Название | Verrat der Intellektuellen |
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Автор произведения | Stephan Reinhardt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895775 |
Trotz seiner Befürchtung, die NSDAP beschreite den Weg des »westlerischen« Parlamentarismus, wünschte ihr Jünger doch, wie er 1929 in Ernst Niekischs Zeitschrift »Der Widerstand« schrieb, »von Herzen« den Sieg. Wie auch anders. Es war Wasser auf seine Mühle. Und als Hitler 1933 den Sieg errungen hatte, erwies Jünger ihr im »Nachrichtenblatt für die Ritter des Ordens ›Pour le Mérite« ausdrücklich seine Reverenz: »Der neue Staat, der sich von der Novemberrepublik auch darin unterscheidet, daß er sich auf die Taten und Leistungen im großen Kriege beruft, fordert die Mitarbeit jeder wertvollen Kraft. Sein Aufbau ist der eines Führerstaates; der geborene Führer wird ihm daher willkommen sein …«11
Jüngers frühe Kriegsprosa und seine politische Publizistik der Weimarer Jahre läuft hinaus auf das, was er 1930 im Titel seines Essays »Die totale Mobilmachung« nannte: auf die totale Ausrichtung aller auf ihr Deutschtum und auf dessen Realisierung um jeden Preis, auch oder gerade in einem neuen Krieg. In seinem im Herbst 1932 erschienenen Essay »Der Arbeiter« hatte Jünger seinen Zukunftsstaat modelliert: die Ablösung der liberalen Demokratie und des »bürgerlichen Individuums« durch den »Typus des Arbeiters«, durch eine Art Soldat der Werkbank, in einem totalitären, militarisierten »Arbeitsstaat«. Dieser Staatstypus entsprach weitgehend dem des »Dritten Reiches«. Als das NS-Regime dann aber den rassischen Antisemitismus der Reden und Programme tatsächlich in die Realität umsetzte, ging Jünger – erfreulicherweise – mehr und mehr auf Distanz. Dabei lehnte zwar auch er jede jüdische Assimilitation oder Integration ab, weil dadurch die von ihm befehdete Verwestlichung und Liberalisierung Deutschlands nur vorangetrieben werden würde, nicht aber billigte er die physische Vernichtung der Juden. Jünger 1985 im Gespräch mit dem französischen Literaturwissenschaftler Julien Hervier: »Natürlich war eine Reihe von sehr guten Gedanken da. Deshalb hatten die ja auch den großen Zulauf, zum Beispiel daß sie die Folgen des Versailler Vertrages weitgehend rückgängig machen wollten. Das leuchtete mir natürlich ein. Aber die Art und Weise der Ausführung hat mich eben zunehmend befremdet. Und eigentlich der wirkliche Abstand, den habe ich erst nach dieser Kristallnacht gewonnen. Das waren ja also Dinge, die mir von Grund auf widersprachen.«12 Und nach dem Ende des »Dritten Reiches«? Distanzierte sich Jünger da von der nationalen, ›wehrhaften‹, autoritären Idee des Nationalsozialismus? Keinesfalls. Eben das ignorierten zu Jüngers hundertstem Geburtstag am 29. März 1995 etliche seiner Jünger. Selbstkritische Korrektur totalitärer Irrtümer, unter diesem Leitgedanken flocht Frank Schirrmacher in der »FAZ« dem vitalen Alterswunder Jünger wahre Kränze. Vom konservativen Revolutionär und blutrünstigen Heißsporn zum gemäßigten, christlich inspirierten Anarchen und Waldgänger, der – bewußt Abstand haltend zur gewöhnlichen Normgebung der Masse – seismographisch in vermeintlich geschichtsfreiem Naturraum allein das Geschehende registriert, so wollten es viele seiner alten und neuen Verehrer wissen. Hat Jünger sich wirklich der Mühe einer Korrektur unterzogen? Noch der Siebenundachtzigjährige erklärte am 16. August 1982 in einem »Spiegel«-Interview, daß die eigentliche Realität für ihn noch immer das »Deutsche Reich« und daß sein Hauptwerk »Der Arbeiter« sei, eine verquaste demokratieresistente Phantasmagorie. Am 20. April 1945 notierte Jünger in sein Tagebuch: »Für den Autor kommt es nicht nur darauf an, die Lage zu erfassen, sondern sie zugleich zu bändigen, sie in einen Spiegel zu bringen, in den sich auch die Schreckensbilder einfügen.«13 – »Unsere Aufgabe besteht im Sehen, nicht aber in der Wertung«.
