Название | Psychotische Reaktionen und heiße Luft |
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Автор произведения | Lester Bangs |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870028 |
Wir hatten übrigens bereits Jahre vorher schon eine sehr rätselhafte Zauberformel: ›Ich mache nicht solchen Schrott wie du, ich zünde ihn an!‹ Wenn man das sagte, waren die Leute ziemlich irritiert. Wenigstens die Kinder, aber ich habe vergessen, was der Satz bedeutete, ich glaube, er war so eine Art Zen. Wenn man also eine Auseinandersetzung mit jemandem hatte, konnte man einfach diesen Spruch raushauen und je nachdem, wie er von dem Anderen aufgenommen wurde, stiftete er entweder Frieden oder das Ganze endete mit einem Faustkampf.
Aber ich schweife schon wieder ab. Scheiße, Kinder ihr habt Recht, ich werde zu einem alten Ziegenbock mit glasigen Augen. Mit Scheiße im Hirn. Sobald wir mit unserer Anekdotenstunde hier fertig sind, nehme ich mein Morphin und beruhige meinen fiebrigen Verstand für ein, zwei Stündchen. Ich habe heute Abend eine Verabredung mit Delilah Kooch und muss ausgeruht sein, wenn ich beim ersten Hahnenschrei immer noch bumsen will, Orgelöl hin oder her ... mit neunzig sollte man sich in Mäßigung üben.
Aber wie ich bereits ausgeführt habe, bevor ich den Kuschelweg einschlug, blieben die Yardbirds nicht sehr viele Monde zusammen, und als sie sich mit ›I’m a Man‹ verabschiedeten, wurden sie schon von allen Seiten von kleinen Teeniebands geplündert (eines Tages erzähle ich euch mal ein bisschen was über Paul Revere and the Raiders, ha, das glaubt selbst ihr nicht...), die sofort schlechte Imitationen von ›I’m a Man‹ aufnahmen, um ihre Debütplatten voll zu kriegen, Bands wie die Royal Guardsmen, die zwei Nummer-Eins-Hits hatten mit irgendwelchen Späßchen über einen Hund namens Snoopy, der verknöcherte Deutsche in antiken Flugzeugen abschießt. Ich schwör’s bei Gott! Und dann tauchten überall Punkbands auf, die zwar eigene Songs schrieben, aber den Sound der Yardbirds kopierten und ihn auf dämliches Verzerrergematsche reduzierten ... ach, das war himmlisch, es war reine Folklore, das gute alte Amerika, und manchmal glaube ich, das waren die besten Zeiten überhaupt.
Nein, ich glaube das nicht nur, ich weiß es, ich hatte schon um 1970 das Gefühl, als alles zu einer Soße von mäandernden Minnesängern und Balladen singenden Barden und ähnlicher Scheiße gerann, die damals bereits total überholt war. Mann, ’65, ’66, da stand ich morgens auf und machte als erstes das Radio an, weil so viel gute Sounds rausdröhnten. Es gab einen Song ›Hey Joe‹, von dem praktisch jeder behauptete, er habe ihn zusammen mit seinem Scheißbruder nicht nur aufgenommen, sondern geschrieben, obwohl das Stück offensichtlich die psychedelische Mutation eines uralten Folksongs war, der, wie praktisch neun Zehntel aller anderen uralten Folksongs auch, davon handelte, jemanden aus Liebe umzubringen. Und eine Gruppe namens The Leaves hatten mit ›Hey Joe‹ einen Killerhit (das ist übrigens noch so ein Wort, das ihr Quasselstrippen euch merken solltet), aber dann tauchten sie nach ein paar merkwürdigen Alben ab, obwohl sie noch mit einem guten Stück in die Charts kamen, ›Doctor Stone‹, ein echt brachial gespielter, zweideutiger Dopesong. Etwa ein Jahr lang war jedes zweite Stück voller Codewörter für getting stoned, weil alle in ganz großem Stil damit anfingen und es den Reiz des Heimlichen hatte, und die dämliche Regierung hat die Codes nicht rausgekriegt, FBI, CIA und alle anderen auch nicht, bis sie vier oder fünf Jahre später mit diesem aufgeblasenen Merkblatt angetanzt kamen; dieser Typ, der aussah wie eine Kreuzung aus einem Erdhörnchen und dem Amerikanischen Adler und sich lautstark auf den Weg zu einem dieser geriatrischen Urlaubsorte in der Wüste machte, wo die Leute wegen des völlig reizlosen Kitzels, Geld aus dem Fenster zu schmeißen, hinfuhren, dieser Typ heizte also da hin und hielt dort eine überaus gewichtige Rede, damit das Land erführe, dass Drogen und Musik irgendwie zusammenhingen, was natürlich allen schon längst klar war. Die ganze Chose war so dermaßen lächerlich, weil alle Titel, die er als Beispiele heranzog, grottenalt waren, und alle zu diesem Zeitpunkt schon so dermaßen stoned waren, dass es völlig unnötig war, die Leute damit voll zu quatschen, high zu werden.
