Название | Verrat der Intellektuellen |
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Автор произведения | Stephan Reinhardt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895775 |
Die Sprengstoff und Metall »verspritzenden« Maschinen erzielen zwar immer größere Wirkung, machen aber nicht den einzelnen Soldaten überflüssig, im Gegenteil, wie Jünger in seiner »Skizze moderner Gefechtsführung« im »Militär-Wochenblatt« vom 13. November 1920 ausführte: »Nur ein Gegenmittel gibt es: die Kampfkraft der untersten Einheiten erheblich zu steigern, damit wenig Menschen dasselbe leisten, wie früher Massen auf gleichem Raum.«13 Um die Kampfkraft zu erhöhen, müsse, so Jünger, kleineren »Einheiten« wie Kompanie, Zug, Stoßtrupp und auch dem Einzelkämpfer »größere Selbständigkeit« eingeräumt werden. Im »Zukunftskämpfer« sieht Jünger einen Mann von seiner Statur: von »kaltblütiger Verwegenheit«, der sein Vorgehen »schlängelnd«, guerillaartig selbst bestimmt: »Das Schlachtfeld von heute fordert Männer, die friderizianischen Angriffsschneid, altpreußischen Geist verbinden mit selbständiger, sportsmäßiger Ausnutzung des Geländes und wissenschaftlicher Schulung im Gebrauch der technischen Mittel. Eine neue Zeit des Soldatentums ist angebrochen, ihr Held ist der intelligente, disziplinierte, in Kampf und Sport gestählte, rücksichtslose Sturmsoldat. Er ficht im geschlossenen Rahmen seines Stoßtrupps, einer Eliteschar … Meister des Sprengstoffs.«14
Wir kennen diesen Typ von Soldaten aus der amerikanischen Serie »Rambo«. Heute wird er präsentiert als »Übermensch in Uniform«15 mit GPS im Helm, Display im Visier und Klimaanlage im Unterhemd. Und doch wohl sie, eben solche Rambos, mit allen technischen Vernichtungsmöglichkeiten ausgestattete Kampfmaschinen, empfahl schon Jünger der Berufsarmee der Reichswehr. Zumal ihr 1919 laut Versailler Friedensvertrag schwere Artillerie, Flugzeuge und Tanks verboten waren. Dazu beizutragen, den als ›Diktat‹ empfundenen Vertrag von Versailles mit kriegerischen Mitteln außer Kraft zu setzen, dazu war Jünger von Anfang an entschlossen. Im »Spiegel«-Gespräch von 1982 stellte der 87-jährige noch einmal fest: »Als ich aus dem Krieg zurückkam und mir der Versailler Vertrag serviert wurde, da dachte ich, das ist eine kannibalische Sache, die unter allen Umständen geändert werden muß.«16 Den Friedensvertrag von Versailles, der in Artikel 231 die Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges feststellte, sehen liberale Historiker heute überwiegend als (best)möglichen Kompromiß. Er ließ, trotz erheblicher Gebietsabtretungen, das Deutsche Reich als Nationalstaat weiterbestehen. Vor allem: Er verhinderte nicht, daß der Weimarer Republik in wenigen Jahren der Wiederaufstieg zur wirtschaftlich stärksten Macht Europas gelang. Der Historiker Eberhard Kolb hat in seiner Studie »Der Friede von Versailles« darauf aufmerksam gemacht, daß die Weimarer Republik den Versailler Vertrag in wesentlichen Punkten, vor allem was die Reparationen anging, zu ihren Gunsten revidieren konnte. Die Rechte allerdings hat das Weimarer »Revisionssyndrom« »auf das schamloseste«17 gepflegt und mißbraucht. An vorderster Front agitierte dabei Ernst Jünger.
Ende August 1923 aus der Reichswehr ausgeschieden und damit publizistisch frei von Rücksichtnahme auf seinen Arbeitgeber, blies Jünger am 23. September 1923 im »Völkischen Beobachter«, dem in München erscheinenden »Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands«, zum Angriff auf die Weimarer Republik. Ablehnender und aggressiver läßt es sich kaum sagen: »Die sogenannte Revolution von 1918 war kein Schauspiel der Wiedergeburt, sondern das eines Schwarmes von Schmeißfliegen, der sich auf einen Leichnam stürzte, um von ihm zu zehren. Welche Idee ist denn verwirklicht durch diese Revolution? Die der Freiheit? Der Demokratie? Des parlamentarischen Systems? Diese Frage dürfte wirklich jeden in Verlegenheit setzen. Nicht einmal im rein Formalen war etwas Neues zu sehen, zum Teil wurden russische Einrichtungen kopiert, verbrauchte Phrasen von 1789 und 1848 hervorgezerrt, längst verfaulte Schlagwörter des Marxismus aufgewärmt. Überall da aber, wo es galt, selbständig Neues zu schaffen, versagten die Führer, sie sahen sich vorm Nichts und klammerten sich im Gefühl der Ideenlosigkeit gerade an die Zustände, die sie zu bekämpfen vorgaben. So wuchs der Kapitalismus durch ihre Hilfe mächtiger denn je, die politische Unterdrückung wurde grenzenlos, die Freiheit der Presse und des Wortes ein Kinderspott.«18 Für Jünger – und er ist Sprachrohr der Mehrheit – war die Weimarer Republik ein Fremdkörper. