Название | Unter fremdem Himmel |
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Автор произведения | Roland E. Koch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941371 |
Es gab eine große Diele, von der mehrere Türen abgingen, und ich suchte die Küche. Ich öffnete eine Tür und war überrascht, einen Jungen von vielleicht sieben oder acht Jahren zu sehen, mit schwarzen Haaren, einer Brille und unbeweglichem Blick, der ganz allein zu sein schien.
Wo ist denn deine Mutter?, fragte ich, aber er antwortete nicht.
In der Küche fröstelte ich und stellte meine Tüten auf den Tisch. Auch wusste ich plötzlich nicht mehr, wo ich mich befand. Es war mir, als müsse ich mich umsehen, und ich erkannte ein schmales schwarzes Haus auf einer Hügelkuppe, ein Haus mit vielen niedrigen Stockwerken, dilettantisch aufeinandergebaut, mit kleinen Fenstern und einem unsymmetrischen Dach, mit Holz verkleidet, ich sah es wie zum ersten Mal, und doch wusste ich genau, wo es stand, in der Nähe meines Geburtshauses, der Kirche und der Schule, dort, wo ich immer zu einer Kindergruppe gegangen war; aber ich wusste, dass ich es früher nie in Ruhe angesehen hatte und es jetzt erst bemerkte, Jahrzehnte später; und doch baute es sich in meinem Kopf vollständig zusammen, als stünde ich davor und röche den leicht rußigen Geruch von früher, spürte die Angst, meine Mutter zu verlieren, die ich damals hatte, und das Gefühl, ganz allein und ohne fremde Hilfe überleben zu müssen.
Der Junge hatte noch nicht reagiert, er trank aus einer kleinen Glasflasche ohne Etikett und tat so, als sehe er mich nicht.
Kann ich auch was zu trinken haben?, fragte ich.
Ich öffnete die Tür und horchte in den Flur, um herauszukriegen, wo die Frau hingegangen sein konnte. Es war nichts zu hören.
Ich nahm mir von der Spüle ein fleckiges Glas, wusch es aus und trank das kühle, saubere Leitungswasser, das nach Kalk und Metall schmeckte. Dann ging ich die restlichen Tüten holen. Als ich zurückkam, hatte der Junge begonnen, die Vorräte auszupacken. Ich lächelte ihn an, aber er beachtete mich wieder nicht. Ich nahm ein paar Scheiben Toastbrot, untersuchte sie auf Schimmel und legte sie dann auf die Platte des Küchenherds, die noch warm war. Einen Toaster schien es nicht zu geben. Als die Scheiben geröstet waren, bot ich dem Jungen eine an, und er begann zu essen, wie ein Vogel, immer darauf bedacht zu fliehen, sobald jemand in seinen Schutzbereich kommen sollte.
Ich packte die restlichen Sachen aus, ordnete sie auf dem Tisch, tat einiges zur Seite, das mir verdorben erschien, und suchte einen Kühlschrank, auch den fand ich nicht. Als ich den Lichtschalter ausprobierte, stellte ich fest, dass es keinen Strom gab. Warm war es auch nicht, aber viel angenehmer als in meinem Steinhaus. Ich hatte den Wunsch, mich zu waschen und zu schlafen, nur wollte ich den Jungen nicht allein lassen. Am Ende der Küche gab es eine Nische mit einem alten roten Sofa, ich zog meine Jacke aus und legte mich mit angewinkelten Beinen hin, ausstrecken konnte ich mich nicht.
Ich schlafe vielleicht ein, sagte ich, das kann lange dauern, lass mich einfach in Ruhe.
Diesmal nickte der Junge ernsthaft, als habe er nicht nur das verstanden, was ich gesagt hatte, sondern noch viel mehr, meine Situation, meine Gedanken, meine Befürchtungen.
Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, es war noch hell, aber es schien bereits zu dämmern. Als ich wach wurde, sah ich zuerst das Gesicht des Jungen, der vor mir stand und mich beobachtete, seinen Blick, der eher Hilfe suchend als neugierig schien, aber irgendetwas stimmte nicht mit diesem Blick, das hatte ich schon am Morgen gemerkt. Es war, als sehe er nur wenig oder fast nichts von der Außenwelt, als forsche er nach innen und könne sich nicht aus einem Gefängnis befreien.
Ich stand auf, mein Mund war ausgetrocknet, ich fühlte mich wie von einer schmutzigen, wächsernen Schicht überzogen, der Rücken schmerzte, und mir war kalt. Ich erschrak, als ich bemerkte, wie ängstlich der Junge zurückwich, als ich ihm über sein schönes schwarzes Haar streichen wollte. Am Morgen hatte er keine Angst gehabt. Vielleicht wollte er nur nicht berührt werden?
Wie heißt du denn?, fragte ich.
Wieder antwortete er nicht.
Ich heiße Simon, sagte ich.
