart von Messern beklommen und merkwürdig schutzlos fühlte und das wollte ich wiedergeben. Sie sollten dankbar sein, dass wir hier einen derartig offenen und vertrauensvollen Dialog führen, der nicht durch unnötigen Spott und Spiegelfechtereien vergiftet werden soll. Aber wenn Sie unbedingt darauf bestehen, dass ich es erwähne. Bitte sehr. Natürlich hatte ich keine Scheu vor Brot- und Gemüsemessern in ihrem Alltagsgebrauch. Ich war vielleicht traumatisiert, aber nicht therapiebedürftig. Um es ganz korrekt auszudrücken – das Sushi-Wasabi Kochmesser mit einseitig geschliffener Klinge, das Solinger Schälmesser mit gebogener Klinge und glatter Wate, die Gemüse-, Brot- und Filiermesser in all ihren Ausführungen machten mir keine Bange. Bei ihnen lag der Gebrauch näher als der Missbrauch. Es waren die martialisch aufgemachten Rambogesellen, die mir Gänsehaut verursachten. Aber genug davon. Überwunden ist überwunden. Und das hatte ich so gründlich getan, wie es nur Phobiker vermögen.

      Ich hatte die tödlichen Stähle in meinen Händen gewogen, ihrer verschlagenen Glätte Auge in Auge standgehalten und ihre Formen mit vorsichtigen Fingern liebkost, wie ein Mensch, der zum ersten Mal in seinem Leben eine Schlange in der Hand hält und unversehrt bleibt, weil er sich artgerecht verhält. Es war ein großer Sieg für mich und ein blendendes Geschäft für die Versandhäuser. Man kann sagen, dass ich mit der Zeit ein Kenner wurde, der mit Bedacht seine Auswahl traf und diese in dem Besteckkoffer parkte.

      Als ich mit meiner Ausrüstung den Bus verlassen hatte, war die junge Frau mit dem kleinen Jungen verschwunden. Ich hatte nichts anderes erwartet. Genau genommen war es die falsche Zeit für Zivilcourage und zart aufkeimende Gefühle. Es war auch die falsche Zeit für Zeugen. Es war Dienstag und Zeit zu handeln. Ich zog den Schal, den ich um mein halbes Gesicht geschlungen hatte, enger. Die Baseballkappe wollte nicht so recht zu der teuren Lederjacke passen, die mein letztes Geschenk an mich war. Ich platzierte mich neben dem ausladenden Zeitschriftenständer eines Kiosks, dessen verwitterte Holzfassade mit mehreren Lagen Graffiti bedeckt war. Zigarettenstummel und Urinstrahlen hatten die unansehnlichen Schneehaufen mit ihren unverkennbaren Markenzeichen versehen. Ein zäher Nebel, den man fast mit Händen greifen konnte, senkte sich, drohte den Tag auszulöschen und dämpfte die Geräuschkulisse zu einem einförmigen Rauschen. Den ganzen Tag war der Himmel zinngrau gewesen und schien neuen Schnee zu versprechen, der nicht fallen wollte.

      Ich holte mir eine neue Fanta. Observationen machen durstig. Fragen Sie mich nicht, warum. In Filmen haben die Detektive entweder Harndrang oder maulen darüber, dass nichts Essbares in der Nähe ist. Allenfalls trinken sie Kaffee aus einem Styroporbecher, obwohl keine Notwendigkeit besteht, sich warm zu halten. Scheinbar sind diese Widersprüche noch niemandem aufgefallen. Ich jedenfalls fror gepflegt vor mich hin und trank eiskalte Fanta, weil sie nur so schmeckt und den Durst löscht. Die roten Lichter des „Palais d’Amour“ strengten sich angesichts des wattigen Nebels an, wenigstens einen Teil ihrer marktschreierischen Werbewirksamkeit in die Umgebung zu tragen. Es war abzusehen, dass sie den Kampf verlieren würden. Ich hob meinen Koffer prüfend an und ließ die Verschlüsse aufschnappen. Alles war an seinem Platz. Ich urinierte hinter die Bude. Außer einem aufsässig schnüffelnden Pudel nahm niemand Notiz von mir. Es war zu kalt und zu neblig, um sich um die schemenhaften Figuren auf der Straße Gedanken zu machen. Die Witterung war perfekt. Perfekt für meine Zwecke.

      Mein Metzger hieß übrigens Benedikt, was beweist, dass seine Eltern eine Kirchenkarriere statt einer Metzgerlehre für ihn im Sinn hatten. Benedikt machte auch heute keine Ausnahme von seinem gewohnten Tun. Seitensprung nach dem Kalender also. Wie praktisch, wenn man sein Leben so prächtig im Griff hat. Es mochte das Risiko einer vorzeitigen Entdeckung leicht erhöhen, aber der Nebel, der zäh wie Graupensuppe geworden war, zwang mich ganz nahe zu rücken. Die Menschen tappten wie Zombies umher und es hätte nicht viel gefehlt, dass sie mit den Händen ruderten, um die weißen Schwaden zu zerteilen. Autoabgase krochen über die Gehsteige und suchten vergeblich nach Abzugsmöglichkeiten. Der Wetterbericht hatte von vereinzelten Hochnebelfeldern gesprochen und wieder einmal schamlos danebengelegen.

      Trotz aller Aufmerksamkeit hätte ich Benedikt fast verpasst. Sie würden staunen, wie viele vermummte Männer mit bauchigen Taschen bei nebligem Winterwetter unterwegs sind. Sie schlurfen mit gesenkten Köpfen, die sie gegen den Wind stemmen und sehen aus wie gestopfte Fleischwürste mit Hüten, Mützen und Kappen in einigen Rollen dunkler Textilien und festem Schuhwerk. Wenn man wie ich in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs steht, macht das die Sache nicht leichter. Jeder hätte Benedikt sein können, aber zum Glück besuchte nicht jeder das „Palais d’Amour“.

      Der Mann machte wirklich keine Umschweife. Er war ein Anhänger der direkten Aktion. Bis auf seine Seitensprünge war er ein Mann meines Geschmacks. Er musste so dicht an mir vorübergegangen sein, dass ich