Der Wünscheerfüller. Achim Albrecht

Читать онлайн.
Название Der Wünscheerfüller
Автор произведения Achim Albrecht
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942672221



Скачать книгу

ich das Messer mit einem Tuch so gut es ging abwischte, stellte ich Frage Nummer eins noch einmal. Meiner Stimme verlieh ich den fröhlichsten, unaufdringlichsten Klang, dessen ich unter der Maske fähig war. Ich wollte mir nicht nachsagen lassen, dass ich meine Gesprächspartner einschüchterte oder demütigte. Die Augen meines Gegenübers versuchten noch immer den Schaden zu taxieren, den die Klinge angerichtet hatte. Langsam hob sich das Kinn von der Brust und der Kopf schüttelte sich verneinend. Der Wattebart war in den unteren Regionen verfilzt und rötlich eingefärbt. Auch die zweite Frage wurde verneint. Ich war irritiert. Ein blutender, gefesselter Fettsack von Weihnachtsmann mit einem schokoladeverklebten Penis hatte es geschafft, mich dermaßen zu irritiert, dass ich in einem Impuls fast die Flucht ergriffen hätte. Sie sehen, ich beschönige nichts. Den listigen Insektenaugen des Weihnachtsmannes konnte ich das Vergnügen förmlich ansehen, das ich ihnen mit meinem Rückzug ins Badezimmer bereitete, wo mich Nancy Reagan streng aus dem Spiegel anblickte und mich einen Narren schalt.

      Es konnte nicht wirklich sein, dass ich den Falschen erwischt hatte? Bevor ich dem Weihnachtsmann die Verkleidung herunterreißen und ihn enttarnen konnte, kam die Lösung wie von selbst. Der Kerl mit der fehlenden Brustwarze produzierte eine Serie von Brunftlauten und wackelte mit den Fingern, als ob er ein Klavierkonzert geben wolle. Ich war schon immer gut bei Ratespielen. Pantomimen, die einen Begriff vorspielten, der erraten werden musste, waren eine meiner liebsten Herausforderungen und auch der Weihnachtsmann schien dies zu wissen. Anscheinend befürchtete er drastische Sanktionen und legte es gar nicht darauf an, dass ich ihm das Klebeband über dem Mund entfernte. Wir kamen auch so zurecht und nach wenigen Fehlversuchen hielt ich ihm einen kleinen Schreibblock vor die Finger. Mit einem Bleistift krakelte er mühsam zwei Worte. Es waren die Worte „Fleischer“ und „Nikolaus“. Ich verstand augenblicklich und empfand so etwas wie Bewunderung für den Mann. Er hatte Chuzpe. Was er sagen wollte war, dass er kein Metzger, sondern ein Fleischer war und kein Weihnachtsmann, sondern ein Nikolaus.

      Auch wenn die Erleichterung, dass ich das richtige Pärchen erwischt hatte, vorherrschend war, muss ich doch zugestehen, dass mich der Mann verblüffte. Ich war mir nicht sicher, ob er stur, aufsässig, tollkühn oder dumm war.

      Ich könnte es an der Stelle mit dieser Feststellung bewenden lassen, aber ich will offen mit Ihnen sein. Wahrscheinlich war mir ein taktischer Fehler unterlaufen, den ich durch doppelte Entschlossenheit beim Vorgehen wettmachen musste. In meinem Bemühen, den Mann zu beruhigen und zur Kooperation zu überreden, versicherte ich ihm mehrfach, dass ich ihm nicht nach dem Leben trachtete. Ich erzählte keine Lüge, sonst wäre die Scharade mit der Unkenntlichmachung durch die Gummimaske, unter der mein Gesicht in salzigem Schweiß ertrank, unnötiges Beiwerk gewesen. Anscheinend hatte er diese Zusicherung zum Anlass genommen, mir den größtmöglichen Widerstand zu bieten, um mich in meinem Tun zu entmutigen.

      Und wie bricht man den hartnäckigsten Widerstand, frage ich Sie? Ich sehe, Sie stimmen mir zu. Das ist also abgemacht. Und genauso verfuhr ich. Ohne mich im Geringsten auf die Wortklaubereien des Mannes einzulassen, konfrontierte ich ihn mit seinen grässlichen Verfehlungen, deren er sich seiner treu sorgenden Frau Susi gegenüber schuldig gemacht hatte. Ich konnte sehen, dass meine Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. Er schluckte mehrfach krampfhaft, als müsse er einen unverdaulichen Brocken die Kehle hinunterwürgen und schloss schuldbewusst die Augen. Es waren die gleichen Augen, die mich zuvor so unverschämt durchbohrt hatten.

      Ich fragte ihn nach den schmählichen E-Mails, die er mit seinem Lustknaben ausgetauscht hatte, dem die Lust am Zappeln mittlerweile vergangen zu sein schien. Ich fragte ihn nach seinem Lieblingsfinger, mit dem er seinem Gespielen anscheinend fortwährend Vergnügen bereitete und registrierte mit klammheimlicher Freude, wie er die Hände zu Fäusten ballte und alle Finger in die Handflächen vergrub, wie Küken, die Schutz unter dem Gefieder der Mutter suchen. Dann zeigte ich ihm das Ausbeinmesser mit der charakteristisch gebogenen Klinge zum Auslösen von Knochen. Der Mann kannte sich aus. Er war Metzger. Verzeihung, auch in dieser Phase gesteigerter Erregung möchte ich Benedikt gerecht werden und mich gerne korrigieren. Er war Fleischer.