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – ihre ideelle Geschäftsrundlage – sind für ihn »die verbrauchten Phrasen von 1789 und 1848«. Etabliert haben sich nur Profitkapitalismus und Wirtschaftsliberalismus, ausgelebt werden als gesellschaftliche Grundwerte nur materielles Gewinnstreben und Konsumismus. Jünger vermißt die spirituelle Anleitung durch die alle und alles einende Idee der nationalen Gemeinschaft: »Hinter den Tarnfassaden von Regierungen und Kabinetten herrscht die Freibeuterei in ihrer nacktesten Form. Es gibt nur noch Plünderer und Ausgeplünderte. Die Berufe, die die ideellen Güter des Volkes zu wahren und zu mehren hatten, sterben aus. Die Vertreter des Materialismus in seiner ganzen Gemeinheit, Schieber, Börsianer und Wucherer, sind die wirklich Regierenden. Alles Reden und Handeln dreht sich um Ware, Geld und Profit.«19 Musterbeispiel dafür ist die konservative Kulturkritik an den USA. Auch Benn attackiert in gleicher Weise den Kapitalismus, skrupelloses Profitstreben, einen nur auf materielle Güter ausgerichteten Konsumismus, bedenkenlose Werbung und das Schneller, Höher, Weiter um jeden Preis. Die USA, von der Benn 1914 in New York als Schiffsarzt der Hapag einige Eindrücke gewonnen hatte, galten ihm als Prototyp einer falschen Entwicklung: einer hedonistischen, alles nivellierenden Massengesellschaft. Auf eine Umfrage, in der nach dem Einfluß des »Amerikanischen Geistes« gefragt wurde, antwortete er im Mai 1928: »Ich persönlich bin gegen Amerikanismus. Ich bin der Meinung, daß die Philosophie des rein utilitaristischen Denkens, des Optimismus à tout prix, des ›keep smiling‹, des dauernden Grinsens auf den Zähnen, dem abendländischen Menschen und seiner Geschichte nicht gemäß ist. Ich hoffe, daß der Europäer, wenigstens in den reinen Typen seiner Künstler, immer das bloß Nützliche, den Massenartikel, den Kollektivplan verschmähen und nur aus seinem inneren Selbst leben wird.«20 Nicht zu trennen vom »inneren Selbst« des Künstlers sei aber die Nation. Übereinstimmend mit dem linken Flügel der NSDAP fordert Jünger die völlige Unterordnung von Wirtschaft und Kapitalismus unter Geist und Idee der Nation. Die ausschließliche Konzentration auf den schnellen Erwerb von Reichtum – so seine Kapitalismuskritik von rechts – zerstöre das Gemeinwohlinteresse: »Alle Äußerungen des Staates, seiner Verordnungen, seine Erklärungen, seine Maßnahmen, sein Geld, seine Aufrufe, dünsten den Geruch des Verwesens aus. Wie könnte es auch anders sein, da die Revolution keine Geburt, kein Aufstrahlen neuer Ideen, sondern eine Verwesung war, die von einem sterbenden Körper Besitz ergriffen hat. Zu lange währt dieses ärgerliche Schauspiel schon.«21 Nach dieser mißglückten Revolution, so Jünger, stehe nun endlich die wahre bevor: »Die echte Revolution hat noch gar nicht stattgefunden, sie marschiert unaufhaltsam heran. Sie ist keine Reaktion, sondern eine wirkliche Revolution mit all ihren Kennzeichen und Äußerungen, ihre Idee ist die völkische, zu bisher nicht gekannter Schärfe geschliffen, ihr Banner das Hakenkreuz, ihre Ausdrucksform die Konzentration des Willens in einem einzigen Punkt – die Diktatur! Sie wird ersetzen das Wort durch die Tat, die Tinte durch das Blut, die Phrase durch das Opfer, die Feder durch das Schwert.«22 Bedarf es deutlicherer Worte: Zerstörung der parlamentarischen Demokratie durch das Schwert und Errichtung der Diktatur der national und völkisch Gesinnten unter dem Banner des Hakenkreuzes? Jünger formulierte im »Völkischen Beobachter« im September 1923 mit diesen Kernforderungen auch das Programm Hitlers und der NS-Bewegung. Und wie diese gebrauchte er stereotyp seine üppige Metaphorik des Blutes. Unentwegt trug er das Klischee der völkischen Feier des blutreichen Opfertodes vor: »… nicht das Geld wird in der Revolution die bewegende Kraft darstellen, sondern das Blut, das in geheimnisvollen Strömen die Nation verbindet und das lieber fließt als sich knechten läßt. Das Blut soll unsere neuen Werte gebären, es soll die Freiheit des Ganzen unter Opferung des einzelnen erstehen lassen, es soll seine Wellen werfen bis an die Grenzen, die uns zukommen, es soll die Stoffe ausscheiden, die uns schädlich sind. Das sind die Ziele, für die auf unseren Barrikaden gefochten wird!«23 Spricht Jünger von schädlichen Stoffen, die aus dem nationalen Blutkreislauf auszuscheiden sind, fällt zumeist das Wort »Krämer«. Er und der in Jüngers Sprachgebrauch synonyme »Bürger«, zuweilen sind es auch »Advokaten und kleinbürgerliche Gewerkschaftssekretäre«, gelten ihm als Prototypen