Название | Unter fremdem Himmel |
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Автор произведения | Roland E. Koch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941371 |
Auf meiner Uhr war es schon nach sieben, und ich musste mich beeilen. Ich nahm das andere Rad, damit Valentina ihres hatte, aber das Licht fiel immer wieder aus, und ich kam nicht so schnell voran, wie ich gedacht hatte. Es war plötzlich wie in einem neuen Traum, ich strampelte und strampelte, aber der Weg wurde immer länger. Ein Auto überholte mich, und ich wünschte mir, so schnell sein zu können.
Endlich erreichte ich die Straße mit den Geschäften. Alles lag schon im Dunkeln, und ich bog in die hintere Einfahrt ein. Das Fahrradgeschäft war beleuchtet, aber die Tür zur Werkstatt verschlossen. Ich probierte es vorn, klopfte, rief, aber niemand machte auf. Ich war eine halbe Stunde zu spät, wahrscheinlich hatte der Besitzer enttäuscht aufgegeben, auf mich zu warten und würde mir auch keine neue Chance geben. Ich war bei der ersten Verabredung unpünktlich gewesen, das sagte alles.
Ich schämte mich, es war sinnlos gewesen zu schlafen und zu träumen. Ich musste warten, bis der Besitzer morgens kam und ihm alles erklären. Ich musste versuchen, das, was ich dachte zu ordnen. Ich hockte mich in den Eingang, es war nicht mehr so kalt, aber ich konnte kaum hier sitzen bleiben. Wenn mich jemand entdeckte, wäre ich sofort verdächtig. Ich stand trotzdem nicht auf und dachte an Valentina. Ich konnte sie nicht vor mir sehen, sosehr ich mich auch anstrengte, sie war zu nah, sie hatte den Raum vor meinem Gesicht nicht verlassen. Sie wirkte auf mich nicht mehr jung oder hübsch oder anziehend, sie wirkte wissend, einsehend, sie spürte mehr, als sie sagte. Wahrscheinlich hatte ich davor Angst.
Erst dann kam ich auf die Idee, unter der Fußmatte nachzusehen, und fand einen Schlüssel, in einen Zettel gewickelt. Sieben Räder waren zu machen, Herr Steinke hatte alles aufgeschrieben. Ich sollte am nächsten Abend pünktlich sein, dann würde ich das Geld bekommen, den Schlüssel sollte ich wieder unter die Matte legen.
In der Werkstatt war es warm, es gab ein Waschbecken, und ich trank Wasser aus dem Hahn. Ich ließ die Jalousien herunter und begann mit der Arbeit. Alles, was ich brauchte, war da, und ich kam schnell voran. An jedem Fahrrad klemmte ein Zettel mit der genauen Fehlerbeschreibung, ich konnte den Punkt, den ich erledigt hatte, abhaken.
Gegen zehn kam sogar Herr Steinke noch einmal vorbei, schaute, was ich schon geschafft hatte, brachte mir ein Wurstbrot und eine Dose Cola und gab mir seine Telefonnummer, für den Fall, dass ich doch eine Frage hatte. Ich schätzte, dass ich so bis zwei oder drei brauchen würde. Außerdem suchte ein guter Kunde jemanden, der im Garten ein paar Bäume fällte, ohne großes Aufsehen, ob ich das auch könne?
Ich musste Ja sagen, auch wenn ich, jetzt im Frühjahr, nicht viel davon hielt. Ich nickte. Ich war froh, als er wieder ging und mich allein arbeiten ließ. Ich arbeitete wie ein Automat, das war nicht ich, ich arbeitete, um wegzukommen, nicht stehenzubleiben, mich auszuhalten, es auszuhalten.
Und während ich arbeitete, hörte ich eine leise, ernste, traurige Musik, von einem Streichinstrument gespielt, ein tiefer Ton, der sich in die Höhe aufzuschwingen versuchte, eine alte Musik, die doch so war, als höre man sie zum ersten Mal, als spreche sie von der Verlorenheit und kenne den Weg hinaus. Sie war wie eine Linie, die durch die Felder lief, wie der Weg, den ich gegangen und gefahren war, wie ein Band, das mich an etwas festhielt, das ich nicht verlieren wollte. Es klang, als träte ein ungeeignetes Instrument diese Reise an und sich allmählich verjüngte, beweglicher wurde, als wüchse es mit der Musik, die es nur von oben empfing, ja als sei das Instrument ein Resonanzkörper, aufgestellt, um die Schönheit dieses Tons einzufangen. Wie ein Seufzen, das aus der Tiefe kam, dorther, wohin ich noch nie hatte sehen können.
Wie die Töne sich immer weiter emporschraubten, so hatte ich einmal nach oben an die Decke meiner Zelle geblickt, wo durch eine Art Glasbaustein manchmal etwas Tageslicht sichtbar wurde, hatte es angebetet, mich nach ihm gesehnt, ihm die Kraft zugesprochen, mich zu heilen oder zu retten. Die Musik war schön, und ich lauschte jetzt mit dem ganzen Körper, sie schnitt tief in mich ein, wie ein Faden, aber sie entfernte zugleich etwas, das vernäht und zugewachsen gewesen war.
