Ein herrlicher Ort für das Unglück. Damir Karakaš

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Название Ein herrlicher Ort für das Unglück
Автор произведения Damir Karakaš
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783943941531



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gehe zurück vor den Eingang des Pompidou.

      Unter einem starken Lichtstrahl beendet der langhaarige Chinese Pong gerade die Karikatur eines kleinen Amerikaners. Etwas abseits steht wie versteinert der Vater des Jungen. Pong kann nämlich gar nicht zeichnen. In dem Moment, in dem der Vater darüber nachzudenken beginnt, ob er seinen Sohn vom Stuhl fortziehen soll, ist etwas fertig, was doch wie eine Karikatur des Jungen aussieht.

      Während der Amerikaner immer noch zögert, zieht Pong seinen stärksten Trumpf aus dem Ärmel. Über den Kopf des Kindes auf der Zeichnung setzt er eine Sprechblase und schreibt hinein: »PAPA, ICH HAB DICH LIEB!«

      4.

      Am Freitagabend bin ich zur Performance »Souvenirs de Sarajevo« eines jungen bosnischen Künstlers in Paris eingeladen.

      Ich mache mich direkt vom Pompidou auf den Weg zu dieser Galerie am Saint-Germain und überquere den Pont des Arts.

      Der Himmel ist blutrot, beide Ufer der Seine sind überlaufen von Touristen, die laut singen, zu Tangoklängen tanzen, spielen, das Leben feiern. Die Brücke ist ebenfalls voller Touristen: Ein Typ hat einen Tisch angeschleppt, zwei Stühle, einen Kerzenständer und eine Kerze und hat ein Abendessen serviert. Am Tisch sitzen er im Frack und eine Frau in einem langen Spitzenkleid. Sie trinken Champagner aus langhalsigen Gläsern. Einige Clochards kommen mit ihren Plastikbechern dazu, es werden immer mehr, sie betteln um ein wenig Champagner.

      Ich stehe einige Zeit an die Brüstung gelehnt dort und sehe dem beleuchteten Schiff zu, das unter der Brücke hindurchfährt, direkt durch meine gespreizten Beine. Es sieht so aus, als würde es gleich mit seinen Schornsteinen an meinen Hoden hängen bleiben.

      Zehn Minuten später löse ich mich langsam von der Brücke.

      Ich erreiche mein Ziel und treffe vor dem überfüllten Eingang der zweistöckigen Galerie Šejla, die in der bosnischen Botschaft in Paris arbeitet.

      Sie war es, die mir vor ein paar Tagen die E-Mail-Einladung zu dieser Performance geschickt hat.

      »Na, du Schriftsteller«, sagt sie, während sie gerade eine SMS an irgendjemanden schreibt. »Was gibt’s Neues?«

      Ich nicke und lächle und sage: »Alles okay.«

      Sie wirft das Haar zurück, das wie ein Wasserfall auf ihren Rücken fällt, klappt ihr Handy zu und macht mich mit ihrer Freundin Ana bekannt.

      Dann klingelt ihr zweites Handy.

      »Geht schon mal rein«, sagt Šejla, »ich komme gleich nach.«

      »Na dann«, sagt Ana und balanciert dabei auf einer Ferse.

      Sie schiebt die Zigarette, die sie sich gerade anzünden wollte, zurück in die Packung und gibt mir mit dem Kopf ein Zeichen, dass wir hineingehen sollen.

      Nachdem wir gemeinsam die fünfminütige Performance verfolgt haben, in der der Künstler vollständig nackt, nur mit einem Helm auf dem Kopf, um einen Globus läuft und wie ein Mantra laut wiederholt: »Sarajevo, Sarajevo«, während an der Wand wechselnde Aufnahmen der unter Granatbeschuss liegenden Stadt zu sehen sind, frage ich Ana, wie es ihr gefallen hat.

      »Leichenfledderei«, sagt sie. »So sollte die Performance heißen.«

      »Wie gefährlich du bist«, lächle ich.

      »Überhaupt nicht«, sagt sie, »und außerdem ist die Performance schon an sich schlecht.«

      »Vielleicht haben wir sie nicht kapiert.«

      Sie sagt: »Du vielleicht nicht.«

      Ich lache. »Du ärgerst dich über irgendetwas?«

      »Keineswegs«, sagt sie. »Es geht mir nur auf die Nerven, dass man heutzutage einen Scheißhaufen in die Ecke setzen und das Ganze dann als hohe Kunst verkaufen kann.«

      Ich zucke mit den Schultern.

