Ein herrlicher Ort für das Unglück. Damir Karakaš

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Название Ein herrlicher Ort für das Unglück
Автор произведения Damir Karakaš
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783943941531



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meisten Zeichner verwenden dafür schlauerweise Fotokopien aus Zeitschriften. Meine habe ich selbst gezeichnet. Zunächst habe ich eine Filmzeitschrift gekauft und sie auf der Suche nach dem passenden Foto einer berühmten Person sorgfältig durchgeblättert. Ich schwankte zwischen Gérard Depardieu und Woody Allen, zwischen ihren bemerkenswerten Nasen. Doch das Foto von Woody war deutlicher und ausdrucksstärker, so dass ich mich schließlich für ihn entschied.

      »Excusez-moi!«, rufe ich einer Frau und einem Mann mit riesigen roten Rucksäcken auf dem Rücken zu, die im Laufen einen Stadtplan studieren. »Vous voulez un souvenir de Paris?« Sie würdigen mich keines Blickes und zeigen weiter mit den Fingern auf die Karte, als würden sie rappen. Ich sehe mich um: Auch die anderen Zeichner sind nicht besonders erfolgreich. Ich versuche es noch ein paarmal, aber niemand reagiert.

      Dann erspähe ich eine Frau, einen Mann und einen Jungen; sie kommen aus der Rue Rambuteau. Ich gehe ihnen entgegen, zeige auf den Jungen und zeichne mit dem Finger durch die Luft. Ich zeige auf Woody. Der Mann bleibt stehen, schaut den Jungen an und fragt: »How much?«

      »Wir werden uns schon einigen.« Schnell schiebe ich den Stuhl auf den Jungen zu.

      »Wo kommen Sie her?«, frage ich, während ich das Profil des Jungen zeichne.

      Der Mann antwortet: »Aus Canberra.«

      »Australien ist ein wunderbares Land«, sage ich.

      Ich halte inne und frage den Jungen, was er werden will, wenn er groß ist. Er schweigt. Ich zeichne ihn mit einem Cowboyhut und zwei Pistolen, im Hintergrund den Eiffelturm. Dann signiere ich das Bild und setze noch den Monat, das Jahr und in Großbuchstaben PARIS hinzu. Die Karikatur ist recht gelungen, deshalb halte ich sie ihnen lange vor die Nase. Sonst mache ich es wie die anderen Zeichner und rolle sie schnell zusammen, damit der Kunde es sich nicht anders überlegt. Der Mann fragt: »Wie viel?«

      Ein Typ, der etwas abseits steht, betrachtet die Zeichnung ebenfalls.

      »Bitteschön!« Ich deute auf den Stuhl. »Sie sind als nächster dran.«

      Der Typ schaut mich an und geht.

      Ich wende mich wieder an den Australier.

      »Dreißig Euro.«

      Die Frau streift mich mit einem grimmigen Blick, der Mann zählt die genannte Summe ab und reicht mir das Geld.

      Ich nehme es und stopfe es mir in die Gesäßtasche, aber so, als würde mich Geld überhaupt nicht interessieren. Und dann frage ich sie: »Möchten Sie vielleicht auch eine Karikatur?« Gleichzeitig zeige ich auf den freien Stuhl, setze den Kohlestift auf das Papier und spanne meinen Körper an.

      Ich verhalte mich ganz so, als hätte sie schon zugestimmt.

      »Nein!«, sagt die Frau kategorisch.

      Ich blicke sie an, stehe langsam auf und setze ein freundliches Lächeln auf.

      »Einen angenehmen Aufenthalt in Paris«, sage ich.

      2.

      Auf der Brücke vor Notre Dame zeichne ich eine Karikatur von einem rothaarigen Bodybuilder aus Kalifornien.

      Er hat diese Art Bürstenfrisur, die an eine Landebahn erinnert. Deshalb zeichne ich ein kleines Flugzeug auf seinen Kopf. Ein Mädchen aus dem Publikum – sie trägt einen eng anliegenden schwarzen Rock, der ihren schlanken Körper betont – prustet los. Ein paar Tage zuvor habe ich einen Typen gezeichnet, der unruhig wurde, als zwei Romakinder hinter meinem Rücken anfingen zu lachen. Er rutschte auf dem Stuhl hin und her und brach in Schweiß aus. Vermutlich dachte er, dass ich mich über ihn lustig machte. Ich musste die Romakinder vertreiben.

      Den Bodybuilder aus Amerika stört das Lachen überhaupt nicht.

      Ganz im Gegenteil, er glaubt, dass Lachen ein zuverlässiges Anzeichen für eine rundherum gelungene Karikatur ist. Denn was wäre das schon für eine Karikatur, wenn sie nicht lustig ist.

