Название | Unter fremdem Himmel |
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Автор произведения | Roland E. Koch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941371 |
Niemand hatte mich nach einem Ausweis oder meiner Herkunft gefragt, die Leute wirkten abwesend, wie mit großen Sorgen beschäftigt. Endlich biss ich in das Brötchen, und mir schossen viele Empfindungen gleichzeitig durch den Körper. Ein starkes Frösteln, ein Schauder, eine Erinnerung an ein Stück Fladenbrot, das ich als Kind gegessen hatte, nachdem ich lange krank gewesen war. Das Brötchen schmeckte wunderbar, es war mit weichem Käse bestrichen, und ich fühlte all meine Kraft zurückkehren.
Pfeifend ging ich mit den schweren Tüten den Weg, den ich gekommen war, ich hatte keine Genehmigung, kein Geld, nicht mal eine einzige Münze, ich wusste nicht, wo ich bleiben sollte, aber ich ging vorwärts wie jemand, der eine Aufgabe, einen Platz, eine Geschwindigkeit hat, mit der er seine Arbeit erledigt. Ich roch die Abgase der Autos, in der Ferne sah ich eine große Fabrik, trug meine Schätze und wusste, dass ich schon einmal so gegangen war.
Der Rhythmus meiner Schritte erinnerte mich an früher, an eine Zeit, die ich erlebt oder nicht erlebt hatte, so weit lag sie zurück. Es war der Rhythmus der Schritte, derer, die auf dieser Straße gegangen waren, vorgestern, vor zehn Jahren, vor siebzig Jahren, ich hörte ihn, ich hörte ihre Schuhe, ihre Stiefel, ihre Sandalen und ihre nackten Füße.
Ich war einmal so gegangen, dachte ich plötzlich, ich war einmal ein richtiger Mensch gewesen. Ich hatte eine Familie, ich hatte eine Arbeit, ich erinnerte mich schwach, vielleicht war ich sogar Lehrer gewesen, aber wie sie ausgesehen hatten, meine Familie, meine Schüler, meine Geliebte, ich selbst, das wusste ich nicht mehr. Es war alles gelöscht. Es lebte nichts mehr. Ich fiel in eine Art Trance, ging immer weiter und dachte an eine lange Wanderung, an Hunderte von Kilometern, die vor mir lagen.
In einer der Tüten hatte ich Toastbrot, Oliven, Dosenfisch, Käse, es konnte mir nicht schlecht gehen. Unterwegs betrachtete ich die Lebensmittel. Das Haltbarkeitsdatum war abgelaufen, die Oliven schmeckten gut. Aber ich aß lieber vorsichtig, hob es für später auf und ging weiter.
Dann fühlte ich mich kaum noch hungrig, ich fror nicht mehr und dachte nach. Wo sollte ich schlafen, ich hatte vergessen, den Mann danach zu fragen, ob es einen Platz für mich gab. Ich wollte nicht zurückgeschickt werden. Ich wollte einen Bauernhof finden, auf dem ich mich verstecken, schlafen und vielleicht arbeiten konnte, Autos reparieren, Kälber und Ferkel füttern, pflügen oder mähen, ich hoffte, man könne mich irgendwo brauchen und ich würde eine Genehmigung bekommen.
2
Während ich ging und auf das Schlurfen meiner zu großen Schuhe achtete, fuhr ein Fahrrad vorbei, ein ziemlich altes Damenfahrrad, mit doppelten, geschwungenen Rohren, es erschien mir vertraut, ich kannte mal jemanden, der so eins fuhr, oder hatte ein ähnliches einmal repariert, das kann ich, Fahrräder reparieren.
Ich achtete zuerst auf das Fahrrad, nicht auf die Frau, die darauf saß und beinahe umkippte, so voll beladen war es. Sie hatte schwer zu treten und schwankte immer weiter, als sie mich überholt hatte. Sie trug einen gelben Anorak und sah nass aus, obwohl es nicht regnete. Im Gegenteil, die Sonne schien und wärmte, es würde wieder ein klarer, trockener Tag werden, aber nachts nahe am Frost. Die blonden Haare der Frau fielen mir auf, sie trug schwere Wanderschuhe und eine weite Hose. Ich ging einfach weiter, aber jetzt war es, als folgte ich ihr, denn sie fuhr immer langsamer.
Schließlich blieb sie stehen und drehte sich zu mir um, aber so, als habe sie etwas verloren. Ich schüttelte den Kopf, sie lachte und blieb stehen, bis ich näher gekommen war. Sie untersuchte ihr Fahrrad, und ich sah, dass sie einen Platten am Hinterreifen hatte.
Wie ist das denn passiert, schimpfte sie und sah mich an, als hätte ich damit etwas zu tun.
Haben Sie eine Luftpumpe?, fragte ich. Vielleicht können wir den Schlauch flicken.
