Название | Unter fremdem Himmel |
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Автор произведения | Roland E. Koch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941371 |
Du kannst uns etwas zu essen holen, sagte sie.
Der Junge drehte sich nicht um.
Ich heiße Simon, sagte ich.
Valentina, sagte sie leise.
Was ist mit ihm?
Hol uns was zu essen, flüsterte sie.
Ich nahm die Kerze vom Tisch und leuchtete vorsichtig in den Vorratsraum, fischte aus den Tüten, was mir für ein Abendessen passend erschien, und trug es in die Küche. Die beiden wippten und schaukelten immer noch vor sich hin.
Du musst ins Bett, sagte Valentina.
Der Junge rollte sich auf den Boden, wie ein Embryo, unempfänglich gegen Sprache, gegen Veränderung, gegen Forderungen. Valentina packte ihn an Beinen und Armen und trug ihn hinaus. Ich nahm die Kerze und leuchtete den beiden in ein Zimmer, das aussah wie Valentinas Schlafzimmer. Der Kleine hatte dort ein Lager aus Matratzen und Decken, sie zog ihm ein viel zu großes Nachthemd an, nahm ihm die Brille ab, ging mit ihm ins Bad und legte ihn ins Bett. Er hatte sich nicht mehr bewegt und keinen Laut von sich gegeben, ich näherte mich, um ihn anzusehen, aber Valentina machte mir Zeichen, ihm nicht zu nahe zu kommen.
Du darfst ihn nicht anfassen, sagte sie.
Wir gingen zurück in die Küche.
Er hat einen Gehirnschaden, sagte sie, seit der Geburt oder durch eine Krankheit, ich weiß es nicht, ich weiß nicht einmal, wie alt er ist. Wir waren hier zu fünft, die Leute, mit denen er kam, sagten, seine Eltern und seine Schwester seien verschwunden.
Wir aßen, reichten uns gegenseitig die Packungen über den Tisch, es gab verschiedene Säfte, und ich mischte sie mit Wasser. Wir hatten Toastbrot, Käse, Gurken, Oliven, Frühstücksfleisch in Dosen, und ich aß nur so viel, bis ich mich beinahe satt fühlte. Ja, ich bekam alles, was ich mir gewünscht hatte, ich war gewaschen, trocken, fror nicht mehr, konnte essen, trinken und zufrieden sein. Nur rasiert hätte ich mich gern, aber auch mit einem Bart konnte ich es aushalten.
Valentina räumte den Tisch ab und brachte die Lebensmittel weg. Ich fürchtete schon, dass sie nicht wiederkommen würde, aber sie setzte sich noch mal an den Tisch.
Kann ich heute Nacht hierbleiben?, fragte ich.
Ich hatte das Gefühl, ich solle lieber zurückhaltend sein, gleichzeitig wollte ich um jeden Preis bleiben.
Es ist Platz genug, sagte sie. Du kannst dich im Büro einrichten. Es sind Matratzen und Decken da. Die Frau, der die Mühle gehört, lässt mich hier wohnen, aber ich muss alles in Ordnung halten. Sie wird irgendwann zurückkommen. Dafür werden wir nicht kontrolliert. Ich weiß nicht, wie lange ich noch bleibe.
Auf einmal wurde mir klar, wie einsam ich gewesen war, wie plötzlich sich alles verändert hatte. Ich saß in einem richtigen Haus mit einer Frau und einem Kind, als sei das ein neues Leben und ich könne einmal alles richtig machen.
Ein Jahr lang hatte ich nur gezögert. Gezögert, ob ich weggehen sollte, wohin, wie, wann am besten, ich hatte immer gehofft, dass alles besser werden würde, und ich bleiben könnte. Dabei war es schon viel zu spät gewesen, und es war nur schlimmer geworden. Ein Jahr in einer heruntergekommenen Wohnung, mit der Hoffnung, wieder arbeiten zu können, krank war ich gewesen, monatelang hatte ich mich nicht hinausgetraut, hatte mit niemandem gesprochen. Dieses Zögern war meine Schwäche, auch jetzt stand ich wieder da und sah von rechts nach links anstatt geradeaus.
Ich kann etwas helfen, sagte ich.
Das wolltest du ja schon heute Morgen, antwortete sie leise, aber nicht wie ein Vorwurf.
Ich ging noch einmal nach draußen. Es war wieder eine klare, kalte Nacht, nicht dunkel, der Mond schien, und ich sah die Sterne und ringsum die flachen Felder. Niemand hatte vorhersehen können, dass ich hier landen würde, aber ich hatte immer das Gefühl gehabt, als würde ich noch oft umziehen.
