Название | Gulaschpuzzle |
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Автор произведения | Lutz O. Korndörfer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373468 |
»Tom, alles in Ordnung?« Boris klang besorgt.
»Jajaja«, maulte ich und gab der renitenten Kiste einen Tritt, worauf sich ein Rudel Töpfe scheppernd im hinteren Teil des Transporters verlor.
»Wo sind wir eigentlich?« Mit einem Hechtsprung gelangte ich zurück auf den Beifahrersitz.
»200 Kilometer.«
Boris war, außer es betraf Autofahrer, Politessen oder kleine kläffende Hunde, ein eher wortkarger Kollege. Nicht nur war dies die kürzestmögliche Antwort – sie beantwortete auch gleich meine nächste Frage. Leute, die uns nicht kannten, waren manchmal etwas verwirrt, wenn sie unserer Konversation folgten. Aber so war Boris: schnörkellos, direkt, auf den Punkt. Man könnte auch sagen: maulfaul. An seinem Körper hatte die Gemütlichkeit bereits erste Spuren hinterlassen. Die Haut spannte sich an den üblichen Problemstellen. Zusammen mit seinen halblangen schwarzen Haaren, die strähnig wie ein Topf Schnittlauch aus seinem großen Schädel herauswucherten, gab ihm das einen gewissen alternativen Touch. Die Second-Hand-Militärklamotten verliehen ihm jedoch die notwendige Portion Rambo, um nicht gleich mit Körnerstampfern und Saftpressern ethnisch vermischt zu werden.
»Da häng ich mich ran.«
Boris war auf einen orangefarbenen LKW aufgefahren. Und zwar so knapp, dass ich den etwa briefmarkengroßen Aufkleber mit dem Spruch »Ich bremse auch für Frauen« ohne Sehhilfe lesen konnte. Respekt. Feminist alter Schule.
»Ist das nicht ein bisschen knapp?«
»Windschatten fahr’n. Müssen Sprit spar’n.«
»Und wenn der bremst?«
»Der bremst nicht!«
»Ach nein?«
»Nein.«
Boris’ Zuversicht beruhigte mich nicht wirklich. Beifahrenderweise mit der Nase an einer orangeroten Wand zu kleben, machte mich nervös. Ich schloss die Augen und versuchte mich aus dem Wagen hinauszudenken. Versuchte mir vorzustellen, was mich in Berlin erwarten würde.
Ich war erst einmal dort gewesen, 1983 mit meinen Eltern. Da stand die Mauer noch, und ich fragte mich, warum die uniformierten Männer in den Grenzhäuschen so komische Frisuren trugen. Mein Vater war wenig begeistert, als ich diese Frage von der Rückbank aus laut und vernehmlich ausformulierte und sein Wagen daraufhin komplett zerlegt wurde. Jetzt, 25 Jahre später, wollte ich in Berlin meinen Beitrag zur Marktwirtschaft leisten. Wurde auch Zeit, dass ich mich nach zwei abgebrochenen Ausbildungen und Jahren des konstruktiven Müßigganges in das Bataillon der redlichen Arbeitnehmer einreihte.
Ich hatte gerade einen Aushilfsjob als – Pause – »Target Promotor« eines Süßwarenherstellers geschmissen. »Target Promotor« hört sich zwar fast so urban trendy und nach massenweise Schotter an wie »Creative Director« oder »Head of Human Resources«, bestand aber in meinem Fall zumeist aus dem Auftragen lustiger Tierverkleidungen in Lebensgröße, um von der minderjährigen Target-Gruppe in Ladenpassagen verspottet zu werden. So zuletzt auf dem Parkplatz des REAL-Marktes in Bottrop und in Gestalt eines für Nussnougatriegel Reklame laufenden Drei-Meter-Bären (weil die ja so gerne Haselnüsse fressen!) mit 60 Grad Körpertemperatur, als Boris mit dem – Originalton – »Brüllerjob« um die Ecke kam.
Boris und ich kannten uns schon seit der Schulzeit in Duisburg. Die Lehre zum Groß- und Einzelhandelskaufmann hatten wir noch gemeinsam abgebrochen, dann hatte ich es in der Gastronomie versucht und war dem Ruhrgebiet treu geblieben, während er nach Berlin gegangen war, um Masseur und/oder medizinischer Bademeister zu werden. Zu seinem Glück kam der IT-Boom dazwischen, so dass er seine Leidenschaft für die Computer-Daddelei mit Hilfe aufgeblähter Aktiengesellschaften in aberwitzige virtuelle Geldmengen, Porsche und Ferienhaus verwandeln konnte. Dummerweise waren Aktien nur bedrucktes Papier und kurze Zeit später nicht einmal mehr dieses wert. Aus den materiell noch vorhandenen Zertifikaten rollte er sich ab und zu riesige Joints – die »New-Economy-Droge«, wie er es nannte.
