Cowboys & Indies. Gareth Murphy

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Название Cowboys & Indies
Автор произведения Gareth Murphy
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862871612



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kam umgehend nach New York, kaufte Columbia Phonograph für 2,5 Millionen Dollar – und sicherte sich die Rechte an dem neuen, elektrischen Aufnahmeverfahren. Als Victor schließlich doch noch nachzog, entschlossen sich beide Firmen, ihre alten, »akustisch« aufgenommenen Platten zu verhökern, während sich die Techniker daranmachten, die alten Studios mit Trennwänden und separaten Kabinen aufzurüsten.

      Sich von den akustisch aufgenommenen Platten zu trennen, war zumindest ein Indiz, dass Eldridge Johnson langsam im Radio-Zeitalter angekommen war. Es war aber bezeichnenderweise sein Sohn, der den Vater zu neuen Victor-Modellen zu überreden versuchte, die neben einem elektrischen Plattenspieler auch einen Radioempfänger anbieten sollten. Ende Februar antwortete der Vater mit einem nachdenklichen Memo: »Ich kann mir nicht vorstellen ..., dass die vom Radio übertragene Musik die Talking Machines ersetzen kann; das Radio kann allenfalls unser Wachstum verlangsamen. Die Talking Machine hat nun einmal den Vorzug, ein individuelles Hören zu erlauben, eine freie Auswahl anzubieten, eine unbegrenzte Wiederholung und obendrein das Gefühl, eine Aufnahme wirklich zu besitzen – alles Eigenschaften, die das Radio nicht hat.«

      Victor sah keine andere Wahl, als das Werbebudget einmal mehr aufzustocken – ein Posten, der im Jahr 1924 immerhin fünf Millionen Dollar ausmachte und Victor nach »Campbell’s Soup« zum größten Anzeigenkunden im amerikanischen Zeitschriftenmarkt machte. Ein Jahr später blieb es dem einstigen Marktführer trotzdem nicht erspart, das erste Minus in den Bilanzen zu verkünden. Eldridge Johnson musste hilflos mit ansehen, wie eine Führungskraft nach der anderen seine Firma verließ – obwohl die Manager mit 15 Prozent an Victor beteiligt waren. »Ich muss die ganze Organisation neu aufbauen«, klagte er, »diesmal aber mit Leuten, deren finanzielles Engagement weitaus geringer ist.«

      Nachdem er seinen fruchtlosen Radio-Boykott endlich abgeblasen hatte, folgte Johnson dem Beispiel von Brunswick und organisierte Silvester 1926 in den Victor-Studios ein Konzert, das live vom Radio ausgestrahlt wurde. Bei der viel beachteten Veranstaltung stand der Star-Tenor John McCormack im Mittelpunkt – und konnte sich anschließend sogar darüber freuen, dass die Verkäufe seiner Platten deutlich anzogen.

      Thomas Edison indes, noch weitaus konservativer als Johnson, kam aus seiner Schmollecke nicht heraus. Nachdem er einmal einer Radiostation erlaubt hatte, ein paar seiner liebsten »Edison Diamond Discs« zu spielen, rief er den Sender nach der Ausstrahlung persönlich an und beschwerte sich: »Wenn der Phonograph so katastrophal klänge, würde niemand das Gerät kaufen. Warum lassen Sie es zu, dass die Hörer einem derartigen Laborversuch ausgesetzt werden? Ich gebe den Leuten ein fertiges Produkt, aber Sie sind weit davon entfernt, etwas Vergleichbares anbieten zu können. Ich will damit nichts zu tun haben.«

      Während sich die alten Mogule immer weiter ins Abseits manövrierten, marschierte Otto Heinemann umso energischer nach vorn. Da nun selbst in abgelegenen Regionen des Landes neue Radiosender entstanden, graste er mit seinem Aufnahmetruck nun auch Regionen ab, die bislang nicht auf der musikalischen Landkarte verzeichnet waren: St. Petersburg, Cleveland, Buffalo, Kansas City, Anapolis, Asheville oder Dallas. In einem Editorial von 1925 rühmte »Talking Machine World« beispielsweise Okehs Cajun-Aufnahmen: »Die Art und Weise, wie sie das Leben am Bayou porträtieren, grenzt fast schon an Poesie. Es sind Geschichten über die wundersamen Kreaturen, die sich in den Wassern der Bayous verbergen, aber auch über das monotone Leben der Fischer.« Es war diesen field recordings zu verdanken, dass wir erstmals einen Blick in das folkloristische Herz Amerikas werfen konnten – ein Herz, das erst durch die schillernden Geschichten seiner Einwanderer zu schlagen begann.

      Es war vielleicht unvermeidlich, dass sich Louis Sterling 1925 auch Okehs Mutterfirma – die Carl Lindström-Gruppe – einverleibte und damit gleich zwei neue Standbeine bekam: eins im kontinentalen Europa, das andere im ländlichen Amerika. Die größeren Schlagzeilen in Fachkreisen aber machte Eldridge Johnsons endgültige Kapitulation: 1926 kaufte das Finanzkonsortium Seligman & Speyer die »Victor Talking Machine Company« für 400 Millionen Dollar. Es war eine Entscheidung, die Johnson bis zu seinem Todestag bereuen sollte.

