Verrat der Intellektuellen. Stephan Reinhardt

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Название Verrat der Intellektuellen
Автор произведения Stephan Reinhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895775



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      Die von Aufklärung, Humanismus, Pazifismus und Vernunft geprägten Ressourcen und Reserven waren im Deutschen Reich zu schwach, um der Militarisierung des Denkens durch rassistische und nationale Superioritätsphantasmen etwas entgegenzusetzen. Krieg, lange schon eine ganz natürliche Option, wurde in der ersten Dekade des Zwanzigsten Jahrhunderts herbeigesehnt als metaphyisches Reinigungsgewitter. Nicht nur Deutschland, alle europäischen Großmächte wollten es nun mithilfe der Waffen wissen. Vernunft und Denken waren erstarrt. Nicht nur im Deutschen Reich, aber doch besonders hier. In Deutschland manifestierte sich der massive Verrat der Intellektuellen zum Beispiel am 4. Oktober 1914 in der Erklärung »An die Kulturwelt« von 93 Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern. Sie glaubten ihr Land gegen den Vorwurf des Angriffskrieges verteidigen zu müssen und deklarierten eine enge Symbiose von deutscher Kultur und Militarismus: »Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur schon längst vom Erdboden verschwunden.«11 Viele fühlten sich durch dieses Manifest in ihrer Kriegseuphorie bestätigt. Nur wenige waren es, die sich dem kriegerisch erhitzten Nationalempfinden entzogen und besonnen Einspruch erhoben: In Frankreich Romain Rolland zum Beispiel. Seine Maxime: »über den Parteien« (»au-dessus de la melée«) stehen. Um sich vor Anfeindungen zu schützen, hielt er sich während der Kriegsjahre wie die Deutschen Hermann Hesse und René Schickele in der Schweiz auf. Den vernehmbarsten Einspruch erhob in Deutschland Heinrich Mann. Sein Roman »Der Untertan«, Anfang 1914 veröffentlicht, erregte Widerspruch und Empörung. Heinrich Mann widersetzte sich dem chauvinistischen Zeitgeist und demontierte dessen Doppelmoral. Als das Kaiserreich 1918 an seinen eigenen Widersprüchen zerbrach und besiegt wurde, wurde von Mitte-rechts mit der Dolchstoßlegende eine neue Verschwörungstheorie etabliert: Sozialdemokraten, Linke, Pazifisten und Juden wurden für die Niederlage verantwortlich gemacht. Beseitigung der – undeutschen, linken, jüdischen – Weimarer Republik sowie Revision des Versailler Vertrages lauteten nun die politischen Parolen der Rechten. Die mit ihrer Edelfeder Moeller van den Bruck während der Weimarer Republik intellektuell einflußreichste Gruppe der Jungkonservativen sowie Nationalrevolutionäre, bündische Jugend und Landvolk heizten ein chauvinistisches Klima an, das der »Bewegung« der Nationalsozialisten zuarbeitete. Der teutonische Rassismus samt seiner ideologischen Bausteine gipfelte im »Dritten Reich« schließlich im »Wieder Krieg« – des Zweiten Weltkrieges. Wieder Krieg. Was sonst? Wieder war das Resultat eine Weltkatastrophe, diesmal die schlimmste und folgenreichste: Sie mündete im historisch einmaligen – generalstabsmäßig organisierten, fabrikmäßig ausgeführten – Genozid an Juden und anderen Minderheiten. Der Versuch – zum Beispiel von Karlheinz Weismann in seiner Fortschreibung von Armin Mohlers »Die konservative Revolution« (6. Auflage 2005) – heute die Konservative Revolution vom Nationalsozialismus abzugrenzen, wird in der offenkundigen Absicht unternommen, erzkonservative Denkmuster vom Stigma des Nationalsozialismus zu befreien und neu zu aktualisieren. Beide indes, Konservative Revolution und Nationalsozialismus, lassen sich aber nicht voneinander trennen. Ganz zu Recht weist Felix J. Krömer in der »FAZ«12 daraufhin, daß der Nationalsozialismus die »Billigversion« der Konservativen Revolution darstellt, seine, wie Ernst Jünger es formuliert hat, »Münchner Schule«.

