Название | Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt |
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Автор произведения | Stefan Cernohuby |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948695255 |
Gerd Scherm
1950 in Fürth geboren, Schriftsteller und bildender Künstler. Er lebt seit 1996 in einem alten Fachwerkgehöft in Binzwangen auf der Frankenhöhe. Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in mehr als 30 Ländern. Sein literarisches Schaffen umfasst Gedichte, Erzählungen, experimentelle Texte, Satiren, Essays, Romane, Dramen und Texte für Musik.
Scherm wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit zwei Stipendien des Auswärtigen Amtes, dem Wolfram-von-Eschenbach-Förderpreis, dem Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, dem Deutschen Phantastik Preis und zuletzt 2020 mit dem internationalen Gregor Calendar Award of Excellence.
Der Traumbeutler
Von Gerd Scherm
Sundance, der natürlich nicht so heißt, Manolito, der wirklich so heißt, und ich, der sich Cassidy nennt, hatten einen Job für den Sommer gefunden: Die Betreuung eines Bungalows am Strand von Santa Barbara in Kalifornien. Sollten wir das zur Zufriedenheit des Besitzers machen, so versprach er, gäbe er uns die Chance, in der nächsten Saison alle seine 20 Bungalows zu managen. Doch er erwartete von uns nicht nur einen Rund-um-die-Uhr-Service für seine Gäste, sondern auch ausgefallene Ideen, den Aufenthalt besonders angenehm und einzigartig zu gestalten. Denn sein Publikum sei anspruchsvoll und exzentrisch, Vorschläge wie Grillpartys oder freizügiger Eskortservice würden zu unserem sofortigen Rausschmiss führen.
So kam Sundance auf die Idee mit den Haustieren. Leute, die hier Urlaub machen, leisten sich als einziges „Bio-Spielzeug“ höchstens einen Chihuahua, der nur zum Fotoshooting und zum Pinkeln seine Taschenbehausung von Louis Vuitton verlässt. Zu allem anderen fehlen den Urlaubern die Zeit, die Lust und das Interesse. Es musste also schon etwas ganz Besonderes, etwas extrem Besonderes sein, um den Urlaub hier unauslöschlich ins Gedächtnis der Gäste zu brennen. Etwas, dass sie quasi süchtig macht, immer wieder hierher zurückzukommen und in einem der Bungalows unseres Auftraggebers zu wohnen.
Bei uns dreien gilt, wer einen Vorschlag macht, der muss ihn auch umsetzen. Also zog Sundance los, um in einer Zoohandlung geeignetes Material zu finden.
Viele unterschätzen unseren Freund Sundance, denken er sei einfältig und nicht besonders clever. Dabei folgt er nur seiner inneren, sehr geradlinigen Logik, die den meisten Menschen fremd ist. Seine Art zu denken ist, wenn wir besondere Haustiere suchen, dann müssen wir dahin, wo solche am wahrscheinlichsten angeboten werden. Deshalb ging er schnurstracks in den Laden ZOOSP – Zoo Sensational Pets nördlich des Golfclubs nahe der Küste.
Sundance war überrascht, denn von außen hatte der Laden gar nicht so groß ausgesehen. Er hatte Regale mit Futter, Pflegemitteln und Käfigen und Aquarien erwartet, doch vor ihm erstreckte sich ein riesiges Areal. Das war viel mehr als ein Shop, das war wirklich ein Zoo! Gehege reihte sich an Gehege, manche mit Absperrbändern, manche mit Gitterstäben, manche mit Sicherheitsglas. Das war kein Geschäft für niedliche Haustiere, das war ein Panoptikum mit allem, was kreucht und fleucht und läuft und schwimmt.
„Wonach steht dir der Sinn?“, riss ihn eine Stimme aus seinen Betrachtungen. Neben ihm stand ein freundlich lächelnder junger Mann, der laut Namensschild ZOOSP-Berater war und Mike hieß. Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er eine überschwängliche Geste mit beiden Armen und forderte Sundance auf, ihm zu folgen. Was der sah, ließ ihn staunen. Als eifriger Fantasy-Leser kannte er von Illustrationen und Geschichten das Aussehen und die Namen einer Menge mythischer Tiere – Greif, Einhorn, Drache, Basilisk, Chimäre, Zentaur, selbst Zerberus und Hydra waren ihm vertraut. All das war hier und noch vieles mehr. Das sprengte alles, was ihm bisher an fantastischen, magischen, mythischen Wesen in Literatur, Comics und Film je begegnet war.