Aber für mich und eine Menge anderer Leute war dieser Moment, als sich niemand mehr dafür interessierte, weil sich alle schon in dieser Geisteshaltung eingerichtet hatten, exakt der Punkt, an dem alles wieder bergab ging. Statt über Teetrinken mit Mary Jane zu singen oder darüber, wie man sein Ding an der guten alten süßen Slit Annie reibt, hieß es jetzt ›Hilf mir Gott‹, ich suche nach dem Sinn des Lebens oder ich glaube, dass einzig und allein die Liebe die Welt sowohl von Schuppenflechten als auch von Krebs befreien kann, und ich werde den Menschen auf 285 unterschiedliche Arten alles darüber erzählen, ob es dir gefällt oder nicht. Und warum gibt es Kriege, frag doch die Kinder, sie wissen alles, wir können von ihnen lernen, und hey, natürlich mag ich Schwarze, auch wenn meine Leute keine Schwarzen mögen ... darüber gab es endlose Vinylfluten mit dem immergleichen Geschwafel. An diesem Punkt schmiss ich hin und flüchtete mich in den guten alten kantigen ’66er Rock, zurück zu den Wurzeln. Ich holte Platten wie 96 Tears von Question Mark and the Mysterians wieder hervor, die in der Tat mysteriös waren, und ließ zu Dschungel-Voodoo-Gekreische wie ›Wooly Bully‹ die Sau raus, ein unbeschreibliches Stück, das von ein paar Turban tragenden Typen aufgenommen worden war, die in einem Leichenwagen in der Gegend rumfuhren.
Damals kam ich auch in großem Stil noch mal auf die Yardbirds-Imitatoren in der Juniorrockerliga zurück. Da gab es Back Door Men von den Shadows of Knight, die echt gut darin waren, sich die Yardbirds-Riffs draufzuschaffen und neu umzusetzen, und Psychotic Reaction von Count Five, die das zwar nicht so draufhatten, aber ihre ganze Routine mit so derartig dreckiger Hingabe ausspielten, dass ich total auf sie abfuhr! Sie waren ein Haufen Gitarre schlagender Flegel aus irgendeiner gesichtslosen kalifornischen Vorstadt, und nur ein paar Monate, nachdem ›I’m a Man‹ nicht mehr in den Charts war, charteten sie schon wieder mit einer plumpen Imitation namens ›Psychotic Reaction‹. Und das war ein Riesenhit, meiner Meinung nach sogar ein größerer Hit als ›I’m a Man‹, der mich seinerzeit natürlich ganz heiß abgehen ließ, der aber, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ganz cool war, na ja, einfach genau richtig. Der Song war ein billiger Abklatsch, völlig albern. Er fing mit diesem verzerrten Gitarrenriff an, das sie aus einem Johnny-Rivers-Hit geklaut hatten, der mir gerade nicht einfällt – der vor ›Secret Agent Man‹ – und ging dann in den behonktesten Text aller Zeiten über. Und zwar, Moment mal, so in der Art wie: ›I feel depressed, I feel so bad / Cause you’re the best girl that I’ve ever had / I can’t get yer love, I can’t get affection / Aouw, little girl’s psychotic reaction... / An’ it feels like this‹, und dann knallte ein Eins-zu-Eins ›I’m a Man‹-Verschnitt los. Absolutes Dynamit. Anfänglich habe ich das Stück gehasst, aber als ich stoned in der Gegend rumfuhr, lief es gerade und ich langte mir an den Kopf: ›Was hab ich mir dabei nur gedacht? Das ist ein großartiger Song!‹
Das Album (Double Shot DSM 1001) hatte auch noch ein killermäßiges Cover, ein Foto, das aus einem Grab heraus aufgenommen war, die Bandmitglieder standen am Rand und glotzten hämisch in die Grabstätte. Echt gruselig, mal abgesehen davon, dass sie alle karierte Hemden und Freizeithosen von Penney’s trugen. Das war nicht ganz so gruselig, aber längerfristig doch irgendwie ganz nett gemacht. Die Farben und die Schrift waren auch echt hübsch.
Auf der Rückseite waren vier Fotos von ihnen: Count Five, wie sie eher unbeholfen in Bela-Lugosi-Umhängen auf dem Rasen vor einem alten düsteren Herrenhaus stehen und versuchen, finster auszusehen; Count Five bei irgendeiner L.A.-Tanzshow, die sie komplett aufmischen, während rechts im Bild eine Meute kreischender Teenager, vermutlich durch einen