Unter fremdem Himmel. Roland E. Koch

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Название Unter fremdem Himmel
Автор произведения Roland E. Koch
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783943941371



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hatte das Gefühl, er werde sein ganzes Leben so sitzen, an einem Tisch, mit seiner Brille und einem Blatt Papier, versunken in Gedanken und Fantasien, die er niemandem mitteilen konnte, beschäftigt mit Schmerzen, für die er keinen Ausdruck fand. Er würde wie ein Roboter immer weiter zeichnen, bis er nicht mehr konnte, und ich wollte ihn unterbrechen, ihn aus seiner Isolation reißen.

      Ich nahm ein Blatt und seinen Bleistift, den er nur schwer hergab, zeichnete einen Kreis, eine Figur, eine Frau, Valentina, aber er sah nicht einmal zu, er wollte auch das fertige Bild nicht betrachten. Als ich ihm seinen Bleistift nicht wiedergab und er die Absicht spürte, begann er zu weinen, leise, fast tonlos, aber mit vielen Tränen, die seine Brille noch mehr verschmierten. Er weinte so, als sei es aussichtslos, als wisse er schon, dass er damit nichts erreichen konnte, nur aus Resignation, oder um zu zeigen, dass man ungerecht zu ihm war. Ich wurde ungeduldig, am liebsten hätte ich ihn gezwungen, einmal hinzusehen, aber das lag nur an meiner Müdigkeit.

      Als ich etwas gegessen hatte, wurde ich ruhiger. Ich streichelte Roddy über das Haar und ging in mein Zimmer. Eigentlich durfte man ihn überhaupt nicht allein lassen, dachte ich, aber ich schlief sofort ein, mit dem Gedanken, dass ich am Abend auf keinen Fall zu spät kommen durfte.

      Es war Mittag, als ich wach wurde, die Sonne schien stärker, und ich musste wieder überlegen, wo ich war. Ich ging in die Diele und hörte ein Seufzen oder Brummen, ich öffnete die Tür einen Spalt, Roddy saß immer noch an derselben Stelle und wiegte seinen kleinen Körper hin und her, dabei summte er leise, und es war fast wie die Melodie, die ich ihm vorgesungen hatte.

      Ich ließ ihn allein, duschte und wusch meine Unterwäsche, dann suchte ich Wäscheklammern und hängte sie unter dem Fenster an eine alte Wäscheleine. Valentinas Fahrrad war wieder da, und im Vorratsraum lagen neue Lebensmittel, ich nahm mir sofort eine Banane und spürte, wie hungrig ich war. Ich nahm auch eine für Roddy mit. Er aß sie, nachdem ich sie für ihn geschält hatte, ohne mit dem Singsang aufzuhören, und ich war froh, dass er so gelassen schien.

      Valentina lag in ihrem Zimmer auf dem Bett.

      Hast du Geld?, fragte sie.

      Das bekomme ich heute Abend, hoffentlich.

      Ich habe was zu essen geholt, sagte sie.

      Ich ging auf sie zu und wollte sie etwas fragen, ich wusste noch immer nichts über sie, ich spürte nur, was ihr vielleicht passiert war, warum sie hier war, aber ich wollte sie nicht drängen.

      Was glaubst du, wie lange wir noch bleiben können?, fragte sie.

      Ich sah ihre Angst, und ich antwortete nicht. Es war sogar, als könnte ich eine dämmerige Höhle sehen mit unterteilten Gängen, in denen eine angespannte Bewegung herrschte, rötliche Wände, ins Rosige spielend, darin versteckt kantige Steine, die nur schwer hineinpassten und sich auch in der sauren, feuchten Luft nicht auflösten, dick und klobig lagen sie im Weg, versperrten den entscheidenden Gang, hinter dessen Biegung das vibrierende Zentrum lag wie ein Bahnhof, unterdrückte Stimmen klangen von dort, unverständliche Gespräche, auch ein scharfes Geräusch, das ich zu erkennen glaubte, wie wenn ein Zug bremst, doch ich fühlte mich hier nicht fremd, ich ging im Geiste durch die Gänge und spürte die Wünsche, die nur jemand erfüllen konnte, der sich genau darin auskannte, wie sie erfüllt werden mussten, ich sah ein schlankes, regelmäßiges Schlagen, ein freundliches Bemühen, aber dann war meine Vision zu Ende, und ich stand vor Valentina wie ein Lehrer, der in einer dem Schüler unbekannten Sprache unterrichten soll.

      Wir können uns gegenseitig helfen, sagte ich. Der Junge – ich wusste nicht weiter.

      Wir müssen ihn irgendwo hinbringen, wo er versorgt wird. Ich kann hier nicht mehr bleiben, ich will in eine Stadt gehen, wo ich etwas verdienen kann, wo andere Leute sind, ich halte die Einsamkeit nicht aus.

      Ich schwieg, denn ich hatte gespürt, dass sie all das nicht sagen wollte, es waren Sätze, die sich unbeabsichtigt gelöst hatten, aus ihr herausstürzten, die nicht ihre waren. Es wäre nicht einmal gut gewesen, sie zu warnen, dass sie überall zurückgeschickt werden konnte, mit zwei Grenzschutzmännern neben sich, falls sie versuchen sollte, sich zu wehren.