Meine Stimme klang heiser, weil ich bis auf die paar Sätze am Morgen kaum gesprochen hatte. Bestimmt hörte man auch den Akzent.
Nichts dabei, sagte sie, aber es ist nicht mehr weit.
Ich bückte mich und sah mir den Reifen an.
Ich habe Flickzeug zu Hause, sagte sie.
Wenn Sie wollen, kann ich das machen, sagte ich.
Ich sah in die Tüten an ihrem Lenker und im Fahrradkorb und musste lächeln. Dieselben Sachen, die ich auch abgeholt hatte, lauter aussortierte, abgelaufene Lebensmittel. Und hatte sie nicht auch ein bisschen anders Deutsch gesprochen, mit einer harten Aussprache, die mir vertraut schien?
Wohin wollen Sie denn?, fragte sie. Hier kommt doch nichts mehr, nur das Moor.
Ich lauschte ihrer Stimme und ihrer Aussprache. Sie war gut angezogen, vielleicht sogar aus der Kleiderkammer, aber sie sprach ein fremdes Deutsch. Sie stammte nicht von dort, das war klar.
Ich habe auch Vorräte geholt, sagte ich, aber ich weiß noch nicht, wohin.
Das Geräusch hatte ich schon länger wahrgenommen, aber dann bemerkte ich, dass ein Traktor näher kam. Ich hob meine Tüten auf, die ich mitten auf dem Weg abgestellt hatte. Die Frau machte keinerlei Anstalten, ihr Fahrrad zur Seite zu schieben, und der Fahrer hupte. Sie blieb trotzdem stehen, sodass der Traktor in den Graben ausweichen musste. Sie schien ihn nicht einmal zu sehen, es war, als habe sie etwas viel Wichtigeres zu tun, dabei starrte sie nur auf das Feld.
Halt mal, sagte sie, als der Traktor vorbei war, und reichte mir das Fahrrad.
Wieder stellte ich zuerst meine Tüten ab, diesmal auf der Seite.
Die Frau ging einen Schritt auf den Acker zu, trat in das frisch sprießende Getreide, klopfte sich vor die Brust und sprang dann einmal kurz in die Luft.
Du kannst erst mal mitkommen, sagte sie, mich schon wieder duzend, obwohl ich offensichtlich der Ältere war.
Die Frau kümmerte sich nicht mehr um das Fahrrad, überließ es mir, und ich hängte auch noch meine Tüten an die Lenkstange. Sie ging, ohne etwas zu tragen, voraus, und ich stemmte mich gegen den Lenker, um das beladene Fahrrad mit dem platten Reifen weiterzusteuern.
Sie spinnt, dachte ich, aber ich wollte sie auf jeden Fall begleiten, weil ich mir davon eine Unterkunft versprach, einen geheizten Raum, eine Waschmöglichkeit, denn sie sah sauber aus; aber das war nicht mehr die Hauptsache, im Grunde hätte ich sie nach diesem Luftsprung überallhin begleitet, nur um ihr zu folgen, um sie kennenzulernen, in ihrer Nähe zu sein.
Sie lief voraus, und ich kam kaum hinterher, wir hatten offenbar einen längeren Weg zurückzulegen. Ich weiß noch, ich musste an ein Musikstück denken, das ich vor langer Zeit einmal in einem Konzert gehört hatte, eine mächtige, anschwellende, weit ausholende, sehnsüchtige Melodie, von einem großen Symphonieorchester gespielt, in die sich dann eine hohe, starke Frauenstimme eingemischt hatte. Das Lied handelte vom Frühling, und ich hatte nur die ersten Worte verstanden: »In dämmrigen Grüften träumte ich lang«, genau das empfand ich im Moment, als sei ich endlich aus einem Grab heraus ans Frühlingslicht geholt worden, aus einem langen, düsteren Traum. Ich versuchte, die Melodie zu summen und die erste Zeile leise zu singen, aber es gelang mir nicht richtig.
Von Weitem sah ich ein Gebäude, das wie ein großer Bienenkorb aussah, rund und aufrecht, und die Frau ging darauf zu. Der Weg war schlammig, und ich kam immer schlechter voran, aber die Frau schien zu hüpfen und zu springen, auch sie sang etwas vor sich hin. Mein Feldhaus konnte ich schon nicht mehr erkennen, und ich bezweifelte, ob ich es überhaupt wiederfinden würde.
Wir gingen auf den Hof mit dem großen runden Gebäude zu. Es war eigentlich nur ein einziges Haus, denn mehrere Teile schienen an das große angebaut. Überall war es nass und schmutzig, der ganze Hof voller Pfützen und Schlamm. Ich lehnte das Fahrrad an die Hauswand, nahm so viel Tüten wie ich tragen konnte, und sah mich um, die Frau verschwand im Haus. Nirgendwo stand ein Auto oder ein landwirtschaftliches Fahrzeug. Alles war dunkel. Nur aus dem Schornstein kam dunkler Qualm, als verbrenne