Название | Unter fremdem Himmel |
---|---|
Автор произведения | Roland E. Koch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941371 |
Sie sah mich an und schüttelte den Kopf.
Haben Sie das Fahrrad hier gekauft?, fragte ich.
Sie verneinte wieder.
Ich nahm ihr das Fahrrad ab, hängte es auf, untersuchte das Vorderrad und begann, die Speichen festzustellen.
Ich hole es dann ab, sagte sie.
Kennen Sie jemanden, der eine Aushilfe sucht, im Haushalt oder mit Alten?
Ich wusste, dass ich viel zu viel gesagt hatte.
Ich sehe noch alles durch, sagte ich, in einer Stunde können Sie es abholen.
Ich fragte mich, ob sie von meiner Aussprache irritiert war. Ich musste üben, um nicht so schroff und ungelenk zu klingen. Die Frau ging, ohne sich zu verabschieden, und ich sah sie in ihrem dünnen Kleid in einen übertrieben großen Wagen steigen, das Kind aus der Schule holen, in die Einfahrt des Einfamilienhauses einbiegen, den Mann erwarten, eine Freundin besuchen, lauter vorhersehbare Dinge tun, und doch beneidete ich sie.
Der Besitzer war nicht misstrauisch, als er mich entdeckte, aber er kam mir trotzdem gewitzt vor. Dabei war er sicher weit über siebzig, wenn nicht sogar schon achtzig; an seiner Stelle hätte ich die Werkstatttür nicht unverschlossen gelassen. Ich hätte in der Zeit vieles ausräumen und klauen können. Vielleicht war er schon vergesslich und zerstreut. Er schien zu glauben, dass er mit seiner Strenge und seinem angestrengten Denken alles verhindern konnte. Er wunderte sich nicht einmal, dass er nicht abgeschlossen hatte.
Er tat mir ein bisschen leid, weil ich mir vorstellte, dass er allein war und versuchte, die Arbeit zu tun wie immer, das Geschäft offen zu halten und nicht aufzugeben. Ich hatte am Vordereingang das Schild gesehen »50 Jahre Fahrrad Steinke«.
Ich wollte fragen, ob Sie eine Aushilfe brauchen, sagte ich, dann war niemand da, und eine Frau kam, ich habe schon mal angefangen.
Ich mache mich zu klein, dachte ich, ich muss mich besser darstellen, ich kann das doch alles.
Ich sagte meinen Namen, und er duzte mich sofort.
Hast du Papiere?
Ich schüttelte den Kopf.
Wenn du abends kommst und ich genug zu tun habe, kannst du nachts arbeiten. Komm heute Abend vorbei, dann sehen wir weiter, dann sagen wir, du bist ein Cousin.
Ich brauche Schläuche, sagte ich.
Du kannst das da fertigmachen, sagte er.
Ich nannte ihm die Größe.
Du kannst dir nachher hier welche nehmen, sagte er, die sind alle noch in Ordnung.
In einer Ecke lagen alte Mäntel und Schläuche durcheinander.
In dem Moment erschien ein Mann mit einem Rennrad. Ich arbeitete weiter, machte das Kinderrad fertig und suchte nach den Schläuchen. Der Alte kontrollierte meine Arbeit.
Am besten kommst du heute Abend so gegen sieben, sagte er. Ich zahle fünf Euro pro Rad.
Ich hätte mich freuen können, dass der erste Versuch gleich geklappt hatte, aber ich war auch ängstlich, wegen der Leute, die mich gesehen hatten, wegen der Papiere, wegen Valentina.
4
Ich klemmte die Schläuche auf den Gepäckträger, bestieg mein Rad und suchte den Rückweg. Inzwischen regnete es, mein neuer Wollmantel war nicht wasserdicht, saugte sich langsam voll und wurde schwer. Die Vögel sangen, trotz des Regens, wie im Mai, und ich dachte, dass ich alles ändern konnte, dass es noch nicht zu spät war für mich. Ich suchte im Fahren die Papierkörbe ab und fand Zeitungen der letzten Tage, die ich mitnahm.
Alles war hier flach und von Weitem sichtbar. Ein paar Gestalten saßen unter den Vordächern der Geschäfte, ich fuhr in die Nähe des Bahnhofs und beobachtete die Obdachlosen, die sich unter einem überdachten Fahrradständer versammelt hatten. Viele Frauen waren jetzt unterwegs, ich sah ihnen an, dass sie etwas kaufen würden, das sie nicht brauchten, dass ihre Lust in diesem Gehen und Kaufen bestand, nicht lange an den Dingen interessiert war, und ich wünschte mir dringend, dass eine von ihnen mir Geld gab, nur eine, damit ich mir eine Pelerine oder ein Zelt oder falsche Papiere kaufen konnte. Morgen musste wieder einer von uns zur Kirche, die ausgemusterten Lebensmittel abholen.
