Название | Psychotische Reaktionen und heiße Luft |
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Автор произведения | Lester Bangs |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870028 |
Also kaufte ich schließlich mit dem Mut des Wahnsinnigen die Count Five. Ich glaube, den Ausschlag gab ein Fanmagazin für Teenager (damals die einzige Möglichkeit für den hartgesottenen Hörer, wenn man herausfinden wollte, was mit den neuen Produkten los war), das ich gelesen hatte. Count Five hatten ›eine Million Dollar beim Kartenvorverkauf‹ abgelehnt, weil sie sonst das College hätten abbrechen müssen und deshalb, so ihr Manager, hätten alle Jungs eingesehen, dass das wichtigste eine gute Schulbildung sei. Zum Schreien! Das hat echt solchen Eindruck auf mich gemacht, dass ich das nächste Mal, als ich mir die Platten im Regal genauer ansah, schnaufte: ›Die Jungs, die wieder zur Schule gehen...‹ Das ist schon ein gewisses Unterscheidungsmerkmal – man stelle sich Mick Jagger vor, wie er, geplagt von plötzlichen Gewissensbissen, zwischen zwei Schluck Champagner in einer beim Jet-Set angesagten Location, plötzlich von der unausweichlichen Wahrheit wie vom Blitz getroffen wird: Junge, du brauchst einen Abschluss. Du magst vielleicht Millionär sein, aber glaubst du, du wirst den Rest deines Lebens Popstar sein? Sicher nicht. Was willst du in den langen Jahren des dunklen Herbstes machen? Willst du enden wie Turner in Performance, dir jemanden besorgen, der dir das Hirn wegbläst, weil dir gerade keine bessere Beschäftigung einfällt? Noch ist es nicht zu spät! Geh wieder an die London School of Economics und mach den Abschluss! Der Mensch braucht irgendeine Form von konstruktiver Arbeit, sonst ist er ein bedeutungsloser, ehrenloser Nichtsnutz. Also kippt Mick den restlichen Champagner runter, löst sich von dem süßen Ding an seiner Seite und rennt los, um sich einzuschreiben. Schließlich macht er seinen Abschluss in Kunst, und als die Stones sich auflösen, lässt er sich häuslich nieder und lehrt einer endlosen Reihe eifriger Plagen das Malen einer geraden Linie. Was für ein leuchtendes Beispiel! Vielleicht wäre er vom Papst gesegnet oder ins Weiße Haus eingeladen worden! Aber das alles wird natürlich nie passieren, denn Mick Jagger ist aus härterem Holz geschnitzt als Count Five.
Ich kaufte das Album. Am selben Tag wie Happy Jack von The Who. Ich stürzte nach Hause, fand an Happy Jack Gefallen und kotzte bei Psychotic Reaction.
Aber Psychotic Reaction war das Album, auf das ich immer wieder zurückkam. Ich spielte es etwa ein Jahr lang oft und voller Schadenfreude, bis es mir von ein paar Bikern gestohlen wurde, und als ich es dann 1971 in einem Second-Hand-Plattenladen wieder entdeckte, Mann, da sprang ich hoch und machte ein Freudentänzchen. Aber dann tat ich etwas merkwürdig Kleinliches und Geiziges. Es stand im $ 1,98 Regal, direkt neben Platten wie Cosmo’s Factory und Deja Vu, und irgendwie kam mir das unangemessen vor – es hätte in der 89-Cent-Grabbelkiste stehen müssen, da wo es hingehörte, zusammen mit all den anderen abgehalfterten Altlasten aus vergangenen Tagen, zwischen Doin’ the Bird von den Rivingstons, das ich auch kaufte, und 96 Tears, das tatsächlich dort stand und meine Meinung bestätigte, offensichtlich hatte der Angestellte dieses Mal genug Verstand, es dort hinzustellen, wo es sich am besten aufgehoben fühlen würde. (Wenn euch diese Personalisierung irritiert, keine Bange: Als ich in der Siebten war, besuchte ich die Stadt, in der ich das Jahr zuvor gelebt hatte, und holte den Mr. Lucky-Soundtrack von Henry Mancini ab, den ich vor dem Umzug einem Freund geliehen und vergessen hatte abzuholen. Als ich wieder zu Hause war, stellte ich das Mr. Lucky-Album ins Plattenregal neben seinen ehemaligen Nachbarn, das Peter Gunn-Album. Wie ich so auf sie hinuntersah, wurde mir ganz warm ums Herz. Ich dachte, dass sich die beiden alten Freunde, so ziemlich die ersten Platten, die ich mir gekauft hatte, bestimmt freuen würden, sich nach so langer Zeit endlich wieder zu sehen. Vielleicht hatten sie sich ja auch ein paar interessante Geschichten zu erzählen.)