      »Außerdem hat er einen kleinen Pimmel«, sagt sie.

      »Oho«, sage ich.

      Sie lächelt.

      »Was soll’s. Ich bin doch nur ehrlich.«

      Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und schaue mich in der Runde um.

      »Wenn es was Gutes zu trinken gibt, werden wir ihm verzeihen«, sage ich. »Was willst du?«

      Sie fährt sich mit den Fingern durch ihr kurzes Haar, das von grauen Strähnen durchzogen ist: »Rotwein vielleicht?«

      Ich nicke und beginne, mich mit der Schulter zu dem Tisch durchzukämpfen, auf dem die Getränke stehen. Dann entdecke ich Šejla mit einem langhaarigen Typen in einem Anzug. Ich will ihr zuwinken, aber sie steht mit dem Rücken zu mir und ich gebe es auf.

      Im nächsten Augenblick freut es mich, dass sie mich nicht gesehen hat. Jetzt wirkt es sicher so, als wollte ich über sie lästern, aber Šejla kann wirklich unglaublich nervig sein, vor allem dann, wenn sie ein wenig getrunken hat.

      Ich sehe noch einige Bekannte, die aus dem ehemaligen gemeinsamen Staat stammen und die ich am selben Ort kennengelernt habe wie Šejla – bei den Rundek-Konzerten im Club Les Voutes im 13. Arrondissement. Dort pflegt sich die Clique aus dem ehemaligen Jugoslawien zu versammeln, Menschen aller Nationalitäten, man singt, man tanzt, Ćevapčići werden gegrillt, man hat den Eindruck, zu Hause zu sein und nicht im Herzen von Paris.

      Ich meide alle Balkan-Cliquen, die sich im Ausland auf nationaler Grundlage versammeln; bevor sie die Kirche betreten, lassen sie ihre Pistolen und Messer im Vorraum zurück, und nach dem Gottesdienst stecken sie sie wieder in den Gürtel, so ungefähr kommen sie mir vor.

      »Und wie läuft es so in Paris?«, fragt mich Ana, als ich mit dem Wein zurückkomme. Ich habe die Gläser auf meinem Weg hoch über dem Kopf halten müssen.

      Ich sage: »Super.«

      Sie lebt in Orléans, einem Städtchen, das mit dem RER in einer Stunde zu erreichen ist.

      Sie ist in Zagreb geboren, ihr Mann kommt aus Istrien.

      Sie sagt, dass sie vor dem Krieg ein Studium der Malerei an der Zagreber Akademie für Bildende Kunst abgeschlossen hat. Als der Krieg begann, ist sie mit ihrem Mann – einem Theaterregisseur – zuerst nach Paris und dann nach Orléans gegangen.

      Sie sagt, dass sich keiner von beiden mehr mit Kunst beschäftigt. Er ist Unternehmer, sie kümmert sich um die Kinder, kocht, lernt mit ihnen, genießt das Leben.

      Sie trinkt einen Schluck Wein und blickt über den Glasrand.

      »Kinder sind das Schönste im Leben.« Für einen Moment verliert sie sich in ihren Gedanken.

      Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und trinke meinen Wein. Kinder interessieren mich nicht die Bohne, auch Häuser nicht oder eine Familie.

      Ich bin vielleicht nicht normal, aber wenn ich Familienhäuser mit ordentlich gemähtem Rasen sehe, verstreut herumliegendes Kinderspielzeug aus Plastik und einen Grillplatz, überkommt mich ein panikartiges Gefühl.

      »Und du bist Schriftsteller?«, fragt sie.

      »Ja«, sage ich.

      »Ich habe nichts von dir gelesen.«

      »In Kroatien kannst du in jeder besseren Buchhandlung etwas von mir finden«, sage ich.

      »Ich werde in Zagreb etwas kaufen«, sagt sie. »Ist etwas ins Französische übersetzt worden?«

      »Bald«, sage ich.

      »Und das?« Sie zeigt auf meine Tasche, aus der der Zeichenblock hervorlugt.

      »Ich zeichne«, sage ich.

      »Du zeichnest?« Sie sieht mich an. »Was zeichnest du denn so?«

      »Karikaturen für Touristen.«

      Sie lacht, sieht mich wieder an und sagt: »Entschuldigung.«

      Dann