      Die Abkehr vom konservativen deutschen Sonderweg – dem des völkisch-deutschnationalen, nationalsozialistischen Rassismus, Nationalismus, Chauvinismus und Antisemitismus – erzwangen nach der bedingungslosen Kapitulation des »Dritten Reiches« am 8. Mai 1945 die Westalliierten. In Westdeutschland bedeutete das Wiederbelebung der mindestens zweimal – 1848 und am 30. Januar 1933 nach 14 Jahren Weimarer Demokratie – mißglückten Demokratie. Dabei war die Etablierung demokratischer Normalität in der Bundesrepublik immer auch – und ist es bis heute – eine Antwort auf die Frage: Wie wird in der Erinnerung mit der Vergangenheit – »erinnerungspolitisch« – umgegangen, wie also mit dem Holocaust? Und welche Rolle spielen dabei Begriffe wie Nation, ethnische Homogenität, deutsche Leitkultur? Werden sie überhöht oder den demokratisch-republikanischen Verfassungswerten untergeordnet? Hinter diesen Fragen verbirgt sich auch die Besorgnis, daß die »deutsche Krankheit« (Willms) der Selbstüberschätzung und Xenophobie noch immer nicht völlig aus der Welt ist. Wie schon angedeutet: Mit Wende und Vereinigung 1989/90 erhielt sie einen neuen Impuls. Als gesteigerte Fremdenfeindlichkeit machte sie sich vor allem im Ostteil wieder bemerkbar, belebte sich danach erneut auch in der alten Bundesrepublik. Soziologen wie Wilhelm Heitmeyer eruieren seit 2002 die traurige Virulenz des altbekannten fatalen Verhaltensmusters: Angst vor sozialem Abstieg in Zeiten von Globalisierung und Rationalisierung verstärkt die Ablehnung »fremder Kulturen« – das gilt nicht nur für die Unter-, sondern zunehmend auch für die Mittelschicht. Diese Abwehr des Fremden oder Anderen wird begleitet von geistiger Militarisierung und gesteigerter Gewaltbereitschaft. Und zu dieser geistigen Nahrung trug und trägt bei der Schriftsteller Ernst Jünger, der in den achtziger und neunziger Jahren erneut zu einer Ikone der Rechten in der Bundesrepublik wurde. Der notorische Antidemokrat feierte ein »Comeback« als Vordenker der konservativen Wende, eine Tatsache, die sein Biograph Helmuth Kiesel herunterzuspielen versuchte.13

       2. »Der Krieg ist der Vater aller Dinge« oder »Pfiff und Schliff« als »permanente Tatsache« – Ernst Jünger I

      Krieg als Selbstverständlichkeit, als Lebenselixier – wir betreten eine Vorstellungswelt, die uns nach dem Zweiten Weltkrieg fremd zu werden begann und die bis dahin in Deutschland ebenso fester Bestandteil der Realität gewesen war wie sie es in der militarisierten Gedankenwelt der George W. Bush von heute noch immer ist. Im November 1913 entfloh zum Beispiel der siebzehnjährige Apothekerssohn Ernst Jünger dem quälenden Hannoveraner Schulalltag. Er träumte von gefahrvollen Abenteuern in Afrika und ließ sich von der Fremdenlegion in Verdun anwerben. Als er mit dem Schiff in Afrika eingetroffen war, veranlaßte der entsetzte Vater mit Geld und guten Worten seine schnelle Rückkehr. Jünger durfte in Hannover das Notabitur machen. Danach drängte es ihn sofort wieder zum wahren Leben – zum Militär: Freiwillig meldete er sich beim Hannoveraner Füsilier-Regiment Nr. 73 »Prinz Albrecht von Preußen«. Dessen Angehörige trugen zur Erinnerung an die Verteidigung der Festung Gibraltar gegen die Franzosen in den Jahren 1779 bis 1783 eine Armbinde mit der in Gold gehaltenen Aufschrift »Gibraltar«. In diesem Traditionsregiment, dem er den ganzen Ersten Weltkrieg über angehörte, machte Jünger Karriere: vom einfachen Rekruten bis zum bewunderten Stoßtruppführer. Verwundungen und Beförderungen, Lazarettaufenthalte und Auszeichnungen wechselten einander ab. In Marquion bei Cambrai erhielt Kompanieführer Jünger am 25. August 1918 seine letzte Verwundung: einen Lungendurchschuß. Im Lazarett, so berichtet der Träger des Eisernen Kreuzes Erster Klasse im Kriegstagebuch »In Stahlgewittern«, zählte er schließlich alle seine Verletzungen der vier Frontjahre zusammen: »Von Kleinigkeiten wie von Prellschüssen und Rissen abgesehen«, hatte ich »im ganzen mindestens vierzehn Treffer aufgefangen, nämlich fünf Gewehrgeschosse, zwei Granatsplitter, eine Schrapnellkugel, vier Handgranaten- und zwei Gewehrgeschoßsplitter, die mit Ein- und Ausschüssen gerade zwanzig Narben zurückließen. In diesem Kriege, in dem bereits mehr Räume als einzelne Menschen unter Feuer genommen wurden, hatte ich es immerhin erreicht, daß elf von diesen Geschossen auf mich persönlich gezielt waren. Ich heftete daher das goldene Verwundetenabzeichen, das mir in diesen Tagen verliehen wurde, mit Recht an meine Brust … An einem dieser Tage, es war der 22. September 1918, erhielt ich vom General von Busse folgendes Telegramm: ›Seine Majestät der Kaiser hat Ihnen den Orden Pour le mérite verliehen. Ich beglückwünsche Sie im Namen der ganzen Division.‹«1

      Dem »rücksichtslos tapferen Führer« – so die Begründung des Divisionskommandeurs – war der höchste Kriegsorden verliehen worden. Mit der Nachricht der Verleihung und dem Abdruck des Telegramms beendete Jünger seine erste, 1920 erschienene Buchpublikation »In Stahlgewittern«. Beginnen ließ er sie im Januar 1915 mit der Ankunft des Militärzuges in Bazancourt, einem Städtchen in der Champagne in der Nähe der Front, und dem Bekenntnis: »Wir hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in den kurzen Ausbildungswochen zu einem großen, begeisterten Körper zusammengeschmolzen. Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen