Cowboys & Indies. Gareth Murphy

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Название Cowboys & Indies
Автор произведения Gareth Murphy
Жанр Книги для детей: прочее
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Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862871612



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ließ und sich auf einem ausgedienten Grafanola die Hits des Tages anhörte. Auch wenn er mit Klassischer Musik groß wurde und selbst Bratsche lernte, so war er doch immer vom farbigen Personal und ihrem Verhältnis zur Musik fasziniert. Sie fingen spontan an zu tanzen, sangen einen Song mit und hatten keine Scheu, Emotionen zu zeigen und ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Es blieb ihm auch nicht verborgen, wie sie sich innerlich versteiften, wenn sie noch oben zu den weißen Herrschaften gingen.

      Hammond durchforstete alle Zeitschriften – vor allem Varie­ty –, die sich irgendwie ums Unterhaltungsmetier drehten und sammelte begeistert Schallplatten. »In den Rillen dieser frühen, primitiven Platten«, sollte er später schreiben, »entdeckte ich eine neue Welt.«

      Wie es sich für einen Vanderbilt-Spross gehörte, wurde er auf das renommierte Hotchkiss-Internat geschickt, wo sich vor allem ein inspirierender Englisch-Lehrer um seine verbale Kommunikation kümmerte. Nach dem sonntäglichen Gottesdienst lud er John und andere begabte Schüler zu sich nach Hause, wo sie stundenlang über Literatur diskutierten.

      Als er älter wurde und öfters mit dem Zug nach New York kam, besuchte er gerne Restaurants und Speakeasys, wo er sich in eine stille Ecke setzte, ein alkoholfreies Getränk bestellte und aufmerksam die Musiker auf der Bühne beobachtete. Jazz, Politik, Literatur, Religion – alles gehörte für ihn zusammen, alles schien eine übergeordnete Bestimmung zu haben.

      Wie alle männlichen Vanderbilts war er dazu prädestiniert, in Yale Jura zu studieren und ein erfolgreicher Geschäftsmann zu werden. Hammond gab dem Wunsch zunächst statt, verließ die Universität aber schnell wieder und ließ sich zunächst einmal treiben. 1931, im Alter von 21 Jahren, machte er Urlaub in London, als er zufällig die Macher der neuen Musikzeitschrift Melody Maker kennenlernte. Man lud ihn ein, Artikel über die amerikanische Jazz-Szene zu schreiben. Hammond stimmte zu, fuhr zurück nach New York und nutzte fortan seinen Schreib­stift als Wünschelrute.

      Das Honorar für seine oft kontroversen Artikel – die oft genug die Überlegenheit schwarzer Jazzer postulierten – war für ihn kaum mehr als ein Taschengeld. Während draußen 30 Prozent der Menschen arbeitslos waren, erhielt er eine jährliche Apanage von 12000 Dollar aus der Familienstiftung – mehr als genug, um sein Auto und ein neues Apartment im Greenwich Village zu finanzieren. Auch seine Artikel für den Melody Maker wurden sporadischer. Hammond hatte einfach nicht das Talent, sich allzu lange auf einen Job zu fixieren.

      Duke Ellington war es, der Irving Mills auf Hammond aufmerksam machte. Mills rief ihn eines Tages an und bot ihm einen Job bei seinen hauseigenen Magazinen an. »Wie viel wollen Sie für mich arbeiten, John?«, fragte er, als Hammond sich in Mills’ Büro vorstellte.

      »Einhundert Dollar die Woche.«

      »Ich stell Sie für die Hälfte der Zeit an und zahl Ihnen die Hälfte«, antwortete der notorisch knickrige Mills.

      Die Zusammenarbeit sollte ohnehin unter keinem guten Stern stehen. Der belesene und weltoffene Hammond wurde schnell gefeuert, weil er sich nicht mit dem nötigen Nachdruck für das hauseigene Repertoire einsetzte. Auch als Jazz-DJ bei einem New Yorker Radiosender hielt er nicht lange durch: Der Sender befand sich im obersten Stockwerk des Claridge Hotels. Als sich Gäste beschwerten, dass farbige Musiker durch die Lobby spazierten, lehnte Hammond es ab, die Musiker im Las­tenaufzug nach oben kommen zu lassen.

      Da sich sein Apartment in der Sullivan Street in der Nähe des Columbia-Headquarters befand, lief er häufiger Ben Selvin über den Weg, Columbias musikalischem Direktor. Als man eines Abends im »Hofbrau House« zusammensaß, erwähnte Selvin, dass aus England die Anfrage komme, verstärkt Jazz-Platten zu produzieren. Da er sich in dem Segment nicht auskannte, bat er Hammond um eine Einschätzung. Hammond, dem erstmals klar wurde, dass ihm seine Melody Maker-Artikel zu einer gewissen Autorität verholfen hatten, empfahl Fletcher Henderson und seine Band – und bot sich auch gleich an, vier Tracks zu den handelsüblichen Konditionen zu produzieren. Zu seiner Freude stimmte Selvin dem Vorschlag zu.

