Название | Cowboys & Indies |
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Автор произведения | Gareth Murphy |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871612 |
Und genau hier sollte Billie Holiday zum ersten Mal »Strange Fruit« singen und ein atemloses Publikum zurücklassen. Der Song bildete von nun an das Finale ihrer Shows – und sie bestand darauf, dass dafür das Licht abgedunkelt wurde und Kellner wie Zuschauer absolut still waren. Ein einziger Scheinwerfer illuminierte ihr Gesicht, während das Publikum den Atem anhielt. Mit dem letzten Ton erloschen auch alle Lichter. Als die Beleuchtung wieder angestellt wurde, war Billie verschwunden.
Nicht zuletzt durch Hammond hatte Jazz eine unkonventionelle, künstlerisch provokante Dimension bekommen. Die Evolution von Unterhaltung zur Kunst spiegelte sich auch in den Versuchen von Musikologen wie John Lomax, mit seinen field recordings akademische Kreise anzusprechen. Abschätzige Bezeichnungen wie »Race Records« oder »Hillbilly« wurden schrittweise durch eine präzisere Terminologie ersetzt: Bluegrass, Cowboy Songs, Reels, Work Songs, Gospel, String Bands, Jug Bands, Spirituals, Hot Jazz, Dixieland, Swing.
Es schien den Eindruck eines wirtschaftlichen Frühlings zu bestätigen, dass in diesem Jahre wieder 33 Millionen Platten in Amerika verkauft wurden – wobei drei Viertel aus dem Repertoire von Decca und Victor stammten. Und es war ein Beweis für den Stellenwert der Jukebox, dass inzwischen rund 225000 Geräte in Amerika ihren Dienst versahen und jährlich mit 13 Millionen Platten gefüttert wurden. Innerhalb von nur fünf Jahren war Decca Amerikas größte Plattenfirma geworden und produzierte jährlich 19 Millionen Platten – was angesichts der desolaten Großwetterlage eine bemerkenswerte Bilanz war.
1938 sah zum Glück auch den Abschied von Hollywood-Autokrat Herbert Yates und seinem Dumpingparadies ARC. Nachdem er von Jack Kapp klassisch ausmanövriert worden war, zog er sich schmollend nach Hollywood zurück und wurde nicht vermisst. Immerhin machte er noch einen Schnitt, als er seinen Musikkatalog für 750000 Dollar an CBS verkaufte – inzwischen Amerikas drittgrößte Radiokette und bereits führend bei dem Versuch, so etwas wie eine kulturell relevante Produktpalette zu entwickeln. Unter Führung ihres fähigen Gründers Bill Paley versuchte CBS auch mit Erfolg, RCA-Chef Ted Wallerstein abzuwerben, um gemeinsam mit ihm die schlafende Schönheit unter Amerikas Plattenfirmen wachzuküssen: Columbia Records.
Auch wenn er gerade einen Herzinfarkt überstanden hatte, stürzte sich Wallerstein in die Arbeit. Er transferierte das Columbia-Hauptquartier in die früheren Brunswick-Büros auf der Seventh Avenue, die nicht nur wegen ihrer Nähe zu Irving Mills Verlags und Management-Konglomerat ein musikalischer Knotenpunkt geworden waren. Da ihm sein Bauch sagte, dass eine popularisierte Version Klassischer Musik der nächste Trend sein werde, mietete er von NBC und CBS zwei große Studios an, um so auch komplette Orchester aufnehmen zu können. Schließlich reduzierte er den Preis von Columbias »Masterworks«-Serie auf einen Dollar – rund die Hälfte dessen, was man für Victors »Red Seal«-Platten zahlen musste.
Wallersteins hellsichtigste Entscheidung aber bestand in seiner Fokussierung auf eine neue Technologie. Da er die Kürze bisheriger Aufnahmen als mangelhaft empfand, engagierte er zwei Ingenieure, die sich zu Schallplatten mit längerer Laufzeit Gedanken machen sollten. Und in einem weiteren mutigen Schachzug machte er John Hammond zum Direktor für die Aufnahmen im populären Musiksegment. Hammond wiederum überzeugte Wallerstein davon, Goddard Lieberson als Assistent in der Klassischen Abteilung unterzubringen – was sich in den kommenden Jahren noch als begnadetes Manöver erweisen sollte.
Hammonds erste ernsthafte Herausforderung kam, als Billie Holiday »Strange Fruit« aufzunehmen wünschte. Wallerstein hatte alle Hände voll damit zu tun, das desolate Vertriebsnetz wieder aufzubauen – und wusste nur zu gut, dass die Thematik des Songs gerade in den Südstaaten auf wenig Gegenliebe stoßen würde. Hammond hatte eher musikalische Einwände: Auch wenn er die poetische Potenz des zugrunde liegenden Gedichts (das den leblosen Körper eines gelynchten Farbigen beschreibt) durchaus zu schätzen wusste, so fehlte ihm bei der musikalischen Umsetzung doch ein Minimum an Melodie. Er hielt auch Holidays Interpretation für grenzwertig, da sie für seinen Geschmack zu theatralisch war. Hammond liebte Billies swingende Seite, sah in den pathetischen Pausen und dem wehleidigen Finale von »Strange Fruit« aber einen misslungenen Ausrutscher ins Melodramatische.
