Verrat der Intellektuellen. Stephan Reinhardt

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Название Verrat der Intellektuellen
Автор произведения Stephan Reinhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895775



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»Es gibt keine Nation auf Erden, nicht einmal die sprichwörtlichen Levantiner, die so ausschließlich von ökonomischen Argumenten beherrscht wären wie die Westdeutschen. Sie sind die neuen Phönizier, das heißt, sie erkaufen sich alles, selbst den russischen Frieden, so wie die karthagischen Kaufleute selbst nicht gegen die Römer kämpften, sondern Söldnerheere schickten. Die westdeutsche Händlergesinnung enthält im Unterschied zu Karthago allerdings kein Staatsbewußtsein mehr, keine Staatssymbolik, sondern bloß das harmlose Bild föderativer, fettprangender Provinzen zwischen Karneval und Weinernten. Mit Metzgereien ausstaffiert wie mit Boutiquen und so übersättigt, verängstigt, eingekauft ist diese westdeutsche Händlernation, daß sie nur andere für sich kämpfen lassen könnte, oder es bräche eine Massenhysterie aus … Da sie das nicht offen zugeben kann, tabuisiert sie den Kampf überhaupt oder rationalisiert sie ihre Angst davor mit pragmatischer Vernunft, das heißt mit wirtschaftlichen Zwängen wie der Ertragslage der Schiffbauindustrie oder Erdgasgeschäften. Wie verräterisch! Alles geht, denn alles beweist das Ende aller Kriege im Zeichen der händlerischen Vernunft.«4

      Bloße »Händlergesinnung«, die feige das Sichbehaupten in Kampf und Krieg verlernt habe und deshalb tabuisiere – fast bis in die Wortwahl hinein folgte Bohrer mit solch säbelrassender geistiger Aufrüstung und Kriegerei seinem Männlichkeitsidol Ernst Jünger. Und schlug zugleich als intellektueller Netzwerker die Brücke zum reaktionären Theorieorgan »Junge Freiheit«, zu Filbingers »Studienzentrum Weikersheim«, zu im »Coburger Konvent« organisierten nationalen Studentenverbindungen. Und auch zu Manfred Pohls, Hans-Olaf Henkels, Roland Bergers »Konvent für Deutschland«. Bohrer den Heinrich-Mann-Preis zu verleihen, wie es 2007 geschah, ist so, als erhielte Präsident Bush oder dessen Gedichte verfassender Justizminister John Ashcroft den Friedensnobelpreis.

       8. Journalistenbeschimpfung als Sündenbocksuche

      Als Ausgeburt und Inbegriff des Krämergeistes und »händlerischer Vernunft« werden heute mit Vorliebe diskriminiert Jüngers »Schreiberlinge«, die Vertreter der »vierten« Gewalt der Demokratie: Journalisten. Karl Heinz Bohrer: »Wenn diese händlerische Vernunft in den seriösen Medien so überdimensioniert widergespiegelt ist, dann liegt das auch an der Psyche eines Berufsstandes: Journalisten, liberal, wie sie mehrheitlich sind, haben die händlerische Vernunft mit Löffeln gefressen. Opportunistisch und voyeuristisch, verstehen sie nicht die Symbole des Ernstfalls. Letztlich Unbeteiligte, verwandeln sie den Ernstfall immer in einen Verhandlungsfall und diesen dann in einen moralisch-modernen Vorwurf gegen solche, die den Ernstfall begriffen und akzeptiert haben.«1 Breit gemacht habe sich im westdeutschen Medien- und Kulturbetrieb, so Bohrer, das »Gelabere«: »Sein verräterisches Wort heißt ›Vermittlung‹. Dadurch ist die schwierige intellektuelle und politische Opposition, ist der Konflikt geistig aufgehoben, alles ist auf dem Wege, sozusagen im Prozeß, und wenn das nicht hilft, dann hilft immer der furchterregende, weil tabuschüttelnde Hinweis auf das durch Carl Schmitt ein für allemal angeblich desavouierte ›Freund-Feind-Denken‹.«2 Bohrer unterschlägt, daß Wörter wie »Vermittlung« und »Kompromiß« Wesenselemente demokratischer Prozeduren sind, und er revitalisiert Carl Schmitts undemokratisches Freund-Feind-Denken. »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet« – mit dieser griffigen Grobformel reduzierte Carl Schmitt, Jüngers langjähriger Briefpartner und ideologischer Mitstreiter, in seiner »Politischen Theologie« von 1922 alles Politische auf ein existentielles Freund-Feind-Verhältnis – eine gedankliche Militarisierung, mit der der ›Kronjurist‹ des »Dritten Reiches« bereits in den Zwanziger Jahren das ideelle Geschäft der Nazis betrieb. Nicht um Abbau, sondern um Steigerung des Intensitätsgrades von Konflikten ging es damit Schmitt und Jünger, um Freisetzung national-revolutionärer Energie – vom »Schicksal«, von der Geschichte zugespielt.

