Verrat der Intellektuellen. Stephan Reinhardt

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Название Verrat der Intellektuellen
Автор произведения Stephan Reinhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895775



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betriebenen Opfertod fürs ›Vaterland‹ rühmte Jünger in den »Stahlgewittern«, seinem bekanntesten Kriegsbuch, das bis zum November 1932 eine Auflage von 51. Tausend Exemplaren erreichte. Danach wurde es in der NS-Zeit zum Kultbuch. Episoden aus den »Stahlgewittern« verwertete und steigerte Jünger in den frühen Zwanziger Jahren noch einmal lustvoll patriotisch in »Der Kampf als inneres Erlebnis«, »Das Wäldchen 125« und »Feuer und Blut«. Dabei tat er alles, um dem aus einer Sicht impertinenten Antimilitarismus der Weimarer Nachkriegsjahre die Stirn zu bieten; denn durch den Pazifismus sah er sich um seinen Lebensinhalt betrogen: »Eine Weltanschauung, die im Sterben der Millionen eine Sinnlosigkeit sieht, muß als eine gottlose, geistlose und herzlose Anschauung von Grund aus unfruchtbar sein. Und dies ist letzten Endes die Weltanschauung des Liberalismus aller Schattierungen, von der blutleeren demokratischen Intelligenz bis zu ihrem späten geistigen Erben, dem Kommunismus herab.«3 Da Leben im sozialdarwinistischen Verständnis ständiger Kampf ums Überleben bedeutet, ist Pazifismus für seine Verächter allemal und in jeder Form – so Umberto Eco in seinem bedenkenswerten Essay »Urfaschismus«, einem »kleinen antifaschistischen Führer« für postmodern »Verwirrte« – »Kollaboration mit dem Feind«.4

      Den Ersten Weltkrieg hatte Jünger an der Westfront überlebt in den Schützengräben der Getreidefelder der Champagne, in der Materialschlacht an der Somme, als mit Handgranaten vollgepackter Stoßtruppführer, und in Flandern in der letzten deutschen Westoffensive vom März 1918. Dabei demonstrierte er entschlossen den Mut eines Haudegens und die Todesverachtung eines Landsknechtes. In den »Stahlgewittern« beschreibt er, wie er nach seiner letzten Verwundung aus einer Ohnmacht erwachte: »Ein älterer Mann aus einer anderen Kompanie beugte sich mit gutmütigem Gesicht über mich, löste das Koppel und öffnete meinen Rock. Er nahm zwei blutige Kreisflecke wahr – einen in der Mitte der rechten Brust und am Rücken den anderen. Ein Gefühl der Lähmung fesselte mich an die Erde, und die glühende Luft des engen Grabens badete mich in qualvollen Schweiß.«5 Als in der Nähe des verwundeten Leutnants Jünger die Angreifer an Boden gewannen, ertönte auf einmal der Schreckensschrei: »Links sind sie durch! Wir sind umgangen!«. »In diesem schrecklichen Augenblick fühlte ich, daß die Lebenskraft wie ein Funke wieder aufzuglühen begann. Es gelang mir, in Armhöhe zwei Finger in ein Loch zu krallen, das eine Maus oder ein Maulwurf in die Grabenwand gebohrt haben mochte. Langsam zog ich mich hoch, während das in der Lunge aufgestaute Blut aus den Wunden rieselte. In demselben Maß, in dem es Abfluß gewann, spürte ich Erleichterung. Mit bloßem Kopf und offenem Rock, die Pistole in der Hand, starrte ich ins Gefecht.«6 Obwohl schwer verwundet, schaltete sich Jünger wieder ins Gefecht ein, und während sich um ihn herum Soldaten und Offiziere der gegnerischen Übermacht ergaben, verließ er den Schützengraben: »Es blieb nur noch die Wahl zwischen Gefangenschaft und einer Kugel. Ich kroch aus dem Graben und taumelte auf Favreuil zu. Es war wie in einem bösen Traum, in dem man die Füße am Boden haften fühlt. Der einzige günstige Umstand war vielleicht das Durcheinander, in dem man bereits zum Teil Zigaretten austauschte, zum Teil sich noch niedermetzelte. Zwei Engländer, die einen Trupp Gefangener 99er auf ihre Linien zuführten, stellten sich mir entgegen. Ich hielt dem nächsten die Pistole vor den Leib und drückte ab. Der andere brannte sein Gewehr auf mich ab, ohne zu treffen. Die hastigen Bewegungen trieben das Blut in hellen Schlägen aus der Lunge. Ich konnte freier atmen und begann, an dem Grabenstück entlangzulaufen … Der große Blutverlust gab mir die Freiheit und Leichtigkeit eines Rausches, mich beunruhigte nur der Gedanke, zu früh zusammenzubrechen.«7 Als Jünger dann doch zusammenbrach, wurden dabei einige der Sanitätssoldaten, die ihn bargen und ihm so das Leben retteten, selbst getötet. Solchen und anderen »Gefallenen« des Ersten Weltkrieges widmete Jünger sein Kriegstagebuch »In Stahlgewittern«, eine Widmung, die er in dem Ende 1919 geschriebenen Vorwort zur ersten Auflage mit den Worten begründete: »Ob ihr gefallen seid auf freiem Felde, das arme, von Blut und Schmutz entstellte Gesicht dem Feinde zu, überrascht in dunklen Höhlen oder versunken im Schlamm endloser Ebenen, einsame, kreuzlose Schläfer; das ist mir Evangelium: Ihr seid nicht umsonst gefallen … Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Kameraden, euer Wert ist unvergänglich. Euer Denkmal tief in den Herzen eurer Brüder, die mit Euch standen, vom flammenden Ringe umschlossen … Möge dieses Buch dazu beitragen, eine Ahnung zu geben von dem, was ihr geleistet. Wir haben viel, ja vielleicht alles verloren. Eins bleibt uns: die ehrenvolle Erinnerung an euch, an die herrlichste Armee und den gewaltigsten Kampf, der je gefochten wurde. Sie hochzuhalten … ist stolzeste Pflicht eines jeden, der nicht nur mit Gewehr und Handgranate, sondern auch mit lebendigem Herzen für Deutschlands Größe kämpfte.«8

