Название | Ein herrlicher Ort für das Unglück |
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Автор произведения | Damir Karakaš |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941531 |
»Ich habe das auch ein paar Wochen lang gemacht«, sagt sie. »Vor allem Portraits.«
»Und wie lief es?«
»Für mich war es Zeitverschwendung. Ist Tito noch da?«
»Welcher Tito?«
»Er bindet sich ein schwarzes Tuch um die Augen und zeichnet ein Portrait von Che Guevara. Er sieht alles durch das Tuch«, sagt sie lächelnd.
»So einen Typen habe ich bislang nicht gesehen.«
»Ein Argentinier, ganz sympathisch.«
Wir schweigen, trinken Wein, und ich habe das Gefühl, dass noch etwas gesagt werden müsste.
Mir fällt nichts Besseres ein, also sage ich: »Es ist besser zu zeichnen, als Kartoffeln zu schälen.«
»Lass uns hier weggehen«, sagt Ana plötzlich, »diese Snobs gehen mir auf die Nerven.«
Wir gehen zu Šejla, die immer noch mit dem langhaarigen Typen spricht.
»Wir gehen ins Café gegenüber«, sagt Ana zu ihr. »Du kannst ja nachkommen.«
»Wir sehen uns dort«, sagt Šejla.
Wir gehen rüber ins Café, in dem eine riesige Wanduhr rückwärts läuft.
Ich denke zuerst, das sei ein Fehler, aber der freundliche Kellner erklärt mir, dass das eigentlich die Attraktion dieses Lokals ist. Wir bestellen eine Flasche Bordeaux und trinken sie ziemlich schnell aus. Nachdem wir noch eine zweite Flasche geleert haben, holt Ana einen Fotoapparat aus ihrem Täschchen.
Sie hantiert kurz daran herum und reicht ihn dann mir.
Ich nehme den Fotoapparat und betrachte auf dem Display einen starken Mann in einem silbernen Trainingsanzug und zwei Jungen neben ihm in genau den gleichen Trainingsanzügen. Die Kinder lachen und halten sich gegenseitig Hasenohren hinter den Kopf.
»Mein Mann und meine beiden Söhne«, sagt sie.
»Sie sehen nett aus«, sage ich.
»Filip, der größere, spielt ganz toll Gitarre. Marko ist sehr sprachbegabt, er ist erst fünfzehn und spricht schon Kroatisch, Englisch, Französisch und Italienisch.«
Ihr Handy klingelt, sie meldet sich und sieht dabei über meinen Kopf hinweg.
»Šejla«, sagt sie. »Sie musste woandershin.«
Wir stehen noch zwei Stunden lang an der Theke, aus dem Lautsprecher kommt Zigeunermusik, ein paar Leute beginnen zu tanzen und auch wir fangen an, unsere Körper zu bewegen. Wir trinken und tanzen, die Zigeunertrompeter beschleunigen den Rhythmus. Etwas später umarmt mich Ana und beginnt zu tanzen. Meine Füße stolpern über ihre, beinahe falle ich hin.
»Du bist nicht gerade ein begnadeter Tänzer«, lacht sie.
Sie lässt mich plötzlich los, hüpft im Rhythmus der in Fahrt gekommenen Bläser herum, hebt ihren roten Rock und zeigt im Tanz entflammt ihre langen, weißen Beine mit kräftigen Waden. Sie umarmt mich wieder: Wir küssen uns. Nach zehn Minuten flüstere ich ihr, während sie in dem Gedränge gleichzeitig tanzt, sich an mir reibt und Jack Daniel’s trinkt, ins Ohr: »Lass uns in die Toilette gehen.«
Wir gehen in die Herrentoilette, da die für Damen besetzt ist, und schließen die Tür ab. Ich greife ihr an die Titten, küsse sie auf den Hals. Irgendjemand will unbedingt aufs Klo. Er beginnt, wild zu klopfen, gibt nicht auf, und wir schlängeln uns an diesem besoffenen Idioten vorbei, der sich kaum auf den Beinen halten kann, und gehen zur Theke zurück.
Wir widmen uns wieder unseren Getränken. Doch schon nach dem ersten Schluck schlägt Ana vor, dass wir mit einem Taxi zu Šejlas Appartement am Odeon fahren sollten. »Ich habe ihren Schlüssel«, sagt sie. »Sie wird heute Abend nicht dort schlafen.«
5.