Auch auf privater Ebene wurde ihre Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Billies Drogenprobleme waren in der Szene ein offenes Geheimnis. Hammond, der Marihuana akzeptierte, Heroin aber strikt ablehnte, machte den Fehler, ihren Manager auf das Problem aufmerksam zu machen. In der Sorge, künftig mit Dealern, Süchtigen und Kriminellen konfrontiert oder womöglich von ihnen erpresst zu werden, trennte sich der Manager von ihr – was Billie zeit ihres Lebens Hammond zum Vorwurf machte.
Hammond ging inzwischen auf die 30 zu und dachte über seine langfristige Lebensplanung nun etwas intensiver nach als noch einige Jahre zuvor. Also schlug er sich auf Wallersteins Seite, gab Holiday aber zumindest die vertragliche Möglichkeit, »Strange Fruit« auf dem Indie-Label Commodore Records zu veröffentlichen.
Der Vorfall sollte auch einen Einschnitt in seiner eigenen Karriere markieren. Auch wenn die Nachfrage nach Schallplatten deutlich anzog, so hatte Hammond doch seine Probleme, in der Rolle eines Angestellten aufzugehen, der einer etablierten Firma mit entsprechender Repertoire-Breite zu dienen hatte. »Ich musste nun mit Künstlern arbeiten, deren frühere Arbeiten ich in meinen Reviews niedergemacht hatte«, erinnerte er sich später. »Was weder für sie noch für mich einfach war. Es war unmöglich, sich wirklich offen und ehrlich zu verhalten, doch die Unehrlichkeit schmerzte noch mehr. Aber ich hatte nun mal einen Job in der kommerziellen Welt angenommen – ich konnte nicht mehr nur mit meinen Lieblingen arbeiten.«
Als ein älterer und abgeklärterer Mann sollte Hammond noch einmal ein ganzes Firmament leuchtender Sterne entdecken, doch im Moment – während in Europa wieder ein Krieg ausbrach – schienen seine glücklichsten Jahre hinter ihm zu liegen. Es waren weltpolitische Ereignisse, die sich unerbittlich in den Vordergrund schoben.
8
ERSTE HILFE GEGEN HEIMWEH
Dieses Mal wussten die Leute zumindest, was sie erwartete. Ein weiterer Krieg sollte die Welt erschüttern, Millionen von Ehepaaren auseinanderreißen und apokalyptische Zerstörungen zurücklassen. Auf vier Kontinenten waren nicht weniger als 100 Millionen Menschen aktiv am Krieg beteiligt. Sie wurden in eine Tötungsmaschinerie hineingesogen, für deren Betrieb ganze Volkswirtschaften abgestellt wurden.
Im Jahr von Pearl Harbor waren in Amerika 127 Millionen Platten verkauft worden – Zahlen, die man seit Anfang der Zwanziger nicht mehr erlebt hatte. Nach 15 Jahren, in denen Schallplatten ihren Glanz verloren hatten, war die alte Faszination urplötzlich wieder da. Es war bizarrerweise die Kriegsdepression, die einen Schallplattenboom auslöste, wie man ihn seit dem Ersten Weltkrieg nicht erlebt hatte.
Was die Renaissance umso frappierender machte, war die Tatsache, dass sich die Musikindustrie gleichzeitig auch in interne Konflikte verstrickte. Zwischen 1941 und 1944 wurde die Branche mit ihrem ersten Generalstreik konfrontiert – was den Ausstoß an Neuerscheinungen erheblich reduzierte. Und doch waren die psychologischen Folgen des Krieges so verheerend, dass jede Art von Musik – selbst alte, verkratzte Schallplatten – als willkommene Medizin wahrgenommen wurden. Melancholie und gebrochene Herzen gingen mit dem Bedürfnis nach Musik eben schon immer Hand in Hand.
In den dreißiger Jahren hatten sich innerhalb der Musikindustrie tiefe Gräben aufgetan. Analog zur Radikalisierung der weltpolitischen Positionen hatten darbende Musiker damit begonnen, sich in Interessensverbänden und Gewerkschaften zu organisieren. Die US-Radiostationen hatten 1933 zwar bereits 12000 Arbeitnehmer, konnten aber auch Werbeeinnahmen von 60 Millionen Dollar verbuchen – Tendenz weiter steigend. Es war dieser Kuchen, der wachsende Begehrlichkeiten weckte.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1914 hatte sich die ASCAP, die Dachorganisation