Cowboys & Indies. Gareth Murphy

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Название Cowboys & Indies
Автор произведения Gareth Murphy
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862871612



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wie es sich Hammond immer vorgestellt hatte.

      Als er 1935 wieder einmal nach London fuhr, hatte er diverse Jazz-Perlen im Koffer, die er im Lauf des vergangenen Jahres produziert hatte. Unter ihnen waren zwei noch unveröffentlichte Testpressungen auf dem Brunswick-Label, auf denen Billie Holiday mit dem Teddy Wilson Orchestra sang. Wie bereits »What a Little Moonlight Can Do« und »Miss Brown to You« ahnen ließen, entwickelte sich zwischen Wilson und Holiday eine musikalische Chemie, die den Beginn einer langen Zusammenarbeit dokumentierten. Insgesamt 91 Tracks nahm man zusammen auf, darunter die meisten ihrer besten frühen Glanztaten.

      Hammond verließ London mit einem neuen Vertrag, doch statt nach New York zurückzukehren, erfüllte er sich einen lebenslangen Traum und besuchte Moskau. Durch familiäre Kontakte lernte er den Regisseur Sergej Eisenstein kennen, der gerade im Begriff war, einen Film über die »Kulaks« zu drehen – reiche Bauern, die sich der Bewirtschaftung durch kommunistische Kolchosen widersetzten. Als er den Filmset besuchte, wollte er seinen Augen nicht trauen, dass man eine ganze Farm mit dazugehörigem Feld in einer hellerleuchteten Flugzeughalle nachgebaut hatte. Eisenstein führte Hammond durch Moskau und verriet dabei auch, dass er vom Kommunismus nicht mehr überzeugt sei. Gerade als Hammond Moskau wieder verlassen wollte, entschloss sich Stalin, seinen Propaganda-Krieg gegen die »Kulaks« zu deeskalieren – und ordnete das Ende der Dreharbeiten an. Hammond, inzwischen an Windpocken erkrankt, fuhr zurück nach New York in dem Wissen, dass das sozialistische Experiment in Russland gescheitert war.

      Wieder zu Hause, trat er dem Vorstand der Bürgerrechtsbewegung NAACP bei und stolperte über seine nächste Entde­ckung. Während er die Frequenzen seines Autoradios absuchte, stieß er auf einen neuen, experimentierfreudigen Sender aus Kansas City, der das Live-Konzert eines Count Basie und seiner Band übertrug. Auch wenn die Musik von einem lauten Knistern übertönt wurde, so setzte sich Hammond doch allabendlich in sein Auto und wollte seinen Ohren nicht trauen, wie modern dieser Jazz aus Kansas City klang. Es war vom Basie-Stil so angetan, dass er sogar wieder zum Stift griff und im Jazz-Magazin Down Beat über ihn schrieb.

      Als seine Neugier zu groß wurde, fuhr er nach Kansas City und besuchte den »Reno Club« – einen versifften Schuppen, der nach dem sogenannten »Spook Dances«-Prinzip funktionierte (ein »spook« war ein Gast, der am Trinkgeld knauserte): die ganze Nacht Musik, Bier für fünf Cent, Hot Dogs für zehn und dazu hausgemachter Whiskey. Hinter Basies Band gab es ein Fenster, durch das mysteriöse Deals – vermutlich mit Marihuana – getätigt wurden. Der ganze Ort war surreal, aber so war auch die Musik. Hammond war vor allem fasziniert von dem unablässig grinsenden Drummer Jo Jones, der mit einem halb-offenen Hi-Hat spielte und dafür eine ganz eigene Technik entwickelt hatte. Die Musik hatte Luft zum Atmen, was den Soli einen faszinierenden flow verlieh. Für Hammond war dieser Sound ein Blick in die Zukunft.

      Als er sich bei Basie vorstellte, musste er zunächst aber eine bittere Pille schlucken: Jack Kapp, der Hammonds Artikel in Down Beat aufmerksam gelesen hatte, war sich gerade mit Basie handelseinig geworden. Es war ein katastrophaler Deal mit einer dreijährigen Laufzeit, der jährlich 24 Aufnahmen beinhaltete. Dafür erhielt Basie eine jährliche Pauschale von 750 Dollar – also 31 Dollar pro Track –, die er aber mit neun Musikern zu teilen hatte. Basie war gar nicht aufgefallen, dass in dem Vertrag von Tantiemen überhaupt keine Rede war.

      Am nächsten Tag reichte Hammond bei der Musiker-Ge­werkschaft Beschwerde ein, konnte aber nur eine marginale Vertragskorrektur herausholen: Die Aufnahmesession wurden nun zumindest nach den Tagessätzen abgerechnet, die bei Gewerkschaftsmitgliedern üblich waren. Er überzeugte allerdings Basies Agenten Willard Alexander davon, Basie nicht länger in Kansas schmoren zu lassen, sondern ihn auf eine landesweite Tournee durch die großen Hotels zu schicken.

      Basies Aufnahmen waren umgehend ein Hit – nicht zuletzt dank des explodierenden Jukebox-Marktes. Gerade für die Bars, in denen die Jukeboxen bevorzugt standen, war Basies mitreißender Swing die optimale Musik. ARC hatte damit begonnen, über ihre Tochterfirma Vocalion 19-Cent-Platten zu produzieren, die nur an Jukebox-Vertriebe geliefert wurden. Vocalion griff dazu auf eine minderwertige Schellackmischung zurück, um Decca Paroli zu bieten, die sogar mit 10-Cent-Platten experimentierten. Die Billigprodukte hatten indes einen Pferdefuß: Handelte es sich um gefragte und viel gespielte Hits, betrug die Lebensdauer dieser Platten gerade einmal drei Tage.

