Verrat der Intellektuellen. Stephan Reinhardt

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Название Verrat der Intellektuellen
Автор произведения Stephan Reinhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895775



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und diktatorischen Gedanken« nannte, machte er als vier Essentials bis 1933 in seiner politischen Publizistik zur stets wiederholten Grundlage seines »nationalistischen Manifests«. Zugleich beschrieb er am 29. November 1925 in der »Standarte« zwei Prozeduren der Machtübernahme. Im »kalten« Verfahren gliedert sich der national Denkende durch Option für eine nationale Partei wie die NSDAP in das Verfassungsgefüge von Weimar ein: »Ist eine nationale Mehrheit am Ruder, so ist alles in Ordnung, ist das Gegenteil der Fall, so treibt man Obstruktion. Das alles geht vollkommen gesetzmäßig zu, allerdings in einer Gesetzmäßigkeit, die in den Tagen unseres größten nationalen Tiefstandes als Norm gesetzt wurde. Die höchste Chance, die zu erwarten ist, ist eine Mehrheitsabstimmung, durch welche diese Norm grundsätzlich geändert wird.«2 Im »warmen« Verfahren dagegen verweigert sich der national Gesinnte den Institutionen und verfassungsgemäßen Mitteln des Staates: »Wir wollen keine Partei bilden, wir wollen nicht wählen, das hieße den Staat anerkennen, das hieße eins seiner Organe werden, statt gegen ihn gerichtet zu sein. Wir wollen uns zu einer selbständigen Macht entwickeln, die eines Tages mächtiger sein wird als der Staat … Wir sind Soldaten, wir halten den Waffengedanken hoch. Wir haben uns in jenem großen, ruhmvollen Kriege am schärfsten für die Rechte der Nation eingesetzt, wir fühlen uns auch jetzt zum Kampf für sie berufen. Jeder Mitkämpfer soll uns willkommen sein. Wir bilden eine Einheit durch Blut, Gesinnung und Erinnerung, den ›Staat im Staate‹, den Sturmblock, um den sich die Masse schließen soll. Wir schätzen keine langen Reden, eine neue Hundertschaft ist uns wichtiger, als ein Sieg im Parlament.«3 Nicht Parteien, Wahlen, Kompromisse sind die Leitbegriffe in Jüngers Sprache, sondern Schwert, Sprengstoff, Bürgerkrieg und Krieg. Zu Beginn des Jahres 1926 forderte er die nationalen Verbände und Kampfgruppen – des Jungdeutschen Ordens und der Nationalsozialisten – auf, sich zusammenzuschließen und endlich Gebrauch zu machen vom Dynamit. (Sich bereitzuhalten – siehe Bohrer – für das Erlebnis der Plötzlichkeit des Todes.) Und um für den Ernstfall gewappnet zu sein, riet er – frei von jeder Ironie – der verweichlichten Nachkriegsjugend zur Beherzigung der Ertüchtigungs-Ideale des preußischen Unteroffiziers: »Ein oder zwei Jahre voll Pfiff und Schliff, bei Erbssuppe und Kommißbrot, morgens um fünf geweckt, zackiger Dienst und bei jeder Nachlässigkeit ein Donnerwetter, das die Knochen zusammenreißt, bis endlich jene Haltung entsteht, die man die des gedienten Mannes nennt«, nämlich: »den inneren Schweinhund zu überwinden, Körper und Charakter zu beherrschen in scharfer, männlicher Zucht«4. Jüngers teutonische Revolutionspropaganda und sein Antiparlamentarismus waren so vehement, daß schließlich selbst die Leitung des »Stahlhelm« zu ihm auf Distanz ging. Sie folgte zu Jüngers Enttäuschung 1926 der Parole »Hinein in den Staat!« – ebenso wie Hitler, der nach dem mißglückten Putsch vom 9. November 1923 und seiner darauffolgenden Haft die NSDAP am 27. Februar 1925 wiedergegründet hatte. Dabei legte er seine nur 35 000 Mitglieder zählende Splitterpartei auf einen strikten Legalitätskurs fest.

      Jüngers Verhältnis zu Hitler war lange von Bewunderung geprägt. 1923 hatte er ihm im »Zirkus Krone« zugehört, seither war er für ihn »vielleicht der größte deutsche Redner« und die große politische Hoffnung. Beeindruckt hatte ihn auch, daß Hitler gemeinsam mit Ludendorff am 9. November 1923 einen Putsch gegen die gehaßte Demokratie gewagt hatte. Noch im Oktober 1929 pries er das fehlgeschlagene Unternehmen unter der Überschrift »Reinheit der Mittel« als eine aus »reinstem Metall« geschmiedete Waffe. In Hitler, so begeisterte sich Jünger im September 1925 in der »Standarte«, kündige sich das große »Naturereignis« eines »starken Mannes«, des »geborenen Führers« an: »… in der völkischen Bewegung … taucht aus dem Dunkel die Gestalt des Gefreiten Hitler auf, eine Gestalt, die unzweifelhaft schon wie die Mussolinis die Vorahnung eines ganz neuen Führertypus weckt«.5 Einige Monate nach dieser Eloge ließ Jünger Hitler ein Exemplar seines Essays »Feuer und Blut« mit der Widmung zukommen: »Dem nationalen Führer Adolf Hitler!« Daraufhin bedankte der sich am 27. Mai mit einem Exemplar von »Mein Kampf« und der Bemerkung, daß er alle Schriften Jüngers gelesen habe. Zu einem von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß vage avisierten Treffen in Leipzig kam es jedoch nicht.