Ich fuhr durch große Pfützen, der Weg war aufgeweicht, und ich geriet manchmal ins Rutschen. Die Mühle lag dunkel und scheinbar verlassen da. In der Scheune zündete ich die Kerze an. Ich legte die Schläuche auf die Werkbank und pumpte sie auf, um zu sehen, ob sie dicht waren. Dann ging ich ins Haus, ich hatte Hunger und wollte etwas zu essen mitnehmen für die Nachtarbeit.
Als ich die Tür zur Diele öffnete, kam der kleine Junge aus der Küche, rannte auf mich zu, packte mich am Bein und hielt mich mit seinen kräftigen Armen fest, dabei seufzte er immer wieder und sagte einen Laut oder ein Wort, das wie »Roddy« klang. Er drückte sich an mich, als habe er jemanden wiedergefunden, den er heftig vermisst hatte, auch ich umarmte ihn und streichelte seine Schultern. Er sah mich nicht an, aber ich spürte seine Angst, seine Verzweiflung und seinen Wunsch durch die Hände und Arme, durch seine Stimme, die immer wieder dasselbe Wort zu sagen versuchte, und ich antwortete besänftigend mit demselben Wort.
Valentina stand in der Tür und sah uns zu. Als Roddy, so nannte ich ihn jetzt, mich losgelassen hatte, rannte er zwischen ihren Beinen hindurch in die Küche, ich wollte ihm folgen, aber an der Schwelle ließ Valentina mich nicht weiter und umarmte mich. Ich schloss die Augen, und obwohl ich spürte, wie unbiegsam mein Körper blieb, wie sperrig und widerstrebend, drückte ich auch Valentina an mich. Es war nichts zu sagen. Es war nichts zu denken.
Valentina hatte Tee gekocht, wir aßen dazu Nudeln mit Salami, und ich fühlte mich schnell besser. Ich erzählte von dem Job, den ich vielleicht bekommen konnte. Roddy hob den Kopf, als müsse er unbedingt etwas mithören, das für ihn lebenswichtig war, und wir sein Schicksal beratschlagten, als ich sah, dass seine Brillengläser verschmiert waren. Ich wollte ihm die Brille abnehmen, um sie abzuwaschen, aber er schrie und wehrte sich.
Roddy, sagte ich, aber er kämpfte mit aller Kraft um seine Brille, und ich ließ sie los.
Du brauchst Papiere, wenn du arbeiten willst, sagte Valentina, sonst fliegst du sofort auf. Die Besitzerin der Mühle soll jemanden kennen, der Beziehungen hat. Du musst mir ihr sprechen.
Du brauchst auch Papiere, sagte ich.
Valentina folgte mir mit einer zweiten Kerze in die Scheune und half, ein Fahrrad fertigzumachen, damit wir beide eins hatten. Roddy hatte sich inzwischen auf sein Bett gelegt.
Nimmt er die Brille nur nachts ab?, fragte ich.
Ja, es wäre so gut, wenn er sprechen könnte, wenn er sagen könnte, was er will, seufzte Valentina.
Und Roddy, ist das sein Name?
Keine Ahnung, ich habe das zum ersten Mal gehört. Die Leute, die ihn zurückgelassen haben, sind Russen, aber ich weiß nicht, wer seine Eltern waren.
Ich sah Valentina aufmerksam an, aber mir war, als gleite auch mein Blick unwillkürlich von dem ab, was ich fixierte, als laufe er eigensinnig durch den Raum und gehorche mir nicht.
Sie nahm meine rechte Hand und legte sie auf ihre Wange. Ich spürte nichts, ich betrachtete sie und wünschte mir, in sie hineinsehen oder -tasten zu können, eine Schwingung oder Strömung zu fühlen, aber es kam keine Antwort. Valentina knöpfte ihre Strickjacke auf. Ich legte meine Hände über ihre und hielt sie fest.
Plötzlich lachte sie und stand auf.
Wann kommst du zurück?, fragte sie.
Je nachdem, wie lange ich arbeiten kann, sagte ich. Vielleicht habe ich dann schon Geld.
Ich spürte ihre Enttäuschung, aber ich wollte irgendetwas Gutes sagen, sie nicht