Das ist nicht mein richtiger Name, aber ich nenne mich so, weil er überall verstanden wird, wenn man ihn passend ausspricht oder schreibt. Er gefällt mir besser als mein alter Name, den ich schon fast vergessen habe. Der neue hat etwas von einem Seher oder Propheten.
Ich suchte die Malsachen des Jungen, die auf dem Tisch lagen, nahm einen Stift und schrieb ihm meinen Namen auf. Aber wieder reagierte er nicht, als ich ihm die Buchstaben zeigte. Er hatte dünne, feine Striche gemalt, nebeneinander, unsicher und zaghaft, wie Muster auf Versteinerungen.
Ich schaute aus dem Fenster. Man konnte weit über die Felder sehen, es gefiel mir, man war einsam und nicht eingezwängt, hatte das Gefühl, dass einem das Land gehörte, soweit man blicken konnte; ich hörte die Vögel in der beginnenden Dämmerung singen, wie ich es so liebte. Ich blieb eine ganze Weile ruhig stehen.
Ich vermisste die anderen, mit denen ich hierhergekommen war. Was war aus ihnen geworden? Wir waren zwölf Personen gewesen, Insassen eines Kleintransporters, Ausgespuckte, Verlorene, ohne Herkunft, ohne Papiere, ohne Geld, wir hatten uns nur mühselig verständigen können, kaum jemand konnte Deutsch, manche sprachen etwas Englisch, aber wir hatten schon nach ein, zwei Tagen zusammengehört. Wir hatten zusammen kampiert, gegessen, Wache gehalten, wir waren durchgekommen, und unser Fahrer hatte uns hier rausgelassen, weil es menschenleer schien. Ich musste besonders an Kari denken, ein vierzehnjähriges Mädchen. Ich hatte versprochen, ihr zu helfen, sie hatte keine Eltern mehr, und ihr Bruder war unterwegs ausgestiegen.
Als ich eine kräftige kleine Hand auf meiner spürte, schrak ich auf, der Junge hatte sich neben mich gestellt und schien mit mir nach draußen zu starren, meine Gedanken zu teilen. Ich spürte die Wärme und Entschlossenheit seiner Hand, drückte sie und nahm ihre Energie auf.
Dann merkte ich, dass es dunkel wurde. Ich fand weder eine Kerze noch eine Taschenlampe und wollte mich überall umsehen. Der Junge stieß einen Schrei aus, als ich ihn losließ, einen Klagelaut oder Schmerzenston, wie ein kleines Tier, und ich sah ihn überrascht an. Er ging wieder zum Tisch und hockte sich auf einen Stuhl, ohne mich weiter zu beachten. Er musste etwas essen und ins Bett, aber wer kümmerte sich um ihn?
Ich sah mich in der Diele um, auch da war nichts Brennbares zu entdecken. In einem Raum fand ich Lebensmittel, es schien noch kühler zu sein, deswegen brachte ich alle Vorräte hierher. Nebenan war eine Art Büro, in dem ein Fernseher und ein Telefon standen, beide funktionierten nicht. Daneben lag ein großes Badezimmer, ich schloss mich ein, benutzte die Toilette und drehte das Wasser in der Dusche auf. Es wurde nicht warm, aber ich zog mich aus und sprang unter den kalten Strahl, ich hatte zwei Wochen nicht mehr geduscht und nahm mir von dem Shampoo, das dort stand, bis ich mich sauber fühlte. Ich hätte gern noch länger unter dem Wasser gestanden, aber ich zitterte und hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Ich fand ein Handtuch, trocknete mich ab und zog mich wieder an. Meine Unterwäsche weichte ich mit Seife im Waschbecken ein, ich wollte sie später aufhängen.
Plötzlich sah ich mich selbst, vor dem Spiegel, ein blasses, unrasiertes Gesicht. Ich sah mich monatelang, jahrelang in diesem Haus umhergehen, schleichen, leise auftretend, sah das Haus meine Heimat werdend, so vertraut, dass ich im Dunkeln alles fand, dass ich seinen Atem kannte, seine Geräusche, seine Seele. So vertraut, dass ich eines Tages die immergleichen Wege an den immergleichen Wänden entlang nicht mehr aushalten und wieder meine Wanderung aufnehmen würde, wieder ein Verlorener und Verlassender sein wollte. Ich zog die restlichen Sachen an, drehte mir ein Handtuch um den Kopf und ging zurück in die Küche.
Ich spürte schon im Flur, dass sich etwas verändert hatte. Eine Kerze brannte, und die Frau war zurückgekommen. Der Junge kniete vor ihr und hielt seinen Kopf in ihrem Schoß versteckt, dabei wimmerte er leise und zuckte, während die Frau etwas summte. Die beiden waren so versunken, dass sie mich nicht bemerkten. Ich ging zu ihnen und murmelte einen Gruß.
Du bist ja noch da, sagte die Frau.
Ist das deiner?, fragte ich.
Sie schüttelte den