      Am Morgen der geplanten Aufnahme trudelten die Musiker mit fast dreistündiger Verspätung im Studio ein. Eilig hauten sie drei Nummern heraus, hatten für die vierte aber keine Zeit mehr. Die Verspätung erklärte sich wohl daraus, dass Henderson mit dem Deal alles andere als glücklich war. »Die meisten farbigen Bandleader standen angesichts der Depression am Rande ihrer Existenz«, erklärte Hammond später. »Duke Ellington und Cab Calloway konnten von ihrer Musik leben, der Rest nicht.« Bei Columbia schäumte man jedenfalls, ließ sich allerdings wieder versöhnen, als sich die erste Veröffentlichung gut verkaufte. Und Hammond, inzwischen bei Columbia ein gerngesehener Gast, hatte mit dem Produzieren seine wahre Bestimmung gefunden.

      Auf der Suche nach geeigneten Kandidaten war er Anfang 1933 im Club von Blues-Sängerin Monette Moore zu Gast, als er eine hübsche 17-jährige Farbige namens Billie Holiday hörte. Ihre ungewöhnliche Interpretation von »Wouldja for a Big Red Apple« hatte ihn umgehend überzeugt. »Es war der Blitz aus heiterem Himmel, von dem ich immer geträumt hatte«, so Hammond. »Es war die Belohnung dafür, dass ich überall hinfuhr, wo irgendjemand auftrat. Meistens war ich enttäuscht, aber plötzlich war es den ganzen Aufwand wert.«

      Hammond folgte Billie durch die Speakeasys in Harlem, wo sie ohne Honorar auftrat und nur von Trinkgeldern lebte. Er erfuhr, dass sie eigentlich Eleanor hieß, aus Baltimore kam, als Prostituierte gearbeitet hatte und bereits im Gefängnis gewesen war. Sie war attraktiv, kapriziös, unberechenbar und kultivierte trotz ihrer jungen Jahre einen substanziellen Marihuana-Kon­sum. Sie sang populäre Songs, die in ihrer Interpretation doch immer ganz eigen klangen. Sie ließ sich meist nur vom Piano begleiten und entsprach nicht dem gängigen Typus der Jazz-Sän­gerin, hatte aber etwas in ihrer Stimme, das Hammond elektrisierte. Er animierte all seine Jazz-Freunde, sich das Mäd­chen anzuhören. »Ich konnte einfach nicht anders, als ständig über sie zu reden und zu schreiben.«

      Es war im Frühjahr 1933, auf dem Tiefpunkt der Depression, als ihm seine Kontakte in London abermals Türe öffneten. Bei einem neuerlichen England-Besuch war Hammond angenehm überrascht, dass er unter den Lesern des Melody Makers fast schon eine kleine Berühmtheit geworden war. Er fragte Melody Maker-Redakteur Spike Hughes, der gerade einen Job als Aufnahmeleiter bei Decca Records angenommen hatte, ob er ihm vielleicht Louis Sterling vorstellen könne.

      Der EMI-Geschäftsführer war dafür bekannt, sich in allen kulturellen Bereichen zu engagieren. Fred Gaisberg, Victors all­seits respektierter Musikdirektor, erinnerte sich daran, dass die sonntäglichen Dinner in Sterlings herrschaftlichem Haus in der Avenue Road »ein lieb gewonnener Treffpunkt der Londoner Boheme geworden waren ... Bei den Sterlings traf man immer angenehme Kollegen aus Theater, Film oder Musik. Man sah etwa Schnabel und Kreisler, die gerade in eine Diskussion über die politische Situation in Deutschland vertieft waren. Jimmy Walker, der frühere New Yorker Bürgermeister, und Opernsänger Lauritz Melchior setzten sich zu ihnen – was wiederum Chaliapin und Gigli, die mit ihrer Bridge-Runde im nächsten Zimmer tagten, in ihrer Konzentration störte.« Hitlers Aufstieg verfolgte Sperling mit zunehmender Besorgnis. In den kommenden Jahren sorgte er dafür, dass die jüdischen Angestellten seiner Berliner Niederlassung Deutschland noch rechtzeitig verlassen konnten. Er unterstützte auch den Anarchisten Charles Lahr und seinen »Progressive Bookshop« und half dabei, eine der wertvollsten Buchkollektionen in England zusammenzutragen.

      Bei ihrer kurzen Begegnung erklärte er Hammond, dass er jemanden brauche, der gezielt Jazz-Aufnahmen für den englischen Markt produziere. Hammond ergriff die Gelegenheit beim Schopf und unterschrieb einen Vertrag für 24 Aufnahmen, die auf vier Musiker aufgeteilt werden sollten: Fletcher Henderson, Benny Carter, Joe Venuti und Benny Goodman. Hammond war von dem Projekt so begeistert, dass er in der Aufregung ganz vergaß, ein Honorar für sich selbst auszuhandeln.

      Zurück in New York, bestand seine erste Maßnahme darin, Benny Goodman aufzuspüren. Er wusste, dass Goodman oft in einem Speakeasy namens Onyx Club verkehrte. Und tatsächlich: Am Abend um halb Elf kam Goodman herein. Hammond nahm all seinen Mut zusammen, stellte sich vor und bot dem Klarinettisten einen Plattenvertrag mit Columbia an.

      »Sie sind ein gottverdammter Gauner«, schnauzte ihn Good­man an, der in der Woche zuvor von Ben Selvin erfahren hatte, dass Columbia in der Insolvenz