Verrat der Intellektuellen. Stephan Reinhardt

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Название Verrat der Intellektuellen
Автор произведения Stephan Reinhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895775



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ist für Benn der »nationale Sozialismus«, will sagen: Nationalsozialismus. Und dessen Modellfigur: Jüngers »Arbeiter«. Wie sehr Benn damit das ideelle Menschenrechtsreservoir der Aufklärung schon immer suspekt war, zeigt auch die folgende Passage aus seiner Rundfunkrede »Der neue Staat und die Intellektuellen«, die am 25. April 1933 auch in der »Berliner Börsenzeitung« zu lesen war: »Gedankenfreiheit, Pressefreiheit, Lehrfreiheit in einem Sechzigmillionenvolk, von dem jeder einzeln den Staat für seine Unbeschädigtheit sittlich und rechtlich verantwortlich macht – ist da der Staat nicht aus Rechtsbewußtsein verpflichtet, diese Freiheit aufs speziellste zu überwachen? Das Wort ist aber der stärkste physiologische Reiz, sagt Pawlow, den das Organische kennt, auch der unabsehbarste, muß man hinzufügen. Läßt sich da überhaupt ein Argument gegen einen Staat finden, der erklärt, die öffentliche Meinungsäußerung nur denen zu gestatten, die auch die öffentliche Staatsverantwortung tragen? … Geistesfreiheit: daß an sie überhaupt die Entstehung von Kultur gebunden sei … ist eine gänzlich erkenntnislose Betrachtung: alles, was das Abendland berühmt gemacht hat, seine Entwicklung bestimmte, bis heute in ihm wirkt, entstand, um es einmal ganz klar auszudrücken, in Sklavenstaaten. Säule, Tragödie, kubischer Raum, Geschichtsschreibung, erste Selbstbegegnung des Ich: Ägypter, Hellas, Rom: es handelte sich um eine Oberschicht, oft eine sehr geringe, und dann die Heloten.«10

      Der Pfarrerssohn Benn wünschte, daß der gottlose Materialismus und das bloße Nützlichkeitsdenken des naturwissenschaftlichen Zeitalters ein Ende finden. Endlich müsse die Jugend ideell motiviert werden: durch Leitgedanken wie Nation, Volk, durch Bereitschaft zu »militanter Transzendenz«. »Ein Jahrhundert großer Schlachten wird beginnen«, prophezeite er 1933 in seinem Essay »Züchtung I«, in denen der »neue deutsche Mensch«, die »schwarzen Scharen« der SS, als Sieger hervorgehen werden über »den östlichen wie … den westlichen Typ«.11 Benn rief die Jugend zu den Waffen, zum Aufbau des NS-Staates. Zugleich schmähte er mit poetisch stilisiertem Pathos den Lieblingsteufel der Rechten und Ganzrechten: die liberalen und linken Intellektuellen der Weimarer Republik: »Große, innerlich geführte Jugend, der Gedanke, der notwendige Gedanke, die überirdischste Macht der Welt … gibt dir recht: die Intelligenz, die dir schmähend nachsieht, war am Ende; was sollte sie dir denn vererben; sie lebte ja nur noch von Bruchstücken und Erbrechen über sich selbst. Ermüdete Substanzen, ausdifferenzierte Formen und darüber ein kläglicher, bürgerlich-kapitalistischer Behang. Eine Villa, damit endete für sie das Visionäre, ein Mercedes, das stillte ihren wertesetzenden Drang. Halte dich nicht auf mit Widerlegungen und Worten, habe Mangel an Versöhnung, schließe die Tore, baue den Staat!«12

