Название | Verrat der Intellektuellen |
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Автор произведения | Stephan Reinhardt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895775 |
Auch Gottfried Benn nahm sich in seiner konservativen Kulturkritik wie Ernst Jünger den Bürger als Spottobjekt – stilistisch souverän – zu Herzen: »Der Mitmensch, der Mittelmensch, das kleine Format, das Stehaufmännchen des Behagens, der Barrabasschreier, der bon und propre leben will, auf den Mittagstisch die vergnügten Säue, die sterbenden Fechter ins Hospital –, der große Kunde des Utilitaristen: eines Zeitalters Maß und Ziel.«25 Verbraucht, so Benn 1920 in seinem kampfes- und kriegslüsternen Essay »Das moderne Ich«, sind die Affekte des »Mittelmenschen«, für die Jugend soll dagegen gelten das Unbequeme, der Schmerz – eben der Kampf: »Schmerz, Faustschlag gegen das Pamphlet des Lebens aus dem ausgefransten Maule hedonistischer Demokratien, Schmerz, Chaos, das die Rieselfelder bürgerlicher Ratio überfegt und tief vernichtet und den Kosmos sich neu zu falten zerstörend zwingt – Wort aus den Reichen, wo das Schicksal waltet«.26 Benns verquaste Beschreibung der »inneren Lage des deutschen Ich« fand den rauschenden Beifall der Mitte und der Rechten. Kaum einer, Jünger ausgenommen, polemisierte so frech und wortstark gegen den »kleinbürgerlichen Sinn des demokratischen Fortschritts«. Die demokratische »Gesellschaftsordnung« und ihr politisches Personal, konstatierte er ironisch, seien doch außerordentlich »gut«: »Man bedenke doch diese Rasse, die aus dem Dunkel ins Helle strebt ganz ohne Revanchefurcht vorm Licht. Diese Politiker und Minister, was verjauchen sie nicht alles rhetorisch vom Pfingstwunder bis zur Apokalypse, und wenn sie gestorben sind, welche sonderbaren und tiefgeschlagenen Firmen inserieren ihnen einen Nachruf.«
Krämer, Advokaten, Gewerkschaftssekretäre – für Jünger ist das Sicherheitsdenken des Bürgers zurückzuführen auf einen Grundwert der Aufklärung, die Egalité. »Das humanitäre Gewissen richtet sich an das Idealbild einer gleichförmigen Menschheit, an ein Weltbürgertum, das keine Grenzen und Unterschiede kennt.«27 Jünger bedient sich fortlaufend des von Benda beschriebenen Tricks. Er unterstellt – nicht anders als heute etliche Politiker von FDP und Union –, daß politische Forderungen wie die nach Gleichheit und Gerechtigkeit auf bloße Gleichmacherei – die keine Unterschiede mehr gelten lassen wolle – hinausliefen. Verlangen nach Gleichheit bedeutet indes nicht, daß alle Menschen gleich (»gleichförmig«) sind – sie sind ja von Natur aus ganz unterschiedlich –, sondern daß jeder Mensch – ohne Ansehen der Person, Herkunft und des Ranges – vor dem Gesetz gleich zu sein hat. Gebetsmühlenhaft wiederholt Jünger gleichwohl das festgefahrene Mißverständnis, man könnte auch sagen: die bösartige Unterstellung, nämlich daß sich seit der Aufklärung das humanitäre bürgerliche ›Gewissen‹, das linke Weltbürgertum, bemühe, das Ungleiche gleich zu machen, indem es das nun einmal Unberechenbare steuerbar zu machen versuche.
Die Leitwerte der Aufklärung sind für Jünger intellektuelle Kopfgeburt und Ausfluß bürgerlichen Sicherheitsdenkens; Leben und das es steuernde Schicksal würden in der Denktradition der Aufklärung gründlich mißverstanden: »In diesem Sinne erscheint die Abdichtung des Lebens gegen das Schicksal, jene große Mutter der Gefahr, als das eigentliche bürgerliche Problem, das den mannigfaltigsten ökonomischen oder humanitären Lösungen unterzogen wird. Alle Fragestellungen dieser Zeit, seien sie künstlerischer, wissenschaftlicher oder politischer Natur, laufen darauf hinaus, daß der Konflikt vermeidbar ist. Tritt er dennoch auf, wie es etwa den permanenten Tatsachen des Krieges oder Verbrechens gegenüber nicht zu übersehen ist, so kommt es darauf an, ihn als Irrtum nachzuweisen, dessen Wiederholung durch Erziehung oder durch Aufklärung zu vermeiden ist. Diese Irrtümer treten nur deshalb auf, weil die Faktoren jener großen Rechnung, deren Ergebnis die Bevölkerung des Erdballes mit einer einheitlichen, sowohl von Grund auf guten als auch von Grund auf vernünftigen und daher auch von Grund auf gesicherten Menschheit sein wird, noch nicht zur allgemeinen Kenntnis gekommen sind. Der Glaube an die Überzeugungskraft dieser Aussichten ist einer der Gründe, aus denen die Aufklärung dazu neigt, die Kräfte zu überschätzen, die ihr gegeben sind.«28