Valentina half mir, eine Matratze in das Büro zu tragen, ein Bett zu machen, ein wenig aufzuräumen, sie brachte eine Kerze, Streichhölzer und eine Uhr.
Dafür machst du morgen Frühstück, flüsterte sie, wieder sprach sie so leise, als fürchte sie, belauscht zu werden.
Warum gibt es keinen Strom?, fragte ich.
Strom und Telefon haben sie abgestellt, offiziell wohnt hier keiner, und die Mühle soll abgerissen werden. Aber vielleicht wird sie auch umgebaut. Wir haben reichlich Kohlen, und du kannst den Ofen in der Küche anheizen. Damit kochen wir auch. Ist dir kalt?
Ich wunderte mich über ihre besorgte Frage und musste lächeln.
Ja, mir ist kalt, sagte ich.
Sie lächelte auch.
Was kannst du denn noch, außer Fahrräder reparieren?
Ich verstehe viel von Autos, sagte ich. Ich kann Deutsch, und ich kann unterrichten.
Das kannst du hier vergessen, sagte sie.
Wieder grübelte ich über ihre Aussprache nach, sie kam mir so bekannt vor, meine Mutter und die Verwandten meiner Mutter hatten so gesprochen.
Wir können nicht immer so weitermachen, sagte sie. Das Essen bei der Kirche holen, ohne Papiere. Einer muss sich melden, einen Antrag stellen.
Sie ist höchstens fünfundzwanzig, dachte ich, sie ist allein, sie hat keine Kinder, sie könnte einfach einen Deutschen heiraten, einen Bauern, hier kann sie sich einen aussuchen. Ich wollte sie nicht fragen, woher sie stammte, wie alt sie war, ob sie allein gekommen war, ich wurde auf einmal wieder traurig.
Ich roch den fremden Geruch in meinen Kleidern und dachte an einen Ort, an dem ich einmal für ein Jahr gelebt hatte, im Süden, ich hatte nie wieder weggehen wollen, aber ich wurde versetzt und wehrte mich nicht. Es war immer ein Geruch von feuchter alter Kleidung, von in Kellern gelagertem Bettzeug dort gewesen, nahe am Meer, und alles, was man trug, wurde sofort von diesem Geruch durchzogen.
Ich bin müde, sagte Valentina, und wir lachten nicht mehr.
Was machst du mit dem Jungen?, fragte ich.
Ich kann ihn nicht mitnehmen, wenn ich weggehe, sagte sie. Er braucht einen Platz, wo er bleiben kann.
Ich seufzte.
In dem Büro lag ich lange wach. Ich spürte, wie jemand hier gesessen und gerechnet hatte, oder bildete ich mir das ein? Ein Müller oder Bauer, der abends seine Abrechnungen fortsetzte, zu müde, um aufzuhören, sorgenvoll wegen der sinkenden Zahlen? Es roch nach Alter und Angst, die Wände strömten das aus. Hier hatten unglückliche Menschen gewohnt. Ich dachte an den Jungen, dessen Namen ich nicht kannte. Er brauchte einen Arzt, musste untersucht und behandelt werden. Es wäre ein Verbrechen, ihn hier zurückzulassen.
Ich zuckte zusammen, als ein Auto vorbeifuhr und ich die Scheinwerfer auf mein Fenster gerichtet glaubte. Noch immer war ich auf der Flucht, noch immer konnte ich mich nicht setzen oder legen ohne Angst.
3
Als ich wach wurde, wusste ich nicht, wo ich war. Ich hatte in der letzten Zeit an so vielen verschiedenen Orten geschlafen, dass ich abgestumpft war gegen das fragende Erwachen, ich nahm es einfach hin. Es war still und noch nicht hell, das Fenster wurde durch einen dämmernden Hintergrund sichtbar. Ich fror, aber wenn ich die Decke fest um mich wickelte, wurde es besser. Ich dachte daran, dass ich Leute gesehen hatte, die ich wieder verlassen würde, aber allmählich fielen mir Valentina und der Junge ein, und ich stand auf.
In der Scheune lagen Kohlen, ich heizte den Küchenherd an, stellte einen Wasserkessel darauf, aß eine Scheibe Toastbrot und sah vorsichtig in das Zimmer der beiden. Sie schliefen, von Valentina waren nur ein paar blonde Haare zu sehen, sie wandte mir den Hinterkopf zu, und ich hätte ihn am liebsten berührt. Der Junge bewegte sich, und ich ging wieder in die Diele. Der Anblick der beiden gab mir so viel Energie, dass ich nicht herumsitzen konnte.
Mit einer Kerze fand ich in der Scheune Valentinas Fahrrad und nach einigem