Verrat der Intellektuellen. Stephan Reinhardt

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Название Verrat der Intellektuellen
Автор произведения Stephan Reinhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895775



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Friede« Verbrechen und Terror der Nazis damit, daß der Überlebenskampf sie dazu gezwungen habe, »asiatische« Methoden zu kopieren, so spricht Nolte vom »bolschewistischen Antibolschewismus«. Deutschland als Träger der abendländischen Kultur versus kulturzerstörerischem Bolschewismus – diese Konstellation erklärt für Jünger wie für Nolte Hitler.

      Und ganz wie Jünger konstruiert Nolte ein Weltbild, in dem eine »ewige Linke« durch ihre Forderung nach Gleichheit »Verschwörungen zur Vernichtung der Kultur« angezettelt habe und anzettele. Permanent, vom Spartakusaufstand bis zur Oktoberrevolution, habe sie, will Nolte es in seiner Verschwörungstheorie wissen, »Massenerregung«, »Volksaufstand«, »Klassenmord« inszeniert. Und auch heute seien die linken »Egalitätsideologen« dabei, führt Nolte 1993 in der »Schlußbetrachtung« seiner »Streitpunkte« aus, die »geschichtliche Bevölkerung« der Deutschen, den ›deutschen Volkskörper‹, durch Multikulturalismus zu zerstören. Das Ziel der »Egalitätsideologen«: »Deutschland nicht bloß zu einem Einwanderungsland, sondern zu einer ›multikulturellen Gesellschaft‹ zu machen und dadurch endlich jene Schichten und Gruppen in Deutschland auszuschalten, denen man die Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs und am Sieg des Nationalsozialismus zuschreibt.«2 Die klassische rechte Verschwörungstheorie.

       6. Galionsfigur der Neuen Rechten

      Ernst Jünger, geadelt von Ernst Nolte, Karl Heinz Bohrer, Botho Strauß und Frank Schirrmacher, wurde in der Bundesrepublik zur Galionsfigur der Rechten, und er ist es noch immer. In der Wochenzeitung »Junge Freiheit«, dem wichtigsten Publikationsorgan der Neuen Rechten, spielt er die Rolle eines Säulenheiligen. Mit Jüngers Foto in einer ganzseitigen Anzeige warb sie zu dessen hundertstem Geburtstag.1 Neben dem »wehrhaften« Jünger stellt Götz Kubitschek, Redakteur der Sonderbeilage, in magisch-mythischer Beschwörung den mythisch-magischen Denker der Gegenaufklärung in den Vordergrund: »Ernst Jünger spricht aus, was wir ahnen: das Vorhandensein eines nicht faßbaren Hintergrundes, den man nie ›haben‹ kann, sondern höchstens ab und zu berühren.«2 Diesen angeblich »nicht faßbaren« »Hintergrund« beschreibt der rechte Historiker Karlheinz Weißmann als Wahrnehmen von Transzendenz: »Jünger war ein Nationalist, aber er war von vornherein und immer mehr als das … Zu Jüngers Botschaft gehörte immer, daß es gut bleibt, ›zu ahnen, daß hinter den dynamischen Übermaßen unserer Zeit ein unbewegliches Zentrum verborgen ist‹«.3 Was unter Jüngers »Zentrum« zu verstehen ist, erklärt Roland Bubik, Redakteur der »Jungen Freiheit«, zur Grundmeinung des Konservativen von heute: »Die kulturelle Formierung einer Gesellschaft, getragen durch Volk, Staat und Religion, ist der Mechanismus zur Konstituierung der konkreten ›Würde‹ des einzelnen Menschen … Der Konservative … hat von jeher die Würde des Menschen als nur in der Partikularität einer kulturellen Identität erlebbar begriffen.«4 »Partikularität einer kulturellen Identität« – das bedeutet die »Besonderheit« des Deutschen, den deutschen Sonderweg. Nur dies zählt. Horst Seferens hat 1998 in seiner Jüngerstudie »Leute von übermorgen und von vorgestern« dargestellt, wie sich ein konservatives Netzwerk von Autoren und Zeitschriften hinter Ernst Jünger zusammengefunden hat. Ihn verklärt es zum »weitsichtigen Prognostiker und Diagnostiker des Endes der Moderne« und zum »sinnstiftenden Propheten einer hoffnungsvollen Zukunftsperspektive«.5 Ist das eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive, wenn ausdrücklich im Namen Jüngers im rechten Theorieorgan »Der Pfahl« Autoren wie Günter Maschke, Hartmut Lange, Axel Matthes und Gerd Bergfleth für das Ende von Aufklärung und offener Gesellschaft plädieren? »Reif zum Untergang«, so Gerd Bergfleth, sei die Bundesrepublik mit ihrem »Emanzipationswahn« und »Menschenrechtsgeklingel«.6 Anthropozentrisches Denken solle ersetzt werden durch mythisch-geozentrisches. Endlich anerkannt werden solle die »Oberhoheit« von Erde und Natur. Mit Jünger solle deshalb gelten: Wollen, »was die Erde will«. Das heißt doch wohl: Erde – das meint erzkonservativ auch Blut und Boden. »Menschenrechtsgeklingel« – das bedeutet Absage an die Menschenrechte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

      Schulterschlüsse zwischen der konservativen, rechtsradikalen Szene und Ernst Jünger stellt auch der »Welt«-Redakteur Heimo Schwilk, Jüngers »Eckermann«, her als Herausgeber der Festschriften zu Jüngers 95. und 100. Geburtstag sowie des Sammelbandes »Die selbstbewußte Nation«. Cantus firmus bildet dabei die kulturkritische Klage über die moderne Zivilisation und ihre vermeintliche Zerstörung transzendierender Sinnstiftung. Jüngers konservative kulturkritische Publizistik der Weimarer Republik wird heute von der Neuen Rechten wiederbelebt.