      Stilistisch idealisiert und ideologisch verharmlost wurde Jüngers Kriegsprosa von Karl Heinz Bohrer in seiner Habilitationsschrift »Die Ästhetik des Schrekkens« (1978). In Jüngers Beschreibung des Krieges und des vielfachen Todes sieht Bohrer keine Ausformung einer Idee – etwa der, daß der Krieg der Vater aller Dinge sei –, sondern ein authentisches ästhetisches »Wahrnehmungsereignis«. Der Plötzlichkeit des Todes, dem Schock des Schreckens habe Jünger in seinem Frühwerk für die Moderne exemplarisch Ausdruck verschafft. Jüngers »Verhältnis zur politischen Theorie und der ihr entstammenden Terminologie« bleibe dagegen »trotz tagespublizistischer Tätigkeit und zeitweiligem politischem Engagement … willkürlich«. »Die politische Terminologie ist selbst determiniert« – so mißversteht Bohrer Jüngers stets geschliffene, jedoch keineswegs willkürliche politische Terminologie – »durch ästhetische Wahrnehmungs-Kategorien.«9 Jüngers Terminologie ist mitnichten willkürlich. Daß Jünger Krieg und den Tod im Krieg auf der Grundlage ultrarechter politischer Theorie glorifiziert und metaphysisch überhöht zur absoluten Sinnresource, übersieht Bohrer. Nicht ignoriert das der Mannheimer Historiker Rolf Peter Sieferle. Er weist immerhin auf Jüngers heldische Ideologie hin, wenngleich im unkritischen Modus bloßer, unreflektierter Einfühlung: »Das Opfer der Gefallenen gewinnt ›Sinn‹ als Dienst am Ganzen. Sie sind ›für Deutschland gestorben‹, das heißt, ihr Tod ist in Hinblick auf etwas Überindividuelles gerechtfertigt. Die gefallenen Kameraden haben ihr Leben gegeben, damit ihr Volk etwas gewinnen möge. Es existiert also eine Hierarchie der Werte, die den Tod des einzelnen als Mittel zu einem höheren Zweck rechtfertigt. Gerade der individuelle Opfertod bestätigt die Existenz eines überindividuellen Allgemeinen.«10 Eben distanzlos unkritisch, weil als autonomer Wert wird referiert: Daß da gestorben wird für einen »höheren Zweck«, für etwas »Überindividuelles«, eine »Hierarchie der Werte«. Was es mit diesen ›Werten‹ – Nation, Staat, Gemeinschaft – nun auf sich hat, das läßt Sieferle außer acht. Weil er diesen ›Werten‹ oder der mit ihnen verbundenen Intention insgeheim beipflichtet?11

      Nicht Diagnose und Reflexion des Krieges, sondern dessen Ideologisierung zum »Vater aller Dinge« sowie unbedingter Kampf für »Deutschlands Größe«, ausgeführt von opferbereiten, dem Ideal »Nation« bedingungslos ergebenen Frontkämpfern – diese Kerngedanken des »Stahlgewitter«-Vorworts kennzeichnen sowohl Jüngers Kriegstagebücher als auch seine »Politische Publizistik« der Jahre 1919 bis 1933. Was in Jüngers früher Prosa als Lebenselixier eines jungen abenteuerlustigen Draufgängers beschrieben wird, wird in der »Politischen Publizistik« immer wieder auf den Begriff gebracht: Der Krieg – er ist Vater aller Dinge und Zielpunkt. Leutnant Jünger, im Frühjahr 1919 in Hannover der Reichswehr beigetreten, zählte zu den intellektuellen Kadern des deutschen Militärs. Das erkannte sogleich seine Talente und machte sie sich zunutze: In der Heeresvorschriftenkommission in der Bendlerstraße in Berlin wurde Jünger nicht nur mit der Ausarbeitung von Ausbildungsregeln befaßt, sondern ebenso mit Fragen der militärischen Strategie, Taktik und Bewaffnung. Im »Militär-Wochenblatt«, der in Berlin erscheinenden »Zeitschrift für die deutsche Wehrmacht«, stellte er im Oktober 1921 dar, wie die Entwicklung neuer Techniken im Ersten Weltkrieg dem Krieg ein neues Gesicht gegeben hatte: »Die Technik ist es, die ihn von früheren Kriegen grundlegend unterscheidet. Wohl hatte man – am eisernen Ladestock, Zündnadelgewehr und gepanzertem Schiff – ihren entscheidenden Einfluß kennengelernt. Doch eine solche Fülle der Erscheinungen, so vielfache Verzweigung, so massenhaften Einsatz und raschen Wechsel hatte niemand erträumt. Immer überragender wurde die Maschine. Immer mehr macht sich das Bestreben geltend, auf kleinem Raum stärkste Kraft zu versammeln. Durch das Maschinengewehr verfügt ein Mann über die Feuerkraft eines früheren Zuges. Ein Tank oder Panzerkraftwagen, gespickt mit Maschinengewehr