Название | Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt |
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Автор произведения | Stefan Cernohuby |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948695255 |
Und ich sagte: „Ja, wir bleiben.“
Damaris McColgan
Damaris ist in einem kleinen Dorf nicht weit von den Alpen aufgewachsen, wo sich Zwerg und Heinzelmann gute Nacht sagen. Sie hat Psychologie und Germanistik studiert und für eine Studierendenzeitschrift geschrieben. Gegen Ende des Studiums hat sie einen Welshman geheiratet. Mit diesem ist sie nach England gezogen, wo sie später in einer Bibliothek gearbeitet hat. Sie schreibt auf Deutsch und Englisch und träumt davon, ein Kinderbuch zu veröffentlichen. Vor knapp einem Jahr hat sie eine Tochter bekommen, die gleich einem wundersamen Haustier alles fressen will und zwei magische Fähigkeiten besitzt: Teleportation und hypnotische Niedlichkeit.
Kuschel
Von Damaris McColgan
Es klingelt zweimal. Ich tippe meinen Satz kurz zu Ende, bevor ich zur Tür gehe. Merkwürdig, ich erwarte kein Paket.
„Hallo.“ Die Postbotin hält einen einzelnen Brief in der Hand. Über uns strahlt die Sonne mit dem Blau des Himmels um die Wette.
„Guten Tag.“ Ich strecke meine Hand aus, um den Brief entgegenzunehmen, aber sie macht keine Anstalten, ihn mir zu reichen. „Muss ich noch unterschreiben oder so?”
„Nein, nein, ich wollte nur mal sehen, wer hier eigentlich wohnt.“
Erstaunt blicke ich auf und sehe, wie sie mich unter getuschten Wimpern anlächelt. Was meint sie damit? Ich deute auf das Schild neben der Klingel. „Den Namen wissen Sie ja bereits.“
„Ja. Und ich bin Julia.“
„Freut mich.“
Einen kurzen Moment schweigen wir beide. Die Postbotin, Julia, schaut mich an, als wolle sie etwas von mir. Es ist absolut windstill hier draußen und der Straßenlärm erreicht uns ungebremst. Ohne viel Nachdenken verschränke ich die Arme und lehne mich gegen den Türrahmen.
„Es ist superheiß“, setzt Julia wieder an und beginnt sich mit meinem Brief Luft ins Gesicht zu fächeln. Dabei tänzeln einzelne Strähnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst haben, um ihre geröteten Wangen. Ihre Uniformmütze sitzt etwas schräg.
„Nicht anders zu erwarten, mitten im Sommer“, sage ich, weil ich gerade nichts Besseres zu sagen weiß.
„Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben? Meine Lippen sind so trocken.“
Meine Augen wandern ohne mein Zutun zu ihren Lippen und mein eigener Mund wird plötzlich so trocken, dass ich denke, ich könnte wohl auch ein Glas mit kaltem Wasser gebrauchen.
„Sicher, kein Problem.“ Ich löse mich betont lässig vom Türrahmen und gehe in die Küche. Dass mir vorher die schmale Taille der Postbotin noch nie aufgefallen ist …
Als ich mit zwei Gläsern zurück in den Flur komme, sehe ich, dass sich meine neue Bekanntschaft bereits selbst hereingelassen hat. Mit einer fließenden Bewegung streift sie ihre Tasche von der Schulter. Ihre Finger gleiten zu den Knöpfen ihrer Uniformbluse und sie beginnt langsam, beinahe genüsslich, die Knöpfe zu öffnen.
„Ich glaube, ich nehme doch lieber ein kaltes Bad.“
Die Gläser rutschen mir fast aus den Händen. Nicht schon wieder!
„Halt! Stopp! Warte!“ Hastig stelle ich das Wasser auf der nächstbesten Oberfläche ab. „Ich helfe dir gleich!“
Mit drei großen Schritten bin ich bei ihr. Ich strecke meine Arme aus, als wolle ich sie bei den Schultern fassen, bewege sie dann blitzartig nach oben und reiße ihr die Mütze vom Kopf. Da ist er ja!
„Kuschel, du elendes Biest!“, rufe ich. Das Blut rauscht in meinen Ohren. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du das nicht machen darfst!“
Kuschel sieht alles andere als kuschelig aus, sondern eher wie eine Qualle; wenn Quallen ein breites Maul und darüber ein einzelnes Auge hätten. Seine feinen Tentakel lösen sich vom Kopf der Postbotin und diese sackt augenblicklich zusammen. Zum Glück habe ich damit gerechnet und fange sie auf. Kuschel nutzt seine Chance und schwabbelt durch die offene Haustür hinaus. Für eine Kreatur, die aussieht, als sollte sie in den Untiefen des Meeres leben, kommt er schnell vorwärts. Ich trage die Postbotin nach draußen und setze sie an die Wand gelehnt ab, um auch ihre Tasche und die Mütze zu holen.
