Название | Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt |
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Автор произведения | Stefan Cernohuby |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948695255 |
Die ersten Stufen sind noch im Halbfinstern, dann springt mich der Keller auf einmal mit seinem grellen Licht an. Während meine Erinnerung an den Eingang viel von ihrer Klarheit verloren hat, sind die Bilder der Tierhandlung selbst noch frisch und knackig. Dieser Keller hier hat nichts mit ihnen gemeinsam, bis auf das fantastische Assortiment an Tieren. Als ich Kuschel hier kaufte, war das Kellergemäuer mit Samtvorhängen in Bordeauxrot bekleidet. Kronleuchter mit echten Kerzen hingen von der Gewölbedecke und ein schmaler Teppich schluckte jeden Schritt wie auf dem Weg zu einer Filmpremiere. Gehege und kleinere Käfige waren auf eine Art im Raum verstreut, als seien sie bewusst zufällig platziert worden. Jetzt aber ist der Boden mit weißen Kacheln ausgelegt, die Wände sind ebenfalls weiß verputzt und das Licht kommt von nackten Neonröhren. Die Gehege sind alle auf der linken Seite, eins ans andere gereiht. Sogar die Tiere, welche in handlichen Käfigen hausten, sind in größere Gehege oder Terrarien gestellt worden. Ich kann von meinem Standpunkt aus das Ende nicht erkennen.
Ich lasse den Plastiksack beim Eingang, sodass Kuschel die anderen Tiere sehen kann. Er wirkt jetzt kein bisschen mehr müde. Wenn ich von Tieren spreche, ist das vielleicht irreführend, denn wie Kuschel sind sie nicht unbedingt das, was man üblicherweise als Haustiere bezeichnen würde. Jedes der Abteile hat eine digitale Anzeige, auf der die Temperatur sowie andere Zahlen und sonderbare Symbole angegeben sind. Manche sind mit Scheiben, andere nur durch Gitter getrennt. Der Lärm hält sich trotz der vielen Lebewesen in Grenzen, aber die Gerüche sind betäubend. Ich lasse Kuschel endlich los und schüttle meine Hand aus, während er auf meine Schulter kriecht und sich interessiert umschaut.
Als Erstes passieren wir zwei kleine Vögel, die auf einem Nadelboden beisammenstehen. Sie sehen aus wie langbeinige Truthühner, deren Farben gebleicht worden sind. Eines öffnet den Schnabel und stimmt eine Arie an. Dann sind da fliegende Fische, deren Flossen wie leichte Tücher im Wind wehen, ein Riesenfrosch mit gruselig menschlichen Gesichtszügen und ein abgedunkeltes Terrarium mit Glühwürmchen, die in allen möglichen Farben leuchten und sich immer wieder zu neuen Mustern anordnen, wie ein nie endendes Feuerwerk. Da ich bisher niemanden zu Gesicht bekommen habe, rufe ich: „Hallo? Hallo?“
Eine Stimme antwortet, erst unverständlich, dann langsam vernehmlicher. „… nicht bemerkt, dass wir geöffnet haben.“ Die Worte scheinen aus einem der Gehege zu kommen. Ich gehe mit Kuschel ein paar Meter weiter, aber finde nur raschelndes, hüfthohes Gras. Ich sage noch einmal „Hallo“ und warte geduldig, bis eine Gestalt auftaucht. Diese ist auf allen vieren, rappelt sich dann aber auf und betätigt einen versteckten Mechanismus an der Seitenwand, worauf das Gitter quietschend auf und wieder zu gleitet.
„Bitte? Was wollen Sie?“ Der Inhaber klopft sich Grashalme von den Knien. Es ist definitiv der Gleiche. Verwirrend ist nur, dass er in den wenigen Wochen seit meinem ersten Besuch jünger geworden ist: Alles Grau ist aus seinem Haar gewichen und viele Fältchen haben sich geglättet. Doch die abwesende Miene und die scharfen Gesichtszüge sind dieselben. Seinen Umhang hat er mit einem Laborkittel getauscht, seine Vorliebe für Gummistiefel behalten.
„Als Sie mir dieses Vieh hier angedreht haben, ist Ihnen bequemerweise entfallen, dass es sich nicht nur von Strom ernährt, sondern mit seinen feinen Tentakeln auch elektrische Impulse erzeugen und Gehirne so stimulieren kann, dass er Kontrolle über die betreffende Person übernimmt.“
„In einem unendlichen Universum von unendlichen Möglichkeiten ist alles möglich“, antwortet er vage und pickt einen letzten Grashalm von seinem Arm.