Irdische Existenz bedeutet für den Sozialdarwinisten und Spenglerianer Jünger immerzu Konflikt, Kampf und Krieg – auf Leben oder Tod. 1925 schreibt er in der Stahlhelm-Beilage »Die Standarte«: »Jeder Löffel voll Nahrung, den Du zu Dir nimmst, bedeutet Leiden und Untergang der lebenden Kreatur, bedeutet die Verdrängung und Verletzung eines fremden Rechts. Jeder Schnitt, den die Sense tut, jeder Axthieb, der in den Schlachthäusern fällt, wird gegen das volle Leben geführt … Das Leben äußert sich jedoch nicht nur im Kampfe der Arten untereinander, sondern auch im Kampfe innerhalb der Arten selbst. So steht auch der Mensch, wann und wo es auch sei, im Kriege wie im Frieden in einem unaufhörlichen Kampfe gegen den Menschen selbst … Dasselbe gilt für das Verhältnis der Staaten unter sich. Das Gegenteil behaupten, hieße sich Lebenseinheiten denken wollen, die den Gesetzen des Lebens nicht unterworfen sind. Das sind utopische Konstruktionen theoretisierender Gehirne ohne Fleisch und Blut.«29 Kampf und Krieg sind kein »Problem«, sondern »dramatische Offenbarung des Lebens« und gehören wie »Sonnenauf- und -untergang« elementar zur Wirklichkeit hinzu. Wer glaubt, in dieses biologische Prinzip des »Friß-Vogeloder-Stirb« (das ›Gesetz‹ des Sozialdarwinismus, das auch Grundelement der NS-Ideologie ist und vielen Alltagsüberlebensmaxime) korrigierend eingreifen zu können, macht sich für Jünger intellektueller Hybris und »Humanitätsduselei« schuldig. Sinn verleihen dem Dasein nur biologische »Gesetze der Macht«. So schreibt Jünger 1926 im »Vorwort« zu »Aufmarsch des Nationalsozialismus«, einem Essayband seines Bruders Friedrich Georg Jünger: »Der moderne Nationalismus« »will nicht die Abmessung oder Abwägung der Rechte, sondern er will das Recht, das das Leben zum Leben besitzt, das eine unzertrennliche, schicksalsmäßige Einheit bildet mit ihm, und das mit Notwendigkeit andere Arten des Rechtes einschränken oder verdrängen muß, wenn es ihnen nicht unterliegen will.« Nicht »Abwägung der Rechte« durch Gleichheit vor dem Gesetz, sondern das »Recht«, das das »Recht zum Leben« setzt. Das Recht setzt der Stärkere. Rechtlichen Schutz für den Schwächeren gibt es nicht. Unverhohlen Klartext – partikularistisch wie Barrés in der Dreyfusaffäre argumentierend – sprach Jünger auch im Januar 1927 in seinem Artikel »Das Sonderrecht des Nationalismus«: »Wir Nationalisten glauben an keine allgemeinen Wahrheiten. Wir glauben an keine allgemeine Moral. Wir glauben an keine Menschheit als an ein Kollektivwesen »mit zentralem Gewissen und einheitlichem Recht. Wir glauben vielmehr an ein schärfstes Bedingtsein von Wahrheit, Recht und Moral durch Zeit, Raum und Blut. Wir glauben an den Wert des Besonderen.«30
Das nicht vom Allgemeinen, von den – so Jünger – »Phrasen der Aufklärung« wie Gewissen, Moral, Recht, Wahrheit, Universalisieren mitangeleitete Leben, sondern das vom »Besonderen« bestimmte – von Nation, Blut, Rasse, biologischer Ausstattung – schafft Recht, das »Sonderrecht des Nationalismus«: »Ein Recht des Schwächeren gibt es nicht, alles Lebendige dehnt die Grenzen seines Rechtes so weit aus, als es vermag. Daher heißt, über Ungerechtigkeit erstaunen, soviel wie über das Leben selbst erstaunen, es heißt, dem Leben fremd gegenüberstehen. Ein Gewissen anrufen, das außerhalb der eigenen Lebenseinheit, also außerhalb der eigenen Rechtseinheit steht, das heißt, von falschen Voraussetzungen ausgehen … Das Leben handelt, vom Besonderen aus gesehen, immer recht, vom allgemeinen aus immer unrecht.«31 Das »Besondere« – das Deutsche – ist immer im Recht.
Jünger folgte damit dem deutschen Sonderweg, jenem Irrweg, der die Menschenrechtsuniversalien der Aufklärung verachtete. Am eindeutigsten formulierte er 1929 im Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen Sammelband »Der Kampf um das Reich« den deutschen Abweg: »Der späte Liberalismus, der Parlamentarismus, die Demokratie als Herrschaft der Zahl, ein geistiges Franzosentum und ein Europäertum, dessen Metaphysik die des Speisewagens ist, ein Amerikanismus mit der Gleichsetzung von Fortschritt und Komfort … – dieses ganze Gewirr von überalterten und überfremdeten Dingen gleicht einem dichten Telefonnetz, zu dem das deutsche keinen Anschluß hat.«32 Anschluß fand das deutsche Telefon Ernst Jüngers ausschließlich beim »Horchen auf die geheime Ursprache des Volkes«. Allein das, so Jünger, gewährte »sichere Zuflucht zum mütterlichen Sein«, zum Elementaren. Als undeutsch, weil bloße, zu universellen Prinzipien erklärte Abstraktionen galten Leitwerte wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Undeutsch war es dabei auch, den Staat zu verstehen als notwendige Organisation zum Schutze der Menschenrechte, deutsch dagegen, dem ständestaatlich organisierten und autoritär geführten Staat