      Im In- und Ausland fand Benns emphatische und peinlich deutliche Konversion zum Nationalsozialismus große Beachtung: Genugtuung bei Nazis und Sympathisanten, Verwunderung, Entsetzen und Abscheu bei Oppositionellen und Emigranten. Aus seinem Exilort Le Lavandou in Südfrankreich stellte Klaus Mann in einem Offenen Brief Fragen: »Was konnte Sie dahin bringen, Ihren Namen, der uns der Inbegriff des höchsten Niveaus und einer geradezu fanatischen Reinheit gewesen ist, denen zur Verfügung zu stellen, deren Niveaulosigkeit absolut beispiellos in der europäischen Geschichte ist und vor deren moralischer Unreinheit sich die Welt mit Abscheu abwendet? Wie viel Freunde müssen Sie verlieren, indem Sie solcherart gemeinsame Sache mit den geistig Hassenswürdigen machen und was für Freunde haben Sie am Ende auf dieser falschen Seite zu gewinnen? Wer versteht Sie denn dort? Wer hat denn dort nur Ohren für Ihre Sprache, deren radikales Pathos den Herren Johst und Vesper höchst befremdlich, wenn nicht als der purste Kulturbolschewismus in den Ohren klingen dürfte? Wo waren denn die, die Ihre Bewunderer sind? Doch nicht etwa im Lager dieses erwachenden Deutschlands? Heute sitzen Ihre jungen Bewunderer … in den kleinen Hotels von Paris, Zürich und Prag – und Sie, der ihr Abgott gewesen ist, spielen weiter den Akademiker DIESES Staates.«13 Zwei Wochen nach der Bücherverbrennung, am 24. Mai, antwortete der Siebenundvierzigjährige dem Emigranten Klaus Mann im Berliner Rundfunk: »Ich muß Ihnen zunächst sagen, daß ich auf Grund vieler Erfahrungen in den letzten Wochen die Überzeugung gewonnen habe, daß man über die deutschen Vorgänge nur mit denen sprechen kann, die sie auch innerhalb Deutschlands selbst erlebten … mit den Flüchtlingen, die ins Ausland reisten, kann man es nicht. Diese haben nämlich die Gelegenheit versäumt, den ihnen so fremden Begriff des Volkes nicht gedanklich, sondern erlebnismäßig, nicht abstrakt, sondern in gedrungener Natur in sich wachsen zu fühlen, haben es versäumt, den auch in Ihrem Brief wieder so herabsetzend und hochmütig gebrauchten Begriff ›das Nationale‹ in seiner realen Bewegung, in seinen echten überzeugenden Ausdrücken als Erscheinung wahrzunehmen, haben es versäumt, die Geschichte form- und bilderbeladen bei ihrer vielleicht tragischen, aber jedenfalls schicksalsbestimmten Arbeit zu sehen.«14 Wieder, seine auf Einsamkeit und Eigenständigkeit gegründete intellektuelle Existenz desavouierend, warf Benn sich der Majorität, dem »germanischen« »Volk«, in die Arme: »Ich erkläre mich ganz persönlich für den neuen Staat, weil es mein Volk ist, das sich hier seinen Weg bahnt. Wer wäre ich, mich auszuschließen, weiß ich denn etwas Besseres – nein! Ich kann versuchen, es nach Maßgabe meiner Kräfte dahin zu leiten, wo ich es sehen möchte, aber wenn es mir nicht gelänge, es bliebe mein Volk, Volk ist viel! Meine geistige und wirtschaftliche Existenz, meine Sprache, mein Leben, meine menschlichen Beziehungen, die ganze Summe meines Gehirns danke ich doch in erster Linie diesem Volke. Aus ihm stammen die Ahnen, zu ihm kehren die Kinder zurück. Und da ich auf dem Land und bei den Herden groß wurde, weiß ich auch noch, was Heimat ist. Großstadt, Industrialismus, Intellektualismus, alle Schatten, die das Zeitalter über meine Gedanken warf, alle Mächte des Jahrhunderts, denen ich mich in meiner Produktion stellte, es gibt Augenblicke, wo dies ganze gequälte Leben versinkt und nichts ist da als die Ebene, die Weite, Jahreszeiten, Erde, einfache Worte –: Volk. So kommt es, daß ich mich denen zur Verfügung stelle, denen Europa, wie Sie schreiben, jeden Rang abspricht.«15 Läßt sich intellektueller Verrat – die Selbstpreisgabe des denkenden Subjekts, gerade auch poetischer Anarchie, von Kants mündigem Bürger, läßt sich das Versinken im Partikularismus des deutschen Sonderweges – unzweideutiger bekennen als hier durch einen der genialsten Verseschmiede deutscher Zunge?

       4. »Die totale Mobilmachung« – Jünger II

      Benn, Jünger und Heidegger sahen wie viele konservative Zivilisationskritiker – und wie es heute religiöse Fundamentalisten ebenso sehen – die Etablierung der westlich-zivilisatorischen Moderne als Prozeß des Verfalls: Die Infragestellung des religiösen Sinngebungsmonopols durch Aufklärung, Säkularisation und Laizismus, die seit dem 19. Jahrhundert explosionsartig die Lebenswelt verändernde Technisierung und Industrialisierung sowie der sie begleitende Emanzipationsprozeß der Demokratisierung machte den Menschen metaphysisch obdachlos, entfremdete ihn seinem »elementaren« Sein. Geborgenheit dagegen fand, wer sich dem »Elementaren« anvertraute: Irgendeiner Religion, vor allem aber seinem Volk, seiner Nation oder seiner Landsmannschaft. Und das hieß auch à la Jünger: So bald als möglich mit »Feuer und Blut« sowie der neuesten Kriegstechnik den Versailler Vertrag außer Kraft zu setzen und das überfällige Ende der »undeutschen« Weimarer Republik herbeizuführen. Ausdrücklich schloß für Jünger die Vergewisserung der Nation als germanischer »Blutsgemeinschaft« die »Erweiterung des Lebensraums« ein. So bestand zu Hitler zeitweilig kein nennenswerter Unterschied, wenn Ernst Jünger 1925 in »Feuer und Blut« schrieb: »Den Drang ins Weite und Grenzenlose, wir tragen ihn als unser germanisches Erbteil im Blut, und wir hoffen, daß es sich dereinst zu einem Imperialismus gestalten wird, der sich nicht wie jener kümmerliche von gestern auf einige Vorrechte, Grenzprovinzen und Südseeinseln richtet, sondern der wirklich aufs Ganze geht.«1 Wirklich aufs Ganze: Das Schwert zu führen, um die scheinbar in Versailles entwürdigte Nation zu rehabilitieren. Dazu war für Jünger kein anderer so sehr berufen wie der Frontsoldat des Ersten Weltkriegs. Als Jünger von Franz Seldte und Theodor Duesterberg, den beiden Vorsitzenden des »Stahlhelms«, des rund 400 000 Mitglieder zählenden »Bundes der Frontsoldaten«, als Chefideologe des Blattes verpflichtet wurde, zählte Jünger in Deutschland bereits zu den einflußreichsten Rechtsintellektuellen. Mit der Zeitschrift »Die Standarte. Beiträge zur geistigen Vertiefung des Frontgedankens«, die als Beilage zur Wochenschrift »Der Stahlhelm« im September 1925 in einer Auflage von 170 000 Exemplaren erschien,