Название | Ein herrlicher Ort für das Unglück |
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Автор произведения | Damir Karakaš |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941531 |
Ich latsche auf die Toilette, nehme die beschlagene Bierflasche in die Hand und pinkle hinein.
Auf dem Etikett steht Fisher, daran erkenne ich sie unter all den anderen Flaschen.
Jeder hat seine eigene Pinkelflasche. Ich kehre zurück zu meiner Matratze, und jetzt geht Stefan auf die Toilette. Andrej malt. Er streckt seine dünnen Beine durch, damit er die Details im oberen Teil des Bildes mit dem Pinsel erreichen kann.
Etwas später kommen Hristo und Georgi. Genauer gesagt: Zunächst zeigt sich Hristos riesiger Bauch. Er legt seinen Mantel auf den einzigen Stuhl in der Wohnung und kämmt vor dem Spiegel sein halblanges Haar, das vorne zu einem Pony geschnitten ist. Danach streichelt er den Heizkörper. Er hat ihn im Centre commercial am Place d’Italie gekauft; er selbst hat dreißig Euro hingeblättert, ich, Georgi und Andrej je zehn.
Stefan hat keinen Cent gegeben. Er war damals gerade dabei gewesen, sich einen dicken Pullover über den Kopf zu ziehen, von dem auffällig große Ohren abstehen. Dann warf er einen Blick auf die Armbanduhr ohne Glas und antwortete seelenruhig, dass er kein Geld habe. Früher hat Stefan in Sofia Geschichte studiert, jetzt arbeitet er neben dem Parc Bercy: Er hat im Supermarkt einen Einkaufswagen geklaut, ein Blechfass darin installiert und röstet jetzt illegal Kastanien. Sich und mich hält er für Intellektuelle, Hristo und Georgi für Primitivlinge. Als ich ihn kennenlernte, erzählte er mir zuerst eine Stunde lang auf Französisch von der ruhmreichen bulgarischen Geschichte. Mit Jahresangaben zu allen bedeutenden Schlachten; die Jahreszahlen sprach er besonders betont aus, langsam und mit langen Pausen zwischen den einzelnen Ziffern. Zwischen ihm und Hristo herrscht angespannte Stimmung. Da Stefan früher auch immer wieder mal bei Emil übernachtet hat, ist er der Meinung, dass auch er ein Recht auf einen Teil der Mieteinnahmen hat, die Hristo von den Untermietern kassiert. Mit ihm unterhalte ich mich auf Französisch, mit Hristo auf Serbisch und Französisch, obwohl ich Bulgarisch auch ganz solide verstehen kann, da es dem Kroatischen und Serbischen sehr ähnlich ist. Mit Andrej unterhalte ich mich auf Englisch.
Er ist einer der seltenen armen Maler in Paris, der sich weigert, Touristenportraits zu zeichnen.
Es ist ihm lieber, für drei Euro pro Stunde in einem türkischen Restaurant an der Bastille das Geschirr zu spülen.
Sein Plan lautet: Amerika.
Er sagt, dass es dort tolle Galerien und tolle Menschen gebe, die bereit seien, Risiken mit jungen, nicht etablierten Künstlern einzugehen. Er hat ein riesiges Stück Papier im Format von zwei mal zwei Meter über die Tapete gehängt, dort, wohin das meiste Tageslicht fällt. Seine Bilder sind völlig verrückt: Hasen fressen Hasen von einem Teller und Würste quellen Menschen aus den Augen. Vom ständigen Malen ist seine linke Schulter etwas deformiert und nach unten gerutscht. Andrej ist Vegetarier. Er isst nicht einmal Fisch, nichts, was Augen hat. Er sagt: »Vergleicht doch bitteschön mal, wie meine und wie eure Scheiße stinkt.«
Georgi ist der Jüngste unter uns. Klein gewachsen, mit einem schwarzen Schnauzer. Hristo sagt, es sei schade, dass er kein Gewichtheber geworden ist. Er erzählt, dass Georgi schon im Alter von drei Jahren problemlos Holz hacken konnte. Georgi operiert vor der Kirche Notre Dame. Er macht Fotokopien von Bildern mit Notre-Dame-Motiv. Dann zeichnet er über die Kopien und verstärkt mit einem Bleistift die Konturen; es ist wichtig, dass er gerade etwas zeichnet und den Künstler markiert, wenn sich Touristen nähern.