      Ich ging schnell in die Küche und setzte mich zu Roddy. Ich wollte nichts sagen, ihn nur ansehen, und zum ersten Mal bemerkte ich, dass er ein hübscher, gut aussehender Junge war. Er brauchte Bewegung, er musste sich austoben, etwas Sportliches lernen, bei dem er mithalten konnte.

      Wieder begann ich zu sehen, ich erkannte eine dunkle enge Schachtel, die zu vollgestopft war und an deren Seiten Fäden oder Fetzen heraushingen. Ich sah eine schlammige, unbefestigte Straße, über die Abwässer liefen, eine Gruppe von dünnwandigen neuen Häusern, dicht aneinandergebaut, nach Norden gelegen. Ich sah eine Reihe von Erwachsenen, die über etwas berieten, sich anschrien, Koffer packten. Ich sah ein präpariertes Herz in einem Glasgefäß, ausgesetzt, schutzlos, und jemanden, der an dieses Herz dachte, immerzu, wenn er ärgerlich oder traurig war.

      Ab jetzt würde ich nichts mehr falsch machen, nahm ich mir vor, nachdem ich dies gesehen hatte; die Fehler, die ich in vierzig Jahren begangen hatte, lagen wie die Ernte eines Herbstes oder die Strecke einer Jagd vor mir. Es war leicht, sie zu zählen, zu erkennen, es fühlte sich plötzlich einfach an, sie zuzugeben, sie abzuschütteln, mich so zu fühlen, dass ich sie nie mehr machen konnte. In mir lag eine lange, unendliche Linie von Weg, den ich nicht mehr zurückgehen konnte. Es schraubte immer weiter, und schon sah ich mich wie ein guter Mensch für Valentina und Roddy sorgen, aber das war ja ein Fehler gewesen, ich hatte immer ein Helfer sein wollen, als Ersatz für meine Mängel, so durfte es sich nicht wiederholen.

      Ich nahm meine Jacke und ging in die Scheune, Fahrräder reparieren. Ich hatte noch vier Stück vor mir und dachte nicht darüber nach, warum ich nun Tag und Nacht nichts anderes mehr tat, das Tun war entlastend, ein Rückzug, aber er machte mich sicher.

      Später ging die Tür auf, und Roddy kam herein, ich freute mich, denn er sah mir neugierig zu, summte meine Melodie, als sei das mein Name oder unsere Begrüßung, drehte an den Pedalen der auf dem Kopf stehenden Fahrräder, klingelte an den Glocken und wirkte plötzlich verändert, als sei er wach geworden. Ich zeigte ihm die kaputten Schläuche, brachte ihm bei, wie man eine Luftpumpe benutzt, und musste lachen, als er recht geschickt die Schläuche aufpumpte, die sofort die Luft wieder verloren.

      Ich gab ihm einen großen Nagel und einen Hammer, zeigte ihm den Schraubstock, drehte den Nagel fest und ließ ihn mit dem Hammer darauf herumklopfen. In der Zwischenzeit zog ich neue Schläuche ein, stellte Roddy Fragen, nach seinem Lieblingsessen, seiner Lieblingsfarbe, natürlich antwortete er nicht, aber ich fragte weiter, um ihn daran zu gewöhnen.

      Als Roddy nicht mehr spielen wollte, nahmen wir den flachgeklopften Nagel aus dem Schraubstock, und er hielt mir stolz den kleinen Gegenstand entgegen, der wie ein Messer aussah. Wir hoben eine alte Bank aus der Ecke hoch, trugen sie nach draußen vor das Haus und setzten uns.

      Die Sonne wärmte und brannte auf der Haut, es war schön, sich dem hinzugeben, und wir seufzten beide über das Licht und die Hitze. Die Sonne sank schon tief, aber wir blieben sitzen, wir fröstelten, und es war, als erwarteten wir noch etwas, einen letzten Strahl, eine Erklärung, ein Bild, das die untergehende Sonne schließlich an den Himmel werfen würde. Roddy lehnte sich an mich, und ich hatte zum ersten Mal seit einer Zeit, die ich vergessen hatte, das Gefühl, wie mich jemand berührte und seine Energie zu mir schickte. Es fühlte sich an, als sei mit ihm alles in Ordnung, als arbeite dort innen ein gesundes Herz, ein starkes Gehirn, das nur vorübergehend vom Strom der Außenwelt abgeschnitten war, das sich dennoch bald wieder öffnen und Energie abgeben würde. Roddy musste nur lernen, zu sprechen.

      Ich spürte seine Geschichte, und ich blieb so sitzen, bis ich etwas sah, es war eine lange Schlange von Pinguinen, die aufgeregt und in Panik hintereinander herliefen, durch eine tiefweiße Landschaft, sie versuchten, einen Zugang zum Wasser zu finden, aber ein ungeheurer Eisberg hatte sich dazwischengeschoben, sodass sie einen Umweg machen mussten. Alle liefen und liefen, obwohl sie zu müde und zu hungrig waren, aber es war ihre einzige Chance, um Futter zu finden, sie konnten nur vorwärts gehen und einen neuen Weg suchen.

      Ich erzählte Roddy die Geschichte, und er schien mir zuzuhören, denn er sah