      Von den Dumping-Methoden schockiert, schrieb Hammond 1937 einen Artikel, der in der kommunistischen Zeitschrift New Masses unter dem Pseudonym Henry Johnson erschien. Er nahm dort vor allem Deccas zweifelhafte Methoden unter die Lupe und enthüllte etwa, dass Jack Kapp einen privaten Musikverlag besitze, der Fremd-Kompositionen pauschal aufkaufe und sogar ein Copyright auf den Ausdruck »Boogie Woogie« angemeldet habe. Auf diese Weise konnte er Komponisten, die das Wort im Text oder Titel benutzten, ungeniert zur Kasse bitten.

      Nachdem man ihm mit einer Schadensersatzklage in Höhe von 100000 Dollar gedroht hatte, besuchte Hammond die Decca-Büros – den Basie-Vertrag und andere Beweise für krasse Unregelmäßigkeiten in der Tasche. »Jack, Sie werden eine Menge Fragen beantworten müssen, wenn Sie mich vor Gericht zerren wollen«, rief Hammond. Edward Lewis, der den Wortwechsel aus seinem benachbarten Büro verfolgt hatte, kam hinüber, hörte sich Hammonds Vorwürfe an und wandte sich dann an Kapp: »Jack, wenn du den Fall auf eigene Kappe ausfechten willst, habe ich keine Einwände. Aber ich werde es nicht erlauben, dass sich Decca Records der Klage anschließt.«

      Hammond ließ nicht locker und schrieb eine Reportage über die katastrophalen Verhältnisse, die er in den Fertigungsstätten der großen Plattenfirmen angetroffen habe. Die Columbia-Fabrik in Bridgeport/Connecticut, die ebenfalls zum ARC-Konglomerat gehörte, sei ein glühend heißes, verrußtes Höllenloch, in dem man kaum atmen könne. Es gebe allein 14 Verstöße gegen den staatlichen Gesundheitsschutz – und die Arbeiter würden mit 16 Dollar die Woche abgespeist, um unter diesen Bedingungen zu schuften. »Es ist nicht verwunderlich«, schrieb er weiter, »dass die dort gepressten Platten so viel schlechter klingen als die Master, die im Studio gemacht wurden.« Am Ende des Tages fühlte sich selbst Gewerkschaftshasser Herbert Yates genötigt, die sanitären Bedingungen zu verbessern und eine Qualitätskontrolle einzuführen.

      Hammonds Engagement für die zeitgenössische Musik fand seinen bisherigen Höhepunkt, als er am 23. Dezember 1938 in der Carnegie Hall ein Konzert unter dem Titel »From Spirituals to Swing« veranstaltete – eine Verneigung vor der schwarzen Musik Amerikas. Um passende Teilnehmer aufzutreiben, hatte er ausgiebig die Südstaaten bereist, begleitet von einem jungen Engländer namens Goddard Lieberson, der in der Musikindustrie noch eine atemberaubende Karriere machen sollte. Seine Suche in Musikarchiven führte ihn nebenbei zu faszinierenden Aufnahmen des bislang unbekannten Bluessänger Robert Johnson. In der Hoffnung, ihn vielleicht für sein Konzert verpflichten zu können, erkundigte sich Hammond nach seinem Aufenthaltsort, erfuhr aber nur, dass Johnson einige Monate zuvor ermordet worden war.

      Hammond recherchierte Johnsons abenteuerliche Geschichte und veröffentlichte in Down Beat sein Porträt. 1936 war der junge Bluessänger offenkundig in Henry Speirs Laden in Jackson/Mississippi spaziert. Speir war angetan von dem, was er hörte, und schickte einige Demos an seine Kontakte. Ernie Oertle von Brunswick war interessiert und organisierte eine dreitätige Session, die in einem Hotelzimmer in Austin/Texas stattfand. Johnson nahm 16 Songs auf, darunter »Come On in My Kitchen«, »Cross Road Blues« sowie »Terraplane Blues«, das in Texas ein kleiner Jukebox-Hit wurde und 5000 Exemplare verkaufte. Fünf Monate später lud man Johnson zu einer weiteren Session nach Dallas ein, wo er diesmal seine stilleren, introvertierten Songs aufnahm.

      Hammonds Carnegie-Show begann mit afrikanischen Trom­meln, die in West-Afrika aufgenommen worden waren. Zu den Live-Acts zählten Blues-Sänger und Gitarrist Big Bill Broonzy, Mundharmonika-Spieler Sonny Terry, Gospel-Sängerin Roset­ta Tharpe, die Boogie-Woogie-Pianisten Albert Ammons und Meade »Lux« Lewis sowie Jazz-Klarinettist Sidney Bechet. Zum Abschluss lieferte Count Basie samt seiner Band eine mitreißende Swing-Nummer, die dem Motto des Abends mehr als gerecht wurde. Die New York Times wie auch die Herald Tribune schwärmten, dass sie etwas Vergleichbares noch nie gehört hatten.

      Hammonds große Show war auch der Startschuss für die »Café Society«, einen schon bald legendären Nightclub im Greenwich