      Da er sich von den neuen Herren einen Karrieresprung versprach, wechselte Ralph Peer die Fronten und heuerte bei Victor an. Er machte sich auf den Weg nach Bristol/Tennessee, richtete im Obergeschoss eines Hutgeschäftes ein Studio ein und schaltete in den Zeitungen der Umgebung eine Annonce: »In keiner anderen Region des Südens wurden die Vorkriegs-Melodien und Appalachen-Songs sorgsamer tradiert als in den Bergen von East Tennessee und Southwest Virginia ... Vor allem aus diesem Grund hat sich die Victrola Company entschlossen, Bristol zu ihrer operativen Basis zu machen.« Peer verstand es auch, die angesprochenen Musiker um den Finger zu wickeln: In den begleitenden Zeitungsartikeln wurde stets erwähnt, dass der »Hillbilly« Ernest Stoneman gerade einen Tantiemen-Scheck über 3600 Dollar erhalten habe. Unter den Solisten und Gruppen, die sich aus den Bergen auf den Weg nach Bristol machten, entdeckte Peer unter anderem Jimmie Rodgers und die Carter Family, die mit ihrer »Bristol Session« einen Meilenstein der Countrymusik lieferte.

      Das Motiv hinter Peers Arbeitsplatzwechsel sollte auch schnell publik werden: Ein Victor-Angestellter namens Nathaniel Shilkret erzählte davon, dass sich einer ihrer Manager mit Peer zusammengesetzt habe, um über sein Honorar als Talentscout zu verhandeln. Peer habe dabei eine neuartige Idee durchboxen können, nämlich »keine Gehaltserhöhung, sondern eine Tantieme – ein Cent pro Plattenseite –, die er sich dann mit dem Künstler teilen würde«. Shilkret erinnerte sich daran, dass der Vorschlag intern ein Erdbeben ausgelöst habe: »Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Niemand aus der Musikabteilung hatte je eine Tantieme für seine Arrangements oder Kompositionen bekommen. Und plötzlich gab es da diesen Mann, der sogar Tantiemen für die Kompositionen anderer Leute erhielt.«

      Allein im zweiten Quartal 1927 nahm Peer 250000 Dollar an Tantiemen ein und gründete umgehend seine eigene Firma. Wobei die »Southern Music Company« ihre Künstler dazu verpflichtete, nicht nur die Verlagsrechte, sondern auch das Management von der Firma wahrnehmen zu lassen. Peer mochte ein schlitzohriger Opportunist sein, aber zumindest verstand er die Mechanismen des Marktes. Hier im ländlichen Hinterland waren die Musiker schon froh, wenn sie eine Pauschale von 50 oder 100 Dollar bekamen. Er behauptete sogar, dass »ein Honorar eigentlich überflüssig war, da die meisten von ihnen keinerlei Entgelt für eine Aufnahme erwarten«.

      Während sich Musikmanager wie Ralph Peer und Frank Walter fast nur noch auf weiße Countrymusik konzentrierten, wurde der ländliche und weit weniger kommerzielle Blues von einem anderen Talentscout entdeckt: Henry Speir aus Jackson/Mississippi war ein weiterer weißer Ladenbesitzer, der in einer Lagerhalle Gramophone und Instrumente anbot, aber auch rund 3000 Schallplatten. Er erlaubte es seiner vorwiegend farbigen Kundschaft, sich Platten in einer Kabine anzuhören und bot ihnen auch an, für fünf Dollar eine eigene Aufnahme zu machen. Er konnte nicht ahnen, dass er fast im Alleingang alle großen Delta Blues-Sänger der späten 20er und frühen 30er Jahre entdecken sollte.

      Wie sehr dieser Markt vernachlässigt worden war, hatte bereits das Paramount-Label aus Wisconsin bewiesen, als es 1926 mit Blind Lemon Jefferson eine Aufnahme produziert hatte, die zumindest in dieser Nische ein echter Hit war. Es handelte sich um einen kargen, rohen, bodenständigen Blues, der so authentisch klang, als säße der Musiker auf einer Veranda und traktiere seine lädierte Gitarre. Da Paramount händeringend nach einem Nachfolgehit suchte, klopfte man bei den Geschäftspartnern im ganzen Land an. Speir, der seine Platten bei Zwischenhändlern in St. Louis bestellte oder direkt per Mailorder bei den Labeln, war auch bei Paramount kein Unbekannter mehr.

      Speir wusste genau, dass es in Mississippi Bluesmusiker gab, die sich hinter Blind Lemon Jefferson nicht verstecken mussten. Und er wusste auch, wie die farbigen Plattenkäufer tickten. Samstags kamen sie mit alten Autos und Trucks nach Jackson, um hier Straßenmusiker zu begutachten oder aber Platten zu kaufen, die dann bei Partys auf den Plantagen gespielt wurden. Im Sommer hatte Speir seinen Laden oft bis zehn Uhr abends geöffnet und verkaufte täglich bis zu 600 Platten. Die Mehrzahl der Käufer bestand aus farbigen Frauen – oft Dienstmädchen oder Köchinnen, die bei reichen Familien arbeiteten. Die typischen Baumwollpflücker konnten sich die 75 Cent für eine Platte nur zur Erntezeit leisten, wenn sie zumindest zeitweise etwas Geld in der Tasche hatten.

      Da er mit Farbigen aufgewachsen war, konnte Speir selbst die versteckten Anspielungen in