Der Wissenschaftler in mir widerspricht automatisch: „Das beobachtbare Universum ist endlich.“
„Das liegt daran, dass die menschliche Kapazität, zu beobachten, begrenzt ist.“
Ich schüttle den Kopf. Auf diese Tangente hätte ich mich nicht einlassen sollen. „Egal, also das Problem ist, dass er dauernd andere Menschen zu uns nach Hause bringt. Gegen ihren Willen!“
„Und das erstaunt Sie?“
„Es erstaunt mich nicht nur, es schockiert mich! Er soll damit aufhören, sonst müssen Sie ihn zurücknehmen. Diese Fähigkeit, dieses Verhalten, ist gemeingefährlich und amoralisch.“
„Schauen Sie, das ist, wie wenn Sie eine Katze haben. Die bringt Ihnen dann Mäuse nach Hause.“
„Menschen sind keine Mäuse!“
Der Inhaber zuckt mit den Schultern, als ließe sich darüber streiten. „Wenn Sie sie nicht wollen, lassen Sie sie halt wieder frei.“
„Diese Mäuse bringen mich noch in den Knast!“
„Haben Sie versucht, es ihm auszureden?“
„Tausendmal!“ Ich bin nahe daran, ihm in den gekittelten Hintern zu treten. „Sie müssen doch wissen, wie ich ihn davon abbringen kann. Das oder er bleibt hier!“
„Leben Sie allein?“
„Ja …“, beginne ich, werde aber von einem Knistern abgelenkt. Die Haare in meinem Nacken stellen sich auf, als sammle sich eine Statik in der Luft. „Was ist das?“
Der Inhaber setzt zur Antwort an, doch hinter ihm im Gehege formt sich ein Kugelblitz, der von der Größe eines Golfballs auf die eines Fußballs und schließlich eines Gymnastikballs anschwillt. Rasch ducke ich mich weg, doch die Energieexplosion wird vom Gitter aufgefangen. Zwei zuckende, gestreifte Ohren schauen aus dem Gras. Kuschel schwabbelt auf und ab; er findet das Spektakel sehr unterhaltsam.
„Ah, die Blitzzebras sind aufgewacht. Ihre Streifen lösen sich manchmal vom Fell und zucken durch die Gegend. Je nach Wetterlage bilden sie auch Knäuel. Wussten Sie, dass diese Zebras aus der gleichen Welt stammen wie Ihr Freund hier?“ Ohne meine Antwort abzuwarten, fährt er fort: „Warum sind Sie ursprünglich in meinen Laden gekommen?“
„Ich wollte ein Haustier, das mir ein treuer Freund ist.“
„Und genau das ist er. Weil er sieht, dass Sie einsam sind, bringt er Ihnen mehr Menschen. Der Kleine ist nicht nur treu, sondern auch clever.“
Ich spüre mein Gesicht wärmer werden, ebenso mein Herz.
„Wenn Sie wirklich wollen, dass er aufhört, Ihnen Menschen zu bringen, sollten Sie selbst welche suchen und in Ihr Leben einladen.“
Auf meine Schulter schielend seufze ich leise. Bist ja doch ein guter Kerl.
„Das wäre dann zwei Golddukaten.“
„Wie?“
„Meine Zeit ist Geld wert. Ich habe Ihr Problem gelöst. Sie schulden mir zwei Golddukaten.“
„Das kann doch nicht Ihr Ernst sein? Ich habe für Kuschel schon viel bezahlt.“
„Guter Rat kommt nicht gratis.“ Der Inhaber begegnet meinem entrüsteten Blick mit Gleichmut. „Und da Sie heute nichts anderes gekauft haben, schulden Sie mir zwei Golddukaten für meine Zeit.“
„Das hat Sie gerade mal fünf Minuten gekostet!“
Ich will noch etwas hinzufügen, doch Kuschel beginnt zu vibrieren. Ob der Inhaber überhaupt ein Mensch ist, kann ich nicht sagen, aber ich bin ziemlich sicher, dass auch in seinem Schädel ein organisches Gehirn steckt. Ich nicke Kuschel kaum merklich zu. Für diesen Fall kann ich eine Ausnahme machen.
Wenig später verlasse ich die Tierhandlung mit zwei schönen fliegenden Fischen in einem Käfig, einer Packung Fischfutter und einem dickeren Geldbeutel als zuvor. Die Sonne scheint munter und Kuschel wippt auf meiner Schulter triumphierend auf und ab. Vielleicht kann doch noch ein Team aus uns werden.
Kassandra Schwämmle
Kassandra Schwämmle wurde 1992 im Süden der Bundesrepublik geboren, wo sie auch heute noch lebt.