Seit ein paar Jahren war er nun, laut Selbstauskunft, als freier Mitarbeiter der Import-Export-Branche, sprich Transporte, Entrümpelungen, Umzüge und so weiter, im Einsatz. Und so kam es, dass sich gegenwärtig mein kompletter Hausrat und ich in seinem Mercedes-Kleinlaster befanden, um in ein neues Leben voller richtiger Arbeit aufzubrechen.
Der Feminist vor uns verließ die Autobahn und steuerte die Zapfanlage eines Autobahnrastplatzes an. Boris blieb zentimeterdicht hinter ihm und hielt an.
»Was ist jetzt? Warum halten wir hier?«
»Der macht gutes Tempo, genau richtig, da bleib ich dran.«
»Du hast doch gesagt, wir hätten wenig Sprit. Tank doch was, dann können wir auch wieder ohne den Kasten da fahren.« Ich deutete auf den LKW.
»Noch Geld?«
Ich kramte in meinen Hosentaschen. 300 Euro. Die brauchte ich aber morgen früh als Kaution für die Wohnung, die Boris angemietet hatte. Da er aus seiner alten rausmusste, hatte er freundlicherweise angeboten, gleich für uns beide eine neue zu suchen.
»Ich hab noch acht Euro. Det lohnt doch nich«, bilanzierte Boris.
»Und jetzt?«
»Weiterfahr’n. Windschatten.«
»Und wenn der Sprit nicht reicht?«
»Der reicht schon.«
»Sicher?«
»Ja doch.«
Die orangefarbene Wand bewegte sich wieder und saugte uns zurück auf die Autobahn.
»Gib mal ’n Saft!«, verlangte Boris.
»Saft« war seit der Schulzeit unser Codewort für alkoholische Getränke, mit dem wir vor unseren Erzeugern das Ausmaß unseres Spirituosenkonsums verharmlosten. Das hatte eigentlich immer recht passabel funktioniert, bis zu dem Tag, als ich nach dem Genuss diverser Säfte nicht mehr in der Lage war, das Bett meines Jugendzimmers zu verlassen. Meine besorgte Mutter empfing den herbeigerufenen Arzt mit den Worten: »Der hat doch nur Saft getrunken.« Der Medizinmann war nicht auf den Kopf gefallen und diagnostizierte eine ausgewachsene Alkoholvergiftung, besaß aber die Größe, Mutter diese lediglich als Magen-Darm-Verstimmung zu verkaufen.
»Der hat doch nur Saft getrunken« wurde anschließend als Synonym für Vollrausch mit schwerer Übelkeit und/oder Erbrechen in unseren Sprachgebrauch übernommen.
Ich öffnete zwei Krombacher-Säfte und reichte Boris einen davon. Stumm salutierten wir und benetzten unsere durstigen Kehlen. Der Regen hatte nachgelassen. Ich öffnete das Seitenfenster und atmete die kalte Herbstluft ein. Es roch nach nassem Wald.
Plötzlich musste ich niesen und bemerkte ein unangenehmes Kratzen in meinem Hals. Ich schloss das Fenster und fluchte. Wie ich diese Erkältungen hasste! Wenn wir schon in der Lage waren, komplette Menschen zu klonen, warum hatte es noch keiner der armseligen Forscher geschafft, diesen lächerlichen Schnupfen auszurotten. Da müsste man doch nur ein bisschen am Erbgut dieser Erreger rumschrauben, und schon könnten denen kleine Popeye-Ärmchen mit Fäustchen wachsen, mit denen sie sich dann selbst gegenseitig so lange ins Gesichtchen schlugen, bis sie platzten. Ich grinste böse. Genau, das sollten diese Pfuscher machen, und nicht wehrloses Obst und Gemüse genmanipulieren oder Menschen in Reagenzgläsern vervielfältigen, um am Ende vielleicht sämtliche Zeugungsvorgänge abzuschaffen …
»Scheiße!«
»Was ist los?«
»Sprit ist alle.«
»Aber wir fahren doch noch.«
»Wir rollen.«
»Das ist doch scheiße jetzt!«
»Sag ich doch.«
Der Windschatten spendende Feministentransporter entfernte sich langsam wie ein großes orangefarbenes