Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt. Stefan Cernohuby

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Название Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt
Автор произведения Stefan Cernohuby
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948695255



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einen Kurator in Wien, der eine geradezu unanständig hohe Summe zahlen würde, um das Werk in die Finger zu bekommen. Wo haben Sie es denn her?”

      „Das kann ich mir sehr gut vorstellen”, hörte man Magister Andriç noch, als die beiden den Nebenraum betraten. „Ich habe eine geheime Bibliothek entdeckt, sehr abgelegen, sehr gut sortiert. Aber kommen Sie, lassen Sie uns darüber im Salon sprechen. Haben Sie irgendein Buch, in dem Sie gerne blättern würden?”

      Dann waren die beiden weit genug weg. Endlich. Zeit, um an die Arbeit zu gehen.

      Rasch kletterte ich seitlich an der Vitrine hoch und musterte das Glas. Drei Zentimeter dick. Das konnte ich nicht knacken. Auch das Schloss sah äußerst stabil aus. Egal. Derartige Vitrinen hatten eine andere Schwachstelle.

      Ich ließ mich an der Rückseite herab und musste fast lachen. Spanplatten, kaum drei Millimeter dick. Also fasste ich in meinen Mund, wo ich neben dem Buch „Schlösser, Tresore und andere Sicherungen” auch ein kleines Werkzeugset gehamstert hatte. Es dauerte keine Minute, dann hatte ich auf der Rückseite ein kleines Loch geschnitten, groß genug für mich. Dann öffnete ich die Verriegelung der Vitrine von innen und kletterte zwei Etagen höher. Ja, da wurde es wirklich interessant.

      Plötzlich hörte ich ein Fauchen und erstarrte. Das war ein Teil meines tierischen Ichs, den ich nie unter Kontrolle bekommen hatte.

      Ich zwang mich, ruhig zu bleiben und wandte mich um.

      Ein Kater. Grau gestreift, mit zerfetztem Ohr und riesigen Pranken. Und er sah mich direkt an. Noch einmal ließ er ein Fauchen ertönen, dann duckte er sich zum Sprung.

      Ich reagierte blitzschnell, wirbelte herum, nahm das Werk von Rabbi Löw zu mir, nutzte meinen ganzen Schwung und spie es wieder aus.

      Es gab ein Krachen, ein schmerzerfülltes Aufmiauen und dann war alles still.

      Ich öffnete meine Augen wieder, die ich vor Angst geschlossen hatte, und sah die Katze unter dem Werk liegen. Ob tot oder ohnmächtig konnte ich nicht erkennen. Egal, ich hatte Wichtigeres zu tun. Die ganze Vitrine hatte die Beschriftung Mystische Werke getragen. Und ich war auf der Suche nach einem bestimmten.

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      Ein lautes Krachen und Knirschen ließ mich ebenso wie Magister Andriç herumfahren.

      „Was war denn das?”, fragte mein Gastgeber beunruhigt. Er wollte in die Bibliothek zurücklaufen, doch da erschien wie aus dem Nichts Pawel. Seine Gesichtszüge schienen seltsam verzerrt, die Haut verfärbte sich schwarz und aus seiner Stirn sprossen kleine Hörner. Eisiger Schrecken packte mein Herz beim Anblick des ehemals menschlichen Dieners. Mein Verstand war seltsam leer, mein Körper wie gelähmt.

      Das Wesen packte meinen Gastgeber am Hals und hob ihn mühelos in die Luft.

      „Was … wer?”, krächzte Andriç, nach Luft ringend.

      „Als du all die Bücher aus der Bibliothek von Celeano entwendet hast, haben wir das aus nur einem Grund zugelassen”, sprach es grollend. „Weil wir uns einen Vorteil davon versprachen, dass sie in deinem Besitz waren. Doch nun sind sie es nicht mehr.”

      Der Magister gab gurgelnde Laute von sich und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Ohne Erfolg.

      „Zeit, zu sterben, menschlicher Abschaum!”

      Bevor ich irgendetwas tun, irgendwie reagieren konnte, brach das Genick von Andriç mit einem trockenen Knacken. Achtlos ließ das Wesen den leblosen Körper fallen. Der Kopf ruckte zu mir herum. „Nun zu dir.”

      Endlich schaffte ich es, mich aus meiner Starre zu befreien. Schnell weg hier! Aber ich durfte den Hamster nicht zurücklassen. Ich musste in die Bibliothek zurück, direkt an diesem Ungeheuer vorbei. Ich spannte die Muskeln an und stieß das Wesen aus dem Weg. Rasch lief ich durch den Durchgang in die Bibliothek. Es herrschte ein großes Chaos. Die Vitrine mit der Handschrift Löws lag in Trümmern. Ein regloses und verdrehtes Fellbündel lag inmitten eines Scherbenhaufens daneben. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das Tier schien eine Katze zu sein. Was war mit Crice passiert?