„Sie werden sich in wenigen Minuten wieder richtig fit fühlen“, verspreche ich ihr. „Es hat keine ernsthaften Folgen.“ Ihre Augen sind immer noch von Benommenheit überschattet.
„Dieser Mistkerl!“, schimpfe ich laut und schaue mich nach Kuschel um. Wo hat er sich nun versteckt? Ich schiele in den Briefkasten, schüttle den Busch im Vorgarten. „Wenn ich dich kriege!“ Da, ein blauer Faden hängt aus dem Abfluss der Regenrinne!
Ich stecke meine Hand das Rohr hinauf, im Versuch, ihn zu erwischen, aber komme nur bis zum Ellbogen. Mit der anderen Hand hämmere ich gegen das Blech. „Komm raus, du mieses Vieh!“
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie die Postbotin ihre Dinge zusammenklaubt und Hals über Kopf davon sprintet. Daraufhin schlage ich mit noch mehr Nachdruck gegen das Rohr. „KUSCHEL!!“ Doch er weiß, dass er in Schwierigkeiten steckt.
Ich verschnaufe einen Moment. Dann stampfe ich immer leiser werdend, drücke mich neben der Rinne an die Wand und verhalte mich so ruhig wie möglich. Es dauert nicht lange, dann lugen ein paar fädige Tentakel hervor und bald darauf Kuschels Glubschauge. Er löst sich und plumpst auf den Boden. Meine Hand packt zu, bevor er merkt, was passiert.
„Wie oft habe ich dir schon eingebläut, dass du mir keine Menschen mehr bringen sollst?“ Er windet sich und schwabbelt unter meinem Griff. „Und schon gar keine Kinder oder hübsche Frauen! Kapierst du das denn nicht? Irgendwann bekomme ich wegen dir echt Probleme. Was, wenn jemand zur Polizei geht? Was, wenn die denken, dass ich ein Kidnapper bin?“
Kuschels Auge schaut immer noch überall hin, nur nicht zu mir. Seine Fadententakel zucken und kringeln sich, aber er tut mir nichts. Manchmal frage ich mich, ob ich immun gegen seine elektrischen Impulse bin. Wahrscheinlicher ist, dass er auf seine eigene Weise loyal ist. Obwohl er keine Hemmungen hat, mit den Gehirnen anderer zu spielen, hat er mir nie auch nur den kleinsten Schock verpasst. Ich seufze. Wer weiß, ob ich je wieder Post bekomme.
„So kann das nicht weitergehen.“ Ich erhebe mich, Kuschel noch immer fest in der Hand. Im Haus suche ich meine Schlüssel, den Geldbeutel und einen Plastiksack, den ich über Kuschel in meiner Hand stülpe. Mit dem Bus kann ich in einer Viertelstunde im Stadtzentrum sein.
Ich ernte einige verstohlene Blicke mit meiner Hand im Plastiksack, aber das ist mir lieber als etwaige Schreie. In der Altstadt steige ich aus und mache mich auf die Suche nach dem Eingang. Die Erinnerung daran ist verschwommener, als sie sein sollte. Unter den Alkoven sind all die malerischen, kleinen Kellergeschäfte; es muss eins von denen gewesen sein. Ich gehe die Straße auf und ab, versuche es auch bei den Parallelstraßen und Quergässchen, aber der Laden bleibt unauffindbar. Kuschel in meiner verkrampften Hand ist inzwischen völlig schlapp und reglos. Vielleicht stellt er sich tot und hofft, dass ich ihn loslasse.
Mir graust es beim Gedanken, was er als Nächstes anstellen könnte. Letzte Woche habe ich plötzlich ein wildfremdes Kind in meiner Küche gefunden. Glücklicherweise hatte Kuschel es beim Park um die Ecke aufgelesen und als ich es zu den Eltern zurückführte, nahmen diese an, es habe versucht, Reißaus zu nehmen und allein nach Hause zu kommen. Andere Eltern hätten nicht so gelassen reagiert.
Und doch ist mir Kuschel ans Herz gewachsen. Wenn ich außer Haus gewesen bin, schlabbert er um mich herum, um mich zu begrüßen, und dabei wird sein Grinsen so breit, dass man meinen könnte, es trifft sich auf der Hinterseite wieder. Ich würde seine Neugierde vermissen und die Begeisterung, die er an kleinen Dingen findet. Eine leere Kartonkiste, ein Würstchen, ein farbiger Käfer