Er wandte sich an den Verkäufer und sagte leise, als hätte er Angst, die Monster könnten beleidigt sein: „Sehr beeindruckend. Doch ich suche etwas Kleines, Kuscheliges. Das Tier sollte familientauglich sein, anschmiegsam, vor allem auch für Kinder geeignet.“
„Ich verstehe“, erwiderte Mike. „Da haben wir doch gerade etwas ganz Bezauberndes hereinbekommen. Du wirst es mögen.“ Der Verkäufer deutete auf ein kleines Gehege hinter Sundance, der sich sicher war, dass es vor einigen Sekunden noch nicht dort war. Den Bereich trennte nur ein niedriger Holzzaun vom Rest des Ladens, es war also ungefährlich, beruhigte sich Sundance. Darin lag ein Tier, flach, platt wie eine Flunder oder ein Rochen und von der Größe eines zu klein geratenen Gästehandtuchs.
„Was soll das sein? Ist das überhaupt etwas Lebendiges?“
„Durchaus, du wirst überrascht sein. Es ist das anschmiegsamste Wesen, das ich je gesehen habe. Und ich habe wirklich viele gesehen“, fügte er hinzu und machte eine vielsagende Geste, die den ganzen Raum hinter ihm mit all seinen Monstern umfasste. Er hob das Tier hoch und zeigte die Unterseite. Sundance war überrascht. Er sah ein süßes Babygesicht, das ihn an einen Delphin erinnerte. Darunter zeichnete sich schwach ein kleiner Körper ab, nicht größer als der Kopf. Außerdem hatte das Tier zwei dicke Beinchen. Es entsprach absolut dem Kindchen-Schema.
„Ich habe keine Ahnung, wo das Tier herkommt“, sagte der Verkäufer. „Die einen sagen aus der Nähe von Ayers Rock, die anderen aus irgendeinem Chemielabor in China.“
„Das heißt Uluru“, verbesserte Sundance.
„Du weißt, wie das Chemielabor heißt?“
„Nein, ich habe keine Ahnung von dem Labor. Aber der heilige Berg in Australien wird jetzt in der Sprache der Aborigines Uluru genannt. Aus Respekt vor den Ureinwohnern.“
„Ach so. Aber ist eh egal. Wichtig sind die Tiere. Fass den Kleinen mal an, streichle ihn!“
Sundance tat es und spürte sofort eine beruhigende Wirkung. Je länger er das kleine Etwas streichelte, desto wohler fühlte er sich. Es tat ihm gut, so gut. Am liebsten hätte er nie mehr mit dem Streicheln aufgehört.
„Willst du es kaufen?“, riss ihn die Stimme des Verkäufers aus seinem Tagtraum.
Der Rücksturz in die Realität war ein kurzer Schock, doch dann war Sundance wieder völlig klar.
„Was soll das Schätzchen kosten?“
„Wie wäre es mit hundert Bucks?“
„Nein. Das ist viel zu viel für so wenig Tier.“
„Okay, gib mir achtzig und es gehört dir.“
„Das kann ich mir nicht leisten. Da kann ich meiner Kleinen leider nur ein Plüschtier kaufen.“
„Es ist für dein Kind?“
„Ja, sie hat morgen ihren zweiten Geburtstag und ich wollte ihr etwas ganz Besonderes schenken. Dieses süße Tierlein wäre optimal.“
„Hm. Wie viel kannst du ausgeben?“
„Zwanzig.“
„Mein Chef tritt mich in den Hintern. Aber du scheinst ein netter Kerl zu sein. Gib mir dreißig und du kannst es mitnehmen.“
„Okay. Abgemacht. Wie nennt man diese Tiere eigentlich?“
„In den Papieren steht ‚Papatahi‘, aber frag mich nicht, was das bedeutet.“
Sundance grinste. „Da ich der Papa bin, nenne ich das kleine Wesen Tahi.“
Als er beim Bungalow ankam, grinste er immer noch. Der Vatertrick hatte ihm eine Menge Geld gespart.
„Dieses Tier ist besser als jeder Happymaker! Wahnsinn!“, rief Manolito begeistert.
„Genau, es ist wirklich verrückt. Man sagt ja, dass Hunde und Katzen streicheln beruhigt, aber hier läuft