      Die Übereinstimmung zwischen Jünger und Hitler war – abgesehen vom rassischen Antisemitismus, den der kulturelle Antisemit Jünger für übertrieben hielt und nicht teilte – groß. Sie bestand, so führte Jünger unter der Headline »Nationalismus und Nationalsozialismus« in der von ihm gegründeten Zeitschrift »Arminius« am 27. März 1927 selbst aus, in der nationalen, völkischen und autoritären Idee. Unterschiede gab es nur in der Ausführung, in Strategie und Taktik: »Es besteht jedoch der Unterschied, daß der Nationalsozialismus in seiner Eigenschaft als politische Organisation auf die Gewinnung von tatsächlichen Machtmitteln angewiesen ist, während die Aufgabe des Nationalismus eine andere ist. Auf der einen Seite besteht der Wunsch, eine Idee zu verwirklichen, auf der anderen Seite der, sie möglichst tief und rein zu erfassen. Für den Nationalsozialismus spielt daher die Masse mit Recht eine Rolle, während dem Nationalismus die Zahl ohne Bedeutung ist.«6

      Ungetrübt, allenfalls von Rivalität geprägt, blieb Jüngers Verhältnis zu Hitler in den Jahren der Weimarer Republik. Im Gespräch mit Helmut Franke, Jüngers Mitherausgeber des »Arminius«, äußerte Hitler erneut »den dringenden Wunsch«, Jünger endlich kennenzulernen. Und Goebbels, der Jünger davon unterrichtete, fügte in seinem Brief an Jünger vom 10. Mai 1927 hinzu: »Sie können mir glauben, es bereitet mir besondere Freude, daß zum wenigsten einer von denen, die nicht direkt in der NSDAP organisiert sind, sich zu unserem Kampf und unserem Handeln bekennt.«7 Wie sehr, das zeigt auch Jüngers programmatischer Artikel »Der neue Nationalismus«, in dem er am 23./24. Januar 1927 im »Völkischen Beobachter« erneut den Schulterschluß zu den Nationalsozialisten herstellte. Und dabei, eine »straffe Staatsgewalt von schärfster autoritativer Prägung« fordernd und seinem Affekt gegen Meinungs- und Pressefreiheit freien Lauf lassend, hinzufügte: »Wenn diese Gewalt es verhindert, daß jeder Schmierfink die eigene Nation herunterreißen darf, wenn sie also die Pressefreiheit abschafft, so ist das nur begrüßenswert. Daß eine solche Gewalt … die Todfeindin des Parlamentarismus sein muß, ist selbstverständlich.«8 Das ihm seitens der NSDAP sowohl 1927 als auch 1933 angetragene Reichstagsmandat lehnte Jünger ab. Er wollte sich nicht einer Führung unterwerfen, sondern selbst führen. Dem Journalisten Ludwig Alwens gegenüber – der ihm empfahl, der NSDAP beizutreten, um sie und Hitler in seinem Sinne zu benutzen – begründete er sein reserviertes Verhalten am 22. Oktober 1927: »Die Hitler-Angelegenheit liegt so: Unsere Aufgabe … ist es, einen bestimmten Typ, besonders geeignet, die modernen Entscheidungen zu schlagen, … anziehend zu machen … Eine große Apparatur ist vorläufig noch nicht nötig, im Gegenteil scheint es mir, als ob eine etwas exklusivere Haltung nichts schaden könnte … Bei Hitler besteht für uns allerdings eine Gefahr, die in anderen Verbänden weniger scharf ausgesprochen ist: Die Anhängerschaft ist nämlich schon zum Teil nach unserem Prinzip aufgebaut, allerdings aus brüchigerem und schwerfälligerem Material … Daß sie zahlreich sind, spielt nur dort eine Rolle, wo es auf Zahlen ankommt, also in Bezug auf Geld, Propaganda usw. Alles in allem sehen Sie mich also nicht abgeneigt; ein praktischer Modus wird sich auch bei Gelegenheit wahrscheinlich finden.«9 Auf den nichtabgeneigten Jünger ging Hitler schließlich ein drittes Mal zu und ließ ihm im Mai 1929 durch seinen Stellvertreter Heß eine Einladung als Ehrengast des Nürnberger Parteitages vom 1. bis 4. August 1929 zukommen. Jünger nahm die Einladung an, fuhr dann aber doch nicht hin. Möglicherweise, weil eben dorthin auch der von ihm mittlerweile publizistisch attackierte Stahlhelmführer Theodor Duesterberg eingeladen war. Erneut empörte den ideologischen Scharfmacher Jünger der Legalitätskurs der Nationalsozialisten, als am 1. September 1929 vor dem Berliner Reichstag eine Bombe explodierte. Alle Parteien, auch die NSDAP, distanzierten sich von diesem Anschlag. Verübt worden war er von der militanten Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein – von Bauern, die ihrer Forderung nach staatlicher Hilfe gegen ausländische Konkurrenz sowie ihrem Protest gegen das »jüdisch-parlamentarische System« mit Sprengstoff Nachdruck verliehen. Jünger, der 1927 von Hannover nach Berlin-Steglitz gezogen war und einen Kreis von Nationalisten um sich geschart hatte, war am Rande mitbetroffen. Die Brüder Ernst und Bruno von Salomon, die zu seinem Kreis gehörten, wurden als Verdächtige verhaftet. Bruno von Salomon hatte als Redakteur der neugegründeten Zeitschrift »Das Landvolk« die sich ausweitende Bewegung unterstützt. Jünger befürchtete,