Cowboys & Indies. Gareth Murphy

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Название Cowboys & Indies
Автор произведения Gareth Murphy
Жанр Книги для детей: прочее
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Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862871612



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schon die neue Konkurrenz durch das Radio schmerzhaft gewesen, so zwang der Aktien-Crash am 24. Oktober 1929 die angeschlagene Industrie endgültig in die Knie. Während Film- und Radio-Firmen auch während der Depression weiter wuchsen, löste sich das öffentliche Interesse an Schallplatten praktisch in Luft auf.

      Die jährlichen Plattenverkäufe in Amerika, die 1927 noch 104 Millionen betragen hatten, waren drei Jahre später auf zehn Millionen geschrumpft. Es war der dramatischste Einbruch in der 40-jährigen Geschichte der Branche. 1932 hatte sich der gesamte Ausstoß sogar auf sechs Millionen reduziert. Da auch die Verkäufe der Plattenspieler von 987000 auf 40000 dezimiert wurden, war die gesamte amerikanische Musikindustrie – Hardware und Platten – in diesen fünf Jahren auf fünf Prozent ihrer vormaligen Größe eingedampft worden. Selbst in den Jahren der Großen Depression gab es wenige Industriezweige, die eine derartige Schrumpfkur überlebten. Es sah ganz so aus, als habe die Industrie Schiffbruch erlitten und treibe nun leblos im Wasser.

      In den sogenannten »dirty Thirties« reichte es nicht mehr, den Hals mit Ach und Krach aus der Schlinge gezogen zu haben. Man war auf die rettende Hand von Fremden angewiesen. Und ob es nun Hilfsbereitschaft, Eitelkeit oder eine abenteuerliche Investmentstrategie war: Es gab tatsächlich einige exzentrische Tycoone aus benachbarten Industrien, die beim Ausverkauf zugriffen und sich etablierte Trademarks und Musikkataloge zum Schnäppchenpreis unter den Nagel rissen. Die einst so stolzen Gründerfirmen – geschrumpft, fusioniert, umbenannt – hatten jedenfalls keine Ähnlichkeit mehr mit dem, was sie ursprünglich einmal darstellten.

      Die Edison Phonograph Company, schon lange auf dem absteigenden Ast, registrierte als erste der Traditionsfirmen, dass ihre Zeit nach dem Börsen-Crash endgültig abgelaufen war. Edison, der störrische Patriarch, stellte den Betrieb einfach ein. »Seit Gründung der Firma hat Mr. Edison im Phonographen immer nur eine Maschine gesehen«, monierte The Phonograph Monthly Review in einem wenig wohlwollenden Nachruf. »Wie konnte er hoffen, ohne jedes musikalische Verständnis in diesem Geschäft überleben zu können?«

      Im Januar 1929, also noch vor dem Crash, war Victor von Seligman & Speyer für nur 160 Millionen Dollar an den Erzfeind RCA verkauft worden. Im September 1930 erfolgte auch das symbolische Ende, als die Victor-Zentrale in »The Radio Center of the World« umgetauft wurde. Eldridge Johnsons Sohn Fenimore, der mit den neuen Herren nicht kooperieren mochte, packte seine Sachen und ging auf eine Expedition ins Herz Schwarzafrikas.

      Angesichts des boomenden Tonfilms und vielversprechender Experimente mit dem neuen Medium Fernsehen verkündete RCA-Chef David Sarnoff vollmundig, dass »die elektrische Unterhaltung in Heim und Kino« in ein neues Zeitalter trete. Genau wie er sahen auch die Hollywood-Bosse im Kollaps der Musikindustrie eine Gelegenheit, sich mit diesem Segment strategisch zu verstärken. Herbert Yates, Eigentümer von »Consolidated Film«, kaufte den amerikanischen Arm der fran­zösischen Firma Pathé und verschmolz ihn mit mehreren insolventen Indies – Cameo Records, Lincoln Records, Emerson Records, Plaza Music – zur »American Record Corporation«, besser bekannt unter der Abkürzung ARC.

      Im April 1930 kaufte Warner Brothers für zehn Millionen Dollar die Firma Brunswick, lizenzierte aber – nachdem verbesserte Klang-Technologien in Hollywood Einzug gehalten hatten – Trademark und Repertoire an ARC. Den dadurch entstandenen Verlust von acht Millionen schrieb man ungerührt ab.

      Columbias Schicksal war etwas komplexer. Zwischen 1929 und 1932 hatten sich in England die Umsätze halbiert – kaum mehr als eine Delle im Vergleich zu dem Tornado, der über das amerikanische Musikgeschäft gefegt war. Doch unter dem Druck von J.P. Morgan, dem größten Aktionär, wurde die englische Columbia-Tochter mit HMV, der englischen Tochter von Victor, zusammengelegt und in EMI umbenannt.