       7. Gegenaufklärung: Botho Strauß‘ »Anschwellender Bocksgesang« I

      Den spektakulärsten Schulterschluß mit Jüngers gegenaufklärerischem Weltbild stellte 1993 im »Spiegel« Botho Strauß in seinem »Anschwellenden Bocksgesang« her. Strauß erklärte darin das Zeitalter des »kritischen« (als solches angeblich nur der oberflächlichen Erscheinungswelt verpflichteten) Bewußtseins für beendet und rief mit seinem »Leitbild-Wechsel« eine Trendwende nach rechts aus. Seine nebulöse, keineswegs kristallin klare Wendeformel: »Der, der in den Verbindungen steht, löst den Subversiv-Radikalen, den jakobinisch-›hölderlinischen‹ Zeit-Heros ab.« Unter dem verschwommenen Wort »Verbindungen« versteht Botho Strauß: »Rechts zu sein … von ganzem Wesen, das ist, die Übermacht einer Erinnerung zu erleben; die den Menschen ergreift, weniger die Staatsbürger … Es handelt sich um einen … Akt der Auflehnung gegen die Totalherrschaft der Gegenwart, die dem Individuum jede Anwesenheit von unaufgeklärter Vergangenheit, von geschichtlichem Gewordensein, von mythischer Zeit rauben und ausmerzen will. Anders als die linke … sucht« die rechte »Phantasie« »den Wiederanschluß an die lange Zeit, die unbewegte, ist ihrem Wesen nach Tiefenerinnerung und insofern eine religiöse … Initiation.«1 Nicht alles »Tiefe« ist notwendig religiös initiiert. Auch Aufklärung und Humanität sind »Verbindung«, »Wiederanschluß« und können »Tiefe« haben. Gleichwohl: Strauß vollzieht wie Jünger und dessen Jünger »Tiefenerinnerung« als Aktivierung der Kritik am Emanzipations- und Freiheitsversprechen der Aufklärung, an ihrem, so Strauß, »faulen Befreiungszauber« und am sie weitertragenden Liberalismus, an den »Spöttern, Atheisten und frivolen Insurgenten«. In ihr Recht gesetzt werden müsse dagegen die »Gegenaufklärung« als »Hüter des Unbefragbaren, der Tabus und der Scheu«. Die Agenten des »kritischen Bewußtseins« sind laut Strauß schuld an der gegenwärtigen Krise: An der »Hypokrisie der öffentlichen Moral, die jederzeit tolerierte – wo nicht betrieb –: die Verhöhnung des Eros, die Verhöhnung des Soldaten, die Verhöhnung von Kirche, Tradition und Autorität, sie« dürfen »sich nicht wundern, wenn die Worte in der Not kein Gewicht mehr haben.«2 Soldat, Kirche, Tradition, Autorität – Straußens Argumentationskette, die in der Prophezeiung »Es wird Krieg geben« mündet, läßt sich in Jüngers Wort- und Wertewelt ebenso nahtlos einfügen wie sich Karl Heinz Bohrers Ruf nach militärischer »Härte und Entschlossenheit« aus ihr ableiten läßt – oder Bohrers Klage über die »saturierte Gemeinschaft« von bloßen »Konsumenten«, feige und risikounwillig gemacht durch bloße Händler- und »Sozialhelfermentalität«. Aber ist das brillant, Sozialhelfer (in den achtziger Jahren ein beliebtes Spottobjekt auch der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«) zu diskriminieren als »Händler« und »Krämer«? Was denn ist an einem Sozialhelfer der Krämer? Und damit sich Patriotismus und Gemeinsinn besser entfalten können, darf es auch im Sinne von Karl Heinz Bohrer ab und zu auch wieder Krieg geben. Schon während des Falklandkrieges 1982 ergoß Bohrer in der »FAZ« mit Vorliebe Spottkübel auf die in seinen Augen provinzielle, jedes Risiko scheuende »Händlergesinnung« der Bundesdeutschen. Er verkaufte sich clever als frecher Kulturkritiker. Und empfahl als Remedium: »Die nationale Identität als das große Über-Ich, ja sogar das mystische Element der Ehre – auf einen Begriff gebracht: Spiritualität«3. Mit Lust an provokativer Polemik beklagte der spirituelle »nationalen Identitäts«- und »Ehren«-Protége – dulce et decorum est pro patria mori – die »notorische Fettästhetik« und das mangelnde nationale Selbstbewußtsein des in der Bundesrepublik in seinen Augen zur Macht gelangten Mittel- und Kleinbürgerstandes. Ein von »Ängstlichen« und »Kleinkarierten«