Ein hagerer französischer Rapper, seine Hose ist ihm fast über den Arsch gerutscht. Ich zeichne es so, als wäre sie bis zum Knie gerutscht. Er lacht. Dann zahlt er 1,50 Euro für die Karikatur, mehr hat er nicht.
Ich hatte sowieso vor, ihn als Lockvogel zu benutzen und mit seiner Hilfe eventuell einen größeren Fisch zu fangen, falls einer kommt und zuschaut.
Doch dieses Mal kommt niemand, ich warte. Stimmengewirr, ich drehe den Kopf: ein Streit dort, wo die Chinesen zeichnen. Sie streiten häufig und brüllen sich gegenseitig an: Sie können sich nicht einigen, wer den Kunden zuerst gesehen hat. Eine besonders harmonische Truppe sind sie nicht.
»Was ist denn da los?«, frage ich Shota, der gerade Pause macht und in ihrer Nähe positioniert ist.
Er sagt desinteressiert: »Sie streiten.«
Ich gehe näher heran, um zu sehen, was los ist, und um vor einer neuen Offensive etwas zu verschnaufen.
Es sind jedoch gar nicht die Chinesen, die streiten, sondern ein Japaner und ein Algerier. Sie sind neu hier, ich kenne sie noch nicht.
Einer der Zeichner flüstert mir zu, dass der Algerier hinter dem Rücken des Japaners einem Kunden mit Gesten hat suggerieren wollen, dass die Zeichnung nichts taugt. Dass ein eifersüchtiger Zeichner auf diese Art einem anderen das Geschäft verdirbt, geschieht häufig.
Der Algerier geht auf den Japaner zu und gibt ihm eine deftige Ohrfeige.
Der Japaner, der nur halb so groß ist wie der Algerier, stürzt sich mit Kamikaze-Schreien auf ihn und beißt ihm in die Brust. Man hat Mühe, sie zu beruhigen. Der erschrockene Tourist ist schon verschwunden, auf dem Papier eine Zeichnung seines Kopfes ohne Mund. Die anderen Zeichner beschimpfen beide.
Die Mehrzahl der Zeichner hier hat keine Dokumente, und es ist gar nicht gut, die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu ziehen.
Ich gehe an meinen Platz zurück und streife dabei Shota, der mit seiner Ziehharmonika in den Armen eingeschlafen ist. Ich bin absichtlich mit dem Fuß über ihn gestolpert, und als er aufspringt, lache ich und sage: »Excusez-moi.«
Er schaut mich nur an, reibt sich am Ohr und schläft wieder ein.
HALLO
FROM: [email protected]
Wie geht’s?
PS: Deine E-Mail-Adresse habe ich auf der Website des Kroatischen Schriftstellerverbandes gefunden.
Jemand hat sich vom Centre Pompidou gestürzt, man hört ihn aufklatschen und dann die Schreie der aufgeschreckten Touristen, zwischen die der Körper gefallen ist.
»Schrecklich«, sage ich und reibe mir die Augen, da ich gerade auf meinem ausgelegten Mantel eingeschlafen war.
Ich versuche nicht in die Richtung zu schauen, in der der Körper liegt – angeblich der einer Frau –, abgedeckt mit einem weißen Laken, das an einigen Stellen von Blut durchtränkt ist. Es kommen Notarzt, Polizei und Feuerwehrleute, die mit einem Wasserstrahl den blutverschmierten Beton reinigen.
»Sie zahlen zehn Euro, schauen sich die Ausstellung an und schmeißen sich vom Dach«, sagt Coca-Cola und kaut weiter auf dem Kebab herum, das er gerade gekauft hat. »Vielleicht gefällt ihnen die Ausstellung nicht«, lacht er.
Dann sagt er mit ernster Stimme: »Hauptsache, sie springen mir nicht auf den Kopf, während ich arbeite.«
»Ich gehe zum Saint-Germain«, sagt Shota. »Heute kann ich nicht mehr spielen.«
Nachdem Shota gegangen ist, kommt Hristo und schnippelt mit einer glänzenden Schere durch die Luft.
Hristo fertigt in Paris Scherenschnitte an: Er zieht im Nu ein Stück schwarzes Papier aus dem Täschchen an seinem Gürtel und schneidet mit nur einigen wenigen gut bemessenen Bewegungen geschickt den Schatten eines Profils aus dem Papier.
Ich gebe