Was ich als nächstes tat, war, das Count Five Album, das ich immer so geil gefunden und von dem ich mir unzählige Male gewünscht hatte, ich hätte es noch, in die Höhe zu halten und zum Ladenbesitzer zu sagen: ›Was zum Teufel hat das Ding hier im $ 1,98-Regal zu suchen? Kein Mensch zahlt dafür $ 1,98!‹
Er sah es eine Sekunde lang abwägend an. Ich ergriff den Moment: ›Wie lange steht das hier schon? Doch bestimmt schon ein oder zwei Jahre, während andere Alben kommen und gehen. Es gehört da rüber! In die 89-Cent-Kiste!‹
›Hm, wahrscheinlich hast du Recht‹, sagte er. ›Ich glaube, dass die Platte – nein, eigentlich die ganze Band – einer dieser ewigen Fehlgriffe der Geschichte ist. Ja, stell’s rüber in die 89-Cent-Kiste.‹
›Gekauft!‹ brüllte ich, ging rüber, schmiss ihm einen Dollar hin und rannte raus. Ich hatte ihn! Den Artefakt! Eine Steintafel aus Tutanchamuns Grab! Ein lang verlorenes Juwel! Unbezahlbar – und ich hatte es für 89 Cent gekriegt!
Nun, seid versichert, liebe Kinder. Die Zeit hatte der Größe des Count-Five-Albums keinen Abbruch getan. Genau genommen hat sie das immer noch nicht. Es klingt immer noch genauso schmutzig und unorthodox wie damals, 1967. Seit dem Tag, an dem ich es kaufte, habe ich Happy Jack wahrscheinlich nicht mehr als fünfmal gespielt, obwohl ich es immer noch habe (man vermutet immer, diese Klassiker, aus denen du erstmal nichts ziehst, werden alle ihren wahren Wert und eigentlichen Reiz eines Tages enthüllen – vielleicht muss man ihnen selbst erst gerecht werden), aber bei Psychotic Reaction werde ich ewig durchdrehen und abrocken. Im ersten Monat nach dem Wiedererwerb muss ich es mindestens zehnmal gespielt haben und das will echt was heißen. Sobald Psychotic Reaction von den Wänden zurückknallte, brannte ich wie ein armer Junge voller Port oder Tokajer vor sinnloser Freude, während ich um den Plattenspieler herumhüpfte und stampfte, und selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte mich nicht hinsetzen können.
Track für Track, man hätte bei den Warner/Reprise-Veröffentlichungen eines ganzen Jahres keinen besseren Deal machen können. ›Double-Decker Bus‹ und ›Peace of Mind‹ ließen die Yardbirds wie klassische Meister dastehen, so lebendig, wie die Titel klangen, letzterer wegen eines der perfektesten Beispiele in der Geschichte für ein auf den Punkt gespieltes Gitarrenriff, ersterer wegen seines echt kosmischen Textes (›Well just you walk / Down any street / If you don’t see one of us / You’re sure to see / A double-decker bus!‹)
Aber die wahren Klassiker des ersten Count-Five-Albums, die zu der Zeit, als sie aktuell waren, ignoriert wurden, hätten sich als unglaublich einflussreich erweisen können, wenn mehr Leute verstanden hätten, was die Band da eigentlich machte. ›Pretty Big Mouth‹ war ein knackiger Tex-Mex-Straßenjam, der Song erinnerte irgendwie an eine Gruppe von weißen Red Mountain Mariachis und antizipierte bereits die noch derberen Exkursionen des zweiten Albums mit einem der großartigsten chauvinistischen Texte aller Zeiten: ›I ended up in the deep deep South / Makin’ love to the woman with a real big mouth!‹
›They’re Gonna Get You‹ war ähnlich, ein Essay mit elastischem Rhythmus über Barbershopmusikparanoia, es glänzte vor allem wegen der Stimme, die delirierend zwischen düsterer Wehklage, Iggy vorausgreifend, und einem Komikfalsetto schwankte. Aber der wahre Bringer war ›The World‹, ein Kracher, dessen absolute Monotonie unter den Füßen bockte wie eine dieser sich verschiebenden Rampen in einem Crazy House auf der Kirmes, während der Text aus einem spartanischen Minimum von Sätzen bestand – ›I’ll tell the world, your’re my girl, you’re so fine, you are mine‹ –, gekrächzt zwischen einer Reihe von Juchzern und Quiekern, glotzäugig vor Freude und dem Stolz des Irren.
Leider war Psychotic Reaction das einzige Count-Five-Album, das bereits zu seiner Zeit bekannt und geschätzt war. Double Shot, eine Plattenfirma, die bei der Promotion von Westküstentalenten genauso launisch war wie ESP-Disk im Umgang mit New Yorker Innovatoren wie The Godz, beerdigte praktisch ihre zweite und dritte Veröffentlichung, sie promoteten und vertrieben sie mit einer Kurzsichtigkeit und Gleichgültigkeit, die nur noch Deccas Umgang mit den frühen The Who gleichkommt. Die Band war aber wenigstens mit einem granatenmäßigen Manager gesegnet, der nicht nur die Vision hatte, ihr Potential zu verstehen, sondern auch genug hartnäckige, hökerische Energie, um ihnen schließlich einen Vertrag mit Columbia zu verschaffen, wo sie noch zwei weitere tolle Alben eingespielt