      Als der Typ zufrieden davonzieht, frage ich das Mädchen ernst, ob ich auch von ihr eine Karikatur zeichnen soll. Sie prustet wieder los. Nachdem sie sich endlich gefangen hat, unterhalten wir uns im Stehen. Sie sagt, dass sie Maud heißt und bei ihrem Vater in einem Designerbüro arbeitet, und ich sage ihr, dass ich ein bekannter Schriftsteller aus Kroatien bin. Ich bemühe mich, langsam und fehlerfrei Französisch zu sprechen, aber es gelingt mir nur mäßig.

      Ich füge hinzu, dass ich auf die Veröffentlichung meines Romans in Paris warte und ab und zu Karikaturen zeichne. Das stimmt tatsächlich. Aber sie wirft mir einen zweifelnden Blick zu und lächelt. Ich ziehe meinen Roman »Ein herrlicher Ort für das Unglück« aus der Tasche und halte ihn ihr hin. Sie nimmt den Roman, beginnt darin zu blättern und lacht wieder los. Als würde sie Kroatisch verstehen und hätte gerade etwas unbeschreiblich Komisches gelesen.

      Die Nacht ist schön, heiter, die Sterne berühren einander mit ihren glühenden Zacken. Wir lehnen an der Stahlbrüstung der Charles-de-Gaulle-Brücke und blicken in die Sterne. Man könnte sagen, die Szene sei romantisch. Dann beginnt Maud, mit ihren Armen in der Luft herum zu tanzen, legt sich langsam auf die leere Straße, verschmilzt mit ihrem eigenen Schatten und sagt: »Es geht mir so gut, dass ich mich umbringen könnte.«

      Ich betrachte immer noch voller Bewunderung die Sterne, die glänzen wie noch nie, doch dann fügen sich meine Augenbrauen zu einer Linie. Ich ordne meine Gedanken: »Es geht mir so gut, dass ich mich umbringen könnte … Es geht mir so gut, dass ich mich umbringen könnte …«, wiederhole ich langsam vor mich hin.

      Nein, da gibt es keine Logik, dieser Satz ist nicht logisch.

      Eine Autokolonne, immer mehr Scheinwerfer, ich ziehe Maud in Panik von der Straße. Sie lacht noch immer, hält die Arme um den Bauch geschlungen, bekommt Krämpfe vor Lachen.

      Maud wohnt neben der Metrostation Les Volontaires. Wir gehen die flachen Stufen nach oben.

      Die Wohnung liegt in der sechsten Etage, die Läufer sind rot und weich, es ist angenehm, darüber zu laufen.

      Aber … Jener verfluchte Satz geht mir wieder durch den Kopf.

      Auf der fünften Etage ist es mir irgendwie gelungen, ihn abzuschütteln.

      Maud öffnet die Tür, tritt in die Wohnung, breitet die Arme aus.

      Plötzlich laufen von überallher Tiere auf sie zu und springen ihr begeistert in die Arme: Hunde, Katzen und ein paar Tiere, die ich noch nie zuvor gesehen habe: eine Art laufender Fische. Ich stehe wie versteinert da und zähle genau fünf Hunde, zehn Katzen und zwei Leguane, von denen ich im ersten Augenblick schockiert angenommen hatte, es handle sich um Fische, die laufen können. Dann noch zwei Hasen und einen Hamster, der als einziger in einem Käfig lebt.

      Einer der Hunde, ein zotteliges Exemplar, das sie Samson nennt, ist riesengroß und verhält sich mir gegenüber feindlich. Ich drehe mich um und schaue aus dem Fenster: Der Eiffelturm leuchtet. Ich würde ihn am liebsten herausreißen und Samson in den Arsch schieben. So ungefähr bin ich drauf. Dann hellt sich meine Laune ein wenig auf, da die Tiere sehr diszipliniert sind. Als Maud sie endlich gefüttert hat, befiehlt sie ihnen, sich zurückzuziehen. Nur die Leguane klettern weiterhin auf Maud herum.

      Doch bald ziehen auch sie sich auf einen Ast zurück, der aus der Wand wächst.

      Ich denke, dass die Sache mit den Tieren gar nicht so schlimm ist, die Wohnung ist sehr groß, es gibt genug Platz für alle.

      Außerdem ist dieses Land die Wiege der Demokratie. Wir werden uns schon aneinander gewöhnen.

      Und siehe da, Samson kommt auf mich zu und wedelt friedfertig mit dem Schwanz.

      Ich gehe zu Maud und küsse sie. In der Wohnung leuchtet nur ein Nachtlämpchen, deshalb frage ich: »Wo macht man das