So träumte ich von einer Vergangenheit, und ich dachte nicht an die Gegenwart. Um zwei und um drei war ich noch lange nicht fertig, ich aß und trank etwas, dann schlief ich einmal kurz ein. Gegen fünf wachte ich auf und machte die restlichen Räder fertig. Ich blieb in der Werkstatt, bis es dämmerte, es gefiel mir, der Geruch nach Gummi und Öl war schön, ich hätte am liebsten Tag und Nacht hier zugebracht, aber ich wollte mich Herrn Steinke gegenüber diesmal zuverlässig zeigen. Um acht legte ich den Schlüssel unter die Matte und machte mich auf den Rückweg.
5
Es war schon hell, der Tag schien sonnig und klar zu werden. Viele Autos kamen mir entgegen, in denen Mütter ihre Kinder zum Kindergarten oder zur Schule fuhren, andere, in denen ein einzelner Mann oder eine einzelne Frau saßen. Außerhalb der Stadt fuhr ich gleichmäßig schnell und erkannte schon den langen geraden Weg, der zur Mühle führte. Rechts und links waren Abwassergräben, an deren Rändern Pflanzen wild durcheinanderwuchsen. Ich sah von Weitem wieder Schafe, jedes Mal denke ich, sie müssten mir Glück bringen.
Auf der Schafweide erblickte ich eine Gestalt, einen Mann, der auf einem Baumstumpf saß und nichts tat, ja es schien mir, als säße er da, um mich zu beobachten. War es jemand aus unserer Gruppe? Er sah nicht so aus; er schien alt zu sein, so alt wie Herr Steinke, und ich kannte ihn nicht.
Plötzlich wusste ich, dass ich nichts anderes zu tun hatte, als zu ihm zu gehen, mit ihm zu sprechen, dass er da saß und auf mich wartete. Er war wie ein Ziel, das man hundertmal auf Fotos und Landkarten gesehen hat, eine Sehenswürdigkeit, ein Berggipfel, eine Bucht, das dann vor einem liegt und anders aussieht, als man es sich vorgestellt hat. Ich lehnte das Fahrrad an einen Zaunpfahl, kletterte über den Stacheldraht und ging auf den Mann zu. Ich hatte mit der Hand den Draht gestreift und mich verletzt, blutete leicht, ging aber immer weiter, ohne mich darum zu kümmern.
Jeder meiner Schritte war ein Strich auf einem Instrument, getreu den Noten gespielt, sich unausweichlich auf das Ende hinsteigernd. Der Mann war älter, als ich gedacht hatte, aber in seinen müden Augen sah ich, dass er sich erinnern würde. Er trug einen dicken schwarzen Mantel, der bis auf den Boden reichte, Handschuhe und einen Schal, eine schwarze Wollmütze, sodass man wenig mehr als seine Augen sehen konnte.
Du bist schon früh unterwegs, sagte er und lachte.
Seine Stimme kam mir nicht fremd vor, geschmeidig und geübt. Oder hatte nicht er gesprochen, und die Stimme war von woanders gekommen?
Ich habe dich von Weitem gesehen, sagte ich.
Du brauchst dich nicht zu beeilen, sagte er. Du hast noch viel Zeit und musst nur Geduld haben und sehen. Du musst wiederkommen.
Er starrte auf den Boden, als könnte er dort etwas sehen, das mit mir nichts zu tun hatte.
Ich nahm das Fahrrad und schüttelte den Kopf. Was hatte ich mir auf der Schafweide eingebildet? Dass ein alter Schäfer oder Bauer mir etwas eröffnen konnte?
Als ich zur Mühle kam, sah sie verändert aus, sie lag in der Frühlingssonne wie ein rotes, wärmendes Gebilde, so sehr glühte sie in den Strahlen. Die Tür stand offen, aber Valentina schien nicht da zu sein, ihr Fahrrad war weg, und ich stellte dafür meins in die Scheune. Ich rief den Jungen, den ich in der Küche fand, mit seinen Bleistiftstrichen beschäftigt, er beachtete mich nicht. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, spürte aber, wie er sich verkrampfte und den Kopf einzog, als fürchte er einen Angriff.
Ich trank etwas von dem Tee, der auf dem Tisch stand, nahm mir eine Scheibe Toast und legte sie auf die Herdplatte. Der Junge bemerkte mich nicht, er hielt sich in seiner Welt auf und konnte nicht heraus. Ich summte ihm leise eine Melodie vor, die Melodie, die ich beim Arbeiten in der Nacht gehört hatte, versuchte, die tiefen Töne zu treffen und meine Stimme dann nach oben zu drücken, aber er schien nicht zuzuhören. Er sah so verlassen aus, wie er zaghaft mit seinem Bleistift die