      Es war keine Liebesehe. Der HMV-Manager wurde zum Vorstandsvorsitzenden ernannt, während Louis Sterling als Geschäftsführer fungierte. Die beiden Männer sprachen kaum miteinander und kommunizierten gewöhnlich nur in Briefform. Immerhin hatte man aus Victors Fehlern in Amerika gelernt und investierte in das britische Radiowesen, das noch immer in den Kinderschuhen steckte. Ein Studio in der Abbey Road wurde umgebaut, um nun auch Orchester-Aufnahmen zu ermöglichen. Man warf Plattenspieler zu Dumpingpreisen auf den Markt, weil man sich dadurch höhere Plattenumsätze versprach. Ein anderer, durchaus cleverer Schachzug bestand darin, spezielle Platten-Clubs für Liebhaber zu gründen, denen man dann die obskureren Werke eines Komponisten im Abonnement und per Post zustellte. Zumindest die Grundkosten für Aufnahme und Vertrieb konnten auf diese Weise gedeckt werden. Erstaunlicherweise exportierte die britische Musikindustrie während der Depression mehr Platten nach Amerika, als dort produziert wurden.

      Ein weiteres Indiz für die wachsende Bedeutung des englischen Musikmarktes war die Gründung von Decca im Jahre 1929. Edward Lewis, ein ehemaliger Banker, hatte die Decca Gramophone Company davon zu überzeugen versucht, nicht nur Hardware herzustellen, sondern auch in die Plattenproduktion zu investieren. »Gramophone herzustellen, aber keine Platten«, argumentierte er, »ist etwa so, als würde man Rasiergeräte ohne Klingen verkaufen.« Nachdem sich die Gramophone-Firma aber nicht für seinen Vorschlag erwärmen wollte, trommelte er kurzerhand ein paar Investoren zusammen und kaufte die Firma auf.

      Trotz der vergleichsweise positiven Tendenzen in der Alten Welt sah sich Louis Sterling gezwungen, seine amerikanischen Investments abzuschreiben und sich wieder ganz auf Europa zu konzentrieren. 1930 verlor auch Okeh seine Unabhängigkeit und wurde von der Columbia geschluckt, die ihrerseits 1931 von Grigsby-Grunow aufgekauft wurde – einem Mischkonzern, der Radiokonsolen und Kühlschränke herstellte.

      Die einzig wirtschaftlich gesunde US-Firma schien Irving Mills’ Verlags-, Management- und Agentur-Imperium zu sein, das mit Duke Ellington und Cab Calloway auch die beiden größten Umsatzträger jener Jahre im Stall hatte. Mills, der allein 16 Big Bands repräsentierte, hatte sich gleich neben dem Brunswick-Headquarter in der 799 Seventh Avenue niedergelassen. Da er genau wusste, dass die Plattenfirmen kein Geld hatten, um Jazz-Platten zu produzieren, übernahm er die Finanzierung – allerdings nur unter der Bedingung, dass die Verlagsrechte bei ihm landeten. Selbst wenn die Aufnahmen nur ein paar Tausend Exemplare verkauften, so gingen doch alle Beteiligten mit einem Gewinn nach Hause. Für seine Bands waren die Platten eine optimale Visitenkarte – und immer wieder mal gab es Songs wie »Minnie the Moocher«, die eindrucksvoll bewiesen, dass auch potente Hits aus Mills’ Salami-Maschine sprangen.

      Von Irving Mills einmal abgesehen, schien die New Yorker Musikindustrie in den Jahren ‘32 und ‘33 in eine schwarzes Loch gefallen zu sein. Und doch sollte der vielleicht größte record man, den die Welt je erlebte, gerade im Tal des Todes fündig werden. Der Name des jungen Mannes war John Hammond.

      Während Irvin Mills die Karikatur des Zigarre-paffenden Impresarios personifizierte, war Hammond genau der entgegengesetzte Typus: eloquent und gebildet, weltgewandt und unbestechlich. Schienen die wichtigsten Musiker dieser Zeit – King Oliver, Earl Hines und Duke Ellington – so etwas wie eine musikalische Aristokratie zu bilden, so war Hammond Aristokrat von Geburt. Seine Mutter Emily war die Großenkelin von Cornelius Vanderbilt, dem holländischen Industriellen, der Amerikas Eisenbahnen gebaut hatte. Wie jedermann wusste, waren die Vanderbilts eine der reichsten und einflussreichsten Dynastien, die es in Amerika gab.

      Auch wenn sein Vater, ein General im amerikanischen Bürgerkrieg, selbst ein erfolgreicher Banker war, so profitierten die Hammonds doch von den Einkünften aus Immobilien und Trustfonds, die Vanderbilt aufgetürmt hatte. Zum Sommerurlaub fuhr man stets ins idyllische Lenox/Massachusetts und benutzte dazu einen eigenen Zugwaggon. Aus dem Erbe hatten seine Eltern einen fünfstöckigen Palast in der 91th Street erhalten, gleich an der Ecke von Fifth Avenue und Central Park. Dazu gehörten Marmortreppen, Aufzüge, eine Bibliothek, ein Squash Court, ein Ballsaal für 200 Gäste sowie 16 dienstbare Geister, die sich ums Wohl der Familie kümmerten.

      Nach vier Töchtern war Hammond 1910 als einziger Sohn der Familie geboren worden – was vielleicht auch seinen Hang zur Zurückgezogenheit erklärte. Musik indes war praktisch überall im Haus zu hören. In den großzügigen Räumen mit den holzvertäfelten Wänden und der barocken Opulenz der Alten Welt gab es überall die modernsten Victrolas, die Beethoven, Brahms, Mozart und die anderen europäischen Klassiker spielten. Musiklehrer, oft auch arrivierte Virtuosen, gingen ein und aus, um der Familie