      Die Verachtung und Beschimpfung der »Schmierfinken«, der Journalisten, setzt sich fort in der – bei Botho Strauß, Martin Walser, Peter Handke et alii – üblich gewordenen gnadenlosen Schelte auf die Medien. Auch der Rundfunkjournalist Burkhard Müller-Ullrich holt in seinem Pamphlet »Medienmärchen. Gesinnungstäter im Journalismus« zum modischen Rundumschlag gegen seine eigene Zunft aus. Verantwortlich für die Verbreitung der Lüge im Journalismus ist für Müller-Ullrich der »Gesinnungsjournalist«. Der verstehe sich nämlich, so Müller-Ullrich ganz im Klischeejargon der Walser, Strauß, Bohrer, Handke »als Vorkämpfer des Guten in der Welt«3 sowie als »Abgeordneter einer höheren Moral« und übe so, in gefährlichem »Puritanismus« und »totalitärem Wahrheitspathos« einen »linksökologischen, multikulturellen Meinungsterror« aus. Allzu viele »Friedensforscher, Menschenrechtler und Umweltschützer« tummelten sich in einem Metier, das eigentlich etwas »für Zyniker, Rauhbauze und Sprachgenies« sei und betätigten sich als »Zeitgeistverstärker ohne eigenen Intelligenz-Input« und ließen es an journalistischen Tugenden wie Zweifel und Willen zur Transparenz fehlen. Einige der von Müller-Ullrich angeführten vermeintlichen Beispiele zeigen, wie sehr er selbst ein Opfer seiner rechtsideologischen, reaktionären Kontaminierung wird. So führt er an, daß das Waldsterben nur ein »journalistischer Wahn«, ein bloßes Rauschen im Blätterwald sei. Die »volle Wahrheit« vielmehr sei: daß die Öffentlichkeit zehn Jahre lang »mit apokalyptischen Artikeln« in einer »einzigen morbiden Orgie deutschen Gesinnungskitsches« »irregemacht«4 worden sei, um das »politische Empörungsmaterial« zu steigern. Der neue offizielle Schadensbericht sagt das Gegenteil. Nach Müller-Ullrichs Darstellung haben »die Medien« im Falle der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die Bevölkerung aus »Katastrophenlust« »zielstrebig und konsequent hysterisiert«5. 1996, zehn Jahre nach dem Unfall, erweckt er den Eindruck, als ob es weder unmittelbare Strahlenopfer, noch Spätfolgen, noch überhaupt eine atomare Fallout-Wolke gegeben habe. Tschernobyl – ein »Mediengau« von »professionellen ›Aufbauschern‹ der Wirkungen von ionisierender Strahlung«6? Medien – einen bequemeren Sündenbock gibt‘s nicht. Obwohl die Freiheit der Presse und der Meinungsäußerung sowie Gedankenfreiheit leidvoll erstrittene kerndemokratische Elemente sind. Und neben Legislative, Exekutive und Justiz als sogenannte vierte Gewalt Selbstausdruck der Demokratie sind. Müller-Ullrich freilich weist den Anspruch, »vierte Gewalt« zu sein, als Anmaßung zurück. »In Wahrheit steuern die modernen Massenkommunikationsmittel zum allgemeinen Erkenntnisfortschritt ziemlich wenig bei, weil sie von Nonsense total verseucht sind. Das gilt nicht nur für das ›Nullmedium‹ Fernsehen (um Hans Magnus Enzensbergers wunderhübschen Ausdruck zu gebrauchen), sondern auch für die dem Logos mehr verpflichteten Formen des Journalismus im Radio und in der Presse.«7 Richtiger ist: Auch in den seriösen Instituten von Fernsehen, Rundfunk und Presse ist das dem Logos verpflichtete Qualitätsangebot durchaus vorhanden. Unverzichtbar ist die im Grundgesetz festgelegte und vom Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigte »Grundversorgung« mit Information, Kultur und Bildung.8

      Der Zeitgeist sagt: Wir brauchen Männer, die notfalls mit ihrem Leben einstehen, nicht das »Gelabere« (Bohrer) der Journalisten und Medien. Nicht ohne Verständnis zitierte deshalb Joachim Fest 1993 in seiner Jüngeriade »Die schwierige Freiheit« die zynische Bemerkung von Francis Fukuyama, daß »eine liberale Demokratie, die alle 20 Jahre einen kurzen, entschlossenen Krieg zur Verteidigung ihrer Freiheit und Unabhängigkeit führen könnte, bei weitem gesünder und zufriedener wäre als eine Demokratie, die in dauerhaftem Frieden lebt«9. Wobei wir wieder bei Jüngers »Stahlgewittern«, bei »Feuer und Blut« wären. Der Krieg als Vater aller Dinge. Alle zwanzig Jahre ein neues Abenteuer namens Krieg?

       9. Zerfetzte Gesichter oder eine neue Ästhetik des Schreckens

      Jüngers martialische Kriegsprosa gilt im Rahmen solch geistiger Wiederaufrüstung als vorbildhaft. So reklamierte – da heute angeblich wieder Bedarf bestehe nach der Darstellung des Grauens – unter der Schlagzeile »Zerfetzte Gesichter. Die Ästhetik des Schreckens hat es hierzulande schwer« Thomas Medicus in der »Frankfurter Rundschau«1 Jüngers Darstellung kriegerischer Gewalt als »durchaus so etwas wie ein auf anthropologische Tiefenschichten zielendes ästhetisches Erkenntnismittel«. Wie bitte? Zu befreien sei dies »ästhetische Erkenntnismittel« nur