Touristen mögen es, wenn etwas vor Ort gezeichnet wird, wenn es live ist.
Hristo holt eine Konserve aus dem Kühlschrank. Er wirft sie Georgi zu und will auch mir eine zuwerfen, aber ich will nicht. Es sind Pferdefleischkonserven, die die bulgarische Gebirgsinfanterie zu verzehren pflegt.
Hristo behauptet, dass der Mensch stundenlang ohne Unterbrechung rennen kann, nachdem er eine von diesen Konserven gegessen hat, und zwar mit vollem Bauch. Er nennt sie liebevoll »Red Bull vom Balkan«. Einmal habe ich eine probiert, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mir Energie zugeführt hat. Ganz im Gegenteil, ich hatte solche Beschwerden, dass ich zwar zwei Tage lang pausenlos gerannt bin, aber nur auf die Toilette. Hristo bezieht sie über Freunde aus Bulgarien, er verschlingt sie mit Genuss. Die anderen Bulgaren in unserer Wohnung fressen diese Konserven, die reichlich herb schmecken, auch gerne.
»War Gwizda hier?«, fragt Hristo und zerkleinert mit einer Schere das Fleisch in der Konservendose.
Mit dieser Schere macht er alles: Er schneidet Scherenschnitte, seine Finger- und Zehennägel, Fleisch … Wir schütteln beinahe gleichzeitig den Kopf.
Andrej verabschiedet sich und geht.
Georgi sieht ihm voller Verachtung nach.
»Dieser Typ ist schwul, hundertprozentig«, sagt er.
Dann kommen drei Harmonikaspieler und beginnen, ihre klimpernden Geldstücke zu zählen.
»Arretez!«, sagt Hristo. »Der Krach nervt.«
Er schaltet den Fernseher an, es laufen Nachrichten aus dem Irak, alles brennt.
Hristo hebt den Kopf und beginnt, laut zu schnuppern.
Mit weit geblähten Nasenlöchern schaut er zu dem Schlafsack, in dem Stefan liegt.
Er sagt: »Stefan!«
Stefan meldet sich mit verschlafener Stimme: »Oui?«
Hristo fragt: »Hast du deine Scheiße rausgetragen?«
»Je le ferai demain. Ich mache es morgen.«
»Bring sie raus. Es stinkt.«
Es gibt keine Toilettentür, die Kloschüssel hat keinen Deckel, und von dort zieht wirklich ein übler Gestank herüber.
Hristo sagt lauter: »Hast du mich gehört?«
Stefan drückt sich um die Antwort und murmelt, dass er schlafen will.
»Bring sie raus!«, schreit Hristo und weckt damit die Zigeuner, die unter einer grünen Plane hervorlugen.
Stefan schweigt und schiebt sich den Pullover unter den Kopf.
Hristo steht auf und macht einen Schritt auf Stefan zu.
»Bring die Tüte raus«, schreit er ihn an. »Das war das letzte Mal. Ich lasse dich schlafen und du veranstaltest so einen Mist.« Wütend kickt er die Dose über den Boden.
»Et ta merde sent le parfum? Deine Scheiße riecht nach Parfum, ja?«, antwortet Stefan.
Hristo brüllt: »Das ist meine Wohnung, ich entscheide hier, wessen Scheiße stinkt und wessen Scheiße riecht.«
Stefan sagt leise: »Das ist nicht nur deine Wohnung, sondern auch meine.«
Hristo schreit jetzt lauthals: »Hör mal zu, du Idiot …«
»Beruhigt euch doch«, sage ich.
»Bring sie raus«, sagt Hristo. »Außerdem hast du gestern ins Waschbecken gepisst.«
Darauf Stefan: »Das ist nicht wahr.«
»Hast du«, meldet sich Georgi aus dem Dunklen, »ich habe dich beobachtet.«
»Komm, bring sie endlich raus«, sage ich leise zu Stefan, »das ist nicht in Ordnung.«
Stefan steht widerstrebend auf und bringt die Scheiße raus.
Wenn Hristo schnarcht, kann man unmöglich neben ihm einschlafen.
Wenn man mit ihm im selben Raum einschlafen muss, geht das nur, wenn man vor ihm einschläft. Zum Glück geht er immer als Letzter schlafen. Er sieht fern