      Hektisch schaute ich mich um, konnte die Hamsterdame aber nirgends entdecken. „Verflixt”, entfuhr es mir. Ich würde sie auf keinen Fall zurücklassen. „Wo steckst du?” Hinter mir hörte ich die schweren Schritte des Wesens.

      „Psst, hierher!” Die Hamsterdame war auf eines der Regale geklettert und begann Worte und Silben in einer fremden Sprache zu rezitieren. Gerade als die Luft zu flimmern begann, spürte ich, wie sich eine kalte Klaue um meinen Hals legte.

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      Tja, da waren die Aufzeichnungen von Löw am Boden gelandet. Egal, ich wollte sowieso keinen Golem bauen. Also kletterte ich weiter. De Vermis Mysteriis? Nein, ich wollte keinen Sternenvampir beschwören. Das Necronomicon in der lateinischen Übersetzung. Auch unbrauchbar. Aber da. Da waren sie, die Celeano-Fragmente. Nur mit ihrer Hilfe konnte es Andriç gelungen sein, die Grenzen zwischen den Welten zu durchbrechen. Also nahm ich all meinen Mut zusammen … und hamsterte das uralte Textfragment.

      Mir wurde sofort schlecht, aber mir war nicht klar, ob es aufgrund des uralten Papiers oder doch wegen der düsteren Magie geschah, welche meine Backen von innen zu verätzen schien.

      Aber ich sah. Ich verstand.

      Ich kletterte auf eine Vitrine und begann die düstere Energie, die das Papier umgab, durch meine Pfoten strömen zu lassen. Als Archibald auftauchte, winkte ich ihn zu mir und begann, einen Spruch zu skandieren, der mich in meine Heimat bringen würde. Einen Planeten, am Ende des Universums.

      Da wurde der Schriftgelehrte von hinten am Hals gepackt. Ich riss die Augen auf, während ich weiter einen Singsang von mir gab, der nicht für Hamsterstimmen erschaffen worden war. Ein Nightgaunt. Offenbar einer mit einer Spur von Intelligenz.

      Blitzschnell überlegte ich. Ich konnte meinen Spruch beenden und mich aus dem Staub machen. Dann würde der gute Doktor hier zurückbleiben und sehr wahrscheinlich getötet werden. War ich ihm nicht etwas schuldig? Außer einer Gurkenscheibe und ein paar Snacks? Aber er hatte sich um mich gekümmert, war mir doch ans Herz gewachsen … zumindest ein wenig. Ich fluchte in einer Sprache, die ich vor wenigen Minuten noch nicht einmal beherrscht hatte und veränderte den Spruch, an dem ich gerade arbeitete. Die Energie zwischen meinen Pfoten veränderte sich.

      Ein Portal materialisierte sich und trennte den Arm des Wesens direkt hinter dem Handgelenk ab.

      „Komm schon!”, rief ich Archibald zu und hastete durch das Portal. Er stolperte hinterher. Dann waren wir hindurch. Ein weites Plateau. Zwei Monde.

      Dann wurde es mir zu viel. Ich würgte das Fragment aus … und gleich noch drei andere Bücher, die ich gerade gehamstert hatte. Ade, Einbruchskünstlerin! Auf Nimmerwiedersehen, Gottfried Keller.

      Das Portal kollabierte und auch ich sank ermattet zu Boden. Entkommen, aber wohin? Das war nicht mein Planet. Der Himmel war nicht orange.

      Der Blick des Doktors fiel zuerst auf mich. „Was ist passiert, Crice? Dein Fell ist komplett weiß!”

      „Die Verwendung dunkler Kräfte hat immer einen Preis. Weißes Fell ist da noch ein ziemlich geringer.”

      Dr. Archibald stand auf und blickte sich um. „Wo sind wir hier?”, fragte er.

      „Ich habe keine Ahnung”, antwortete ich und rappelte mich hoch, ganz die abenteuerlustige Hamsterdame. „Aber lass es uns herausfinden.”

       Yann Krehl

      Yann Krehl wurde 1981 in Offenburg geboren und lebt in Karlsruhe. Seine Veröffentlichungen umfassen mehrere Kurzgeschichten, eine Handvoll Krimi-Hörspiele und zahlreiche Comics, für die er das Script verfasst hat, wie etwa die Comicadaption von Kai Meyers „Die Krone der Sterne“ und Markus Heitz' „Die Zwerge“ (Splitter Verlag).