Liegt nicht aber im Sehen und Beschreiben schon – durch Ausgrenzung und Hervorhebung – Wertung, also Moral, Gewissen? Da für Jünger Geschichte und Wirklichkeit ein nicht korrigierbares, über den Menschen verhängtes Geschehen bilden, stellt er auch keine Fragen: nicht die nach individueller und kollektiver Verantwortung, nicht die nach der Korrekturbedürftigkeit der vier Essentials seines nationalrevolutionären »Programms«. »Schreckensbilder« wie Krieg und Kriegsverbrechen werden vielmehr immer wieder gerechtfertigt als Produkte des Schicksals und eingefügt in den »Spiegel« der Geschichte – unbegriffen abgestellt in der Kammer der Geschichte. Nicht um Fehleranalyse geht es, sondern um Entlastungsstrategie und Selbstbestätigung durch Widerspiegelung von Schreckensbildern. In einem der drei »Briefe an meine Freunde« Jüngers heißt es am 15. Juli 1946: »Überhaupt muß ich meine Leser bitten, meine Autorschaft als ganzes zu nehmen, in dem zwar Epochen, nicht aber Widersprüche zu unterscheiden sind. Ich möchte nicht zu jenen Zahllosen gehören, die heute nicht mehr an das erinnert werden wollen, was sie gestern gewesen sind.«
Schon in der 1941 entworfenen, im November 1943 geschriebenen und nach Kriegsende redigierten Schrift »Der Friede« suchte Jünger nach Entlastungsstrategien. Zwar distanzierte er sich darin vom »Dritten Reich« und modellierte – sympathischerweise – ein vereintes Europa, wehrte Schuldzuweisungen aber ab. Nicht der deutsche Nationalismus und Nationalsozialismus hätten den Krieg bewußt herbeigeführt, heißt es, sondern das »Walten des Weltgeistes«, der »Zug des großen Werdens« – Jüngers und des Seinsphilosophen Heideggers über alle Geschichte verhängtes Schicksal. Und um Schuld zu suspendieren und moralisch zu entlasten, erklärte Jünger neben den Deportierten auch gleich die deutschen Soldaten und die deutsche Zivilbevölkerung zu Opfern. Alle sind sie, befand er in der Ausgabe von 1960 der zu religiöser Besinnung und Kirchgang anhaltenden Weltanschauungsprosa »Der Friede«, Werkzeuge eines Reinigungsaktes der Schöpfung – eine groteske Entwertung des Leids der Opfer. Jünger: »Die Mannigfaltigkeit der Fronten verhüllte den Tätern und Leidenden die Einheit des großen Werkes, in dessen Bann sie wirkten – doch wird sie durch ihre Zeugung, durch ihre Verwandlung zum Opfer offenbar«14. Zwar spricht Jünger auch von den »Judengräueln« und davon, daß sie »das Universum gegen uns aufbringen«, setzt sie aber gleich mit dem »roten Schrecken«, den Verbrechen Stalins. Daß sich die Wehrmacht Hitler und seinem rassischen Vernichtungskrieg im Osten zur Verfügung stellte, ist für Jünger Folge eines »Weltbürgerkrieges«, nicht Ergebnis einer bereits Jahre vorher immer wieder programmatisch verkündeten Rassendoktrin. Und den Totalitarismus Stalins und Hitlers setzt er insofern gleich, als er beide zu Geschöpfen des Rationalismus erklärt: »Im Treibhaus der Kriege und Bürgerkriege trugen die großen Theorien des vorigen Jahrhunderts Früchte, indem sie sich zur Praxis wendeten. Nun trat zutage, daß das kalte Denken sie erfunden hatte, sei es, daß sie die Gleichheit, sei es, daß sie die Ungleichheit der Menschen kündeten.«15 Jüngers Argumentation fand Nachfolger – Ernst Nolte zum Beispiel.
5. Ernst Nolte kopiert Ernst Jünger im »Historikerstreit«
1986, vierzig Jahre nach Jüngers »Friedens«-Schrift und dem wenig später ähnlich argumentierenden Essay »Der gordische Knoten«, hat der Historiker Ernst Nolte im sogenannten Historikerstreit Jüngers Weltbürgerkriegsthese erneuert. Unter der Überschrift »Die Vergangenheit, die nicht vergehen will« veröffentlichte »FAZ«-Herausgeber Joachim Fest am 6. Juni 1986 in seinem Blatt einen Aufsatz, in dem Nolte behauptete: Es bestehe eine ursächliche Verbindung zwischen den Klassenmorden unter Lenin und dem nationalsozialistischen Rassenmord an den Juden. Ein bewußter Tabubruch: »Vollbrachten die NS, vollbrachte Hitler eine ›asiatische‹ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ›asiatischen‹ Tat betrachteten? War nicht der Archipel Gulag ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ›Klassenmord‹ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ›Rassenmordes‹ der Nationalsozialisten? … Aber so wenig wie ein Mord oder gar ein Massenmord durch einen anderen Mord ›gerechtfertigt‹ werden kann, so gründlich führt doch eine Einstellung in die Irre, die nur auf einen Mord und den einen Massenmord hinblickt und den anderen nicht zur Kenntnis nehmen will, obwohl ein kausaler Nexus wahrscheinlich ist.«1 Noltes Strategie: Die Naziverbrechen werden als Antwort auf – angeblich bis 1989 – fortdauernde bolschewistische Vernichtungsandrohungen verständlich gemacht und so relativiert. Das von den Nazis organisierte Verbrechen der Judenvernichtung, behauptet er, sei – »mit alleiniger Ausnahme des technischen Vorgangs der Vergasung« – keineswegs einmalig gewesen. Ein unbelasteteres Nationalbewußtsein