      Der Effekt meiner Vorführung und der Versicherung, dass er nur einen Finger einbüßen würde, den bösen Finger zumal, führte dazu, dass er sich mit den gutturalen Lauten, dem Kopfwerfen und dem Ballen der Fäuste zu neuen Höhen aufschwang. In einem spielerischen Tonfall hatte ich ihm auseinandergesetzt, welchen seiner Finger ich im Verdacht hatte. Dass er Rechtshänder war, hatte er mit dem Hantieren der Tasche zur Genüge bewiesen. Daumen, Ringfinger und kleiner Finger schieden teils mangels Beweglichkeit, teils mangels Kraft und Geschicklichkeit für solch intime Tätigkeiten aus. Blieben der Zeigefinger und der Mittelfinger und damit die üblichen Verdächtigen. Wäre es um die manuelle Befriedigung einer Frau gegangen, deren natürlicher Zugang mehr Kombinationsmöglichkeiten und eine Zwei- oder gar Dreifingerlösung zuließ, hätte ich an dieser Stelle ein Problem gehabt. Nicht so bei den beiden Herren mit dem Schokoladenfetisch. Ich war mir ganz sicher. Es musste der kräftigere und durchsetzungsstärkere Mittelfinger sein, der vielleicht etwas weniger Tastgefühl aufbrachte als sein Kollege, dafür aber die von einem Ringmuskel bewachte Pforte mit Überzeugungskraft zu überwinden vermochte. Sie müssen sich vorstellen, dass es bei den beiden nicht um eine medizinisch indizierte Prostata-Untersuchung ging, sondern um einen Kreuzzug in Abgründe, die ansonsten nur Proktologen interessierten. Derart in meiner Überzeugung gefestigt, musste ich den Nikolaus nur noch dazu bringen, seine rechte Hand zu öffnen. Und hier hatte ich meinen Geistesblitz.

      Mit halb abgewandtem Gesicht sprühte ich Benedikt, dem Fleischer, eine gehörige Portion Pfefferspray in die Augen. Sicher, ich folgte nicht korrekt der Gebrauchsanweisung und hielt den empfohlenen Abstand nicht ein. Der Zweck heiligt die Mittel, konstatiert ein viel gebrauchtes Sprichwort und hebt dabei auf die Effizienz einer Aktion als primäres Beurteilungskriterium ab. Sie können raten, wessen Lieblingssprichwort das ist. Wurde es besonders gerne von Mahatma Gandhi oder von Bert, dem zu Grillkohle verbrannten Boxtrainer, im Mund geführt? Genau wie Sie tendiere ich zu Bert. Es war das Klügste, was er je von sich gegeben hatte.

      Die Wirkung war enorm. Der Kopf zuckte zurück, als sei er von einer Keule getroffen worden und gleichzeitig mit dem Einsetzen eines anschwellenden Heultons spreizten sich die Hände in dem vergeblichen Versuch, sich loszureißen und den geblendeten Augen zu Hilfe zu kommen. Selbst meine Augen begannen leicht zu tränen und fast hätte ich den Moment verpasst, mir wie ein lauerndes Raubtier den besagten Mittelfinger zu greifen und mit alle Kraft nach hinten zu drücken. Dass bei solchen Brachialakten Sehnen reißen und Knochen brechen können, ist selbstredend. Ich hatte vorher keine Ahnung, dass Finger bei gehöriger Überdehnung so merkwürdig entwurzelt über den Handrücken baumeln können. Im Prinzip betrachtete ich es als Arbeitserleichterung, denn erstens war ich nicht derjenige, der mit dem ganzen Widerstandsmist angefangen hatte und zweitens hatte ich mehr als genug damit zu tun, dass Schokopenis wie ein Irrwisch samt Stuhl in der Gegend herumschleuderte und sich wahrscheinlich noch aus dem Fenster torpediert hätte, wenn ich mich nicht mit vollem Körpereinsatz auf ihn geworfen hätte.

      Schwer atmend und einigermaßen angewidert hatte ich mir einen ordentlichen Kopfstoß und Schokoladenflecke auf der Lederjacke eingehandelt. Ich muss sagen, dass ich nicht schlecht Lust hatte, dem opponierenden Fleischer in die Weichteile zu treten. Ich sah aus zwei Gründen davon ab. Zum einen, weil Rachegefühle kein guter Ratgeber sind und man gut daran tut, im Moment der höchsten Erregung Milde walten zu lassen, zum anderen, weil ich dann mit Sicherheit die Schokoflecke auch an den Schuhen gehabt hätte. Stattdessen hüllte ich mich in ein Ersatzlaken aus dem Schrank und begann ihm den Finger zu amputieren.

      Glauben Sie nicht, dass ich einfach blindlings darauf lossäbelte wie ein Anfänger. Ich hatte mich im Praxislexikon über das Thema „Amputationen von Gliedmaßen“ mit dem Untertitel „Finger“ kundig gemacht und wusste die Basics über die richtigen Einschnitte, das Zurückziehen des Muskels und das Durchtrennen der Knochen am Knorpelgewebe. Als Zugabe konnte man mit einer Aderpresse die Blutung kontrollieren und den offenen Stumpf so verbinden, dass keine Infektion drohte und der Abfluss von Flüssigkeiten gewährleistet blieb. Soweit die Theorie.

      Sicher kennen Sie auch diese Filme, in denen sich japanische Yakuza in einer Ergebenheitsgeste gegenüber ihrem Anführer ein Fingerglied abtrennen und anschließend mit steinerner Miene und im Schneidersitz einer Ansprache folgen. Schon