Eine wie wir. Dana Mele

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Название Eine wie wir
Автор произведения Dana Mele
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783038801214



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weiteren vergeblichen Versuch, die Seite zu öffnen, dann schiebe ich den Laptop so weit wie möglich von mir weg. Trotzdem kann ich den Blick nicht davon lösen.

      Ich wünschte, Spencer hätte nicht so eine blöde Scheiße gebaut. Er ist ein genauso begnadeter Zocker wie Sportler, er hätte sich problemlos in die Seite hacken können. Ich scrolle durch meine jüngsten Anrufe. Sein Name stand nie weiter als ein Wischen nach unten in der Anrufliste und das deprimiert mich. Ich warte immer noch darauf, dass er anruft und sich wieder entschuldigt, dass er sich nach mir erkundigt, mir etwas Beliebiges erzählt, damit ich wieder an ihn denke. Aber offenbar kann ich das vergessen.

      Ich werfe mein Handy aufs Bett und wende mich wieder meinem Laptop zu. Ich logge mich in das Schulnetzwerk ein und scrolle durch die Schülernamen auf der Suche nach jemandem, der mir helfen könnte. Die Bates ist eine angesehene MINT-Schule, es wird also großer Wert auf den wissenschaftlich-mathematischen Bereich gelegt und eine ansehnliche Zahl von Schülerinnen weiß zumindest ein wenig über Computerprogrammierung. Maddy, Brie und Cori absolvieren in diesen Fächern ein ziemliches Lernpensum. Ich könnte Maddy fragen – sie hat die meisten Computerkurse –, aber ich bin unschlüssig. Wegen der Drohung in der Nachricht möchte ich eigentlich nicht, dass meine Freundinnen etwas von Jessicas Projekt erfahren, ganz besonders nicht Maddy. Eigentlich wäre es mir lieber, wenn niemand darin verwickelt wird, mit dem ich näher zu tun habe. Je geringer die soziale Glaubwürdigkeit, desto besser. Nur für den Fall, dass doch etwas herauskommt und dann mein Wort gegen ein anderes steht.

      Nola Kent. Neben dem Namen ist ein kleiner grüner Punkt, also ist sie online. Ich zögere, bevor ich ihr eine persönliche Nachricht schicke. Vor zwei Jahren, als Nola an diese Schule gewechselt ist, waren Tai, Tricia und ich ziemlich gemein zu ihr. Vor allem hinter ihrem Rücken. Wir haben uns einen gut gewählten Spitznamen ausgedacht und ein oder zwei Gerüchte gestreut. Aber das ist ewig her. Ihr wäre es wahrscheinlich sogar peinlicher als mir, wenn ich sie darauf ansprechen würde. Ist ja nicht unsere Schuld, wenn sie sich wie eine Mischung aus Bestattungsunternehmer und Mörderpuppe anzieht. Und sie war seitdem bei ein paar Fußballspielen, also gehe ich mal davon aus, dass sie nicht mehr sauer ist.

      Hey, bist du da? Ich drücke auf Enter und warte.

      Ihr Klassenfoto taucht auf, zusammen mit Auslassungspunkten, also antwortet sie. Sie ist ziemlich klein und wirkt irgendwie verwahrlost mit ihren dicken, langen Haaren, die ihren übrigen Körper zu erdrücken scheinen. Ihre Haut ist porzellanweiß und sie hat hellblaue Augen, die so rund sind, dass sie immer irgendwie abwesend wirkt. Das erste Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an Nola Kent denke, ist nichtssagend. Sie hat einfach nichts Besonderes an sich, zumindest dachten wir das, als wir anfingen, sie zu verarschen. Doch wie sich herausstellte, hat sie doch äußerst nützliche kleine Eigenschaften. Sie kann zum Beispiel echtes Chaos bei Programmen und Computersystemen anrichten.

      Hi.

      Ich habe ein Problem, ich komme nicht auf eine Website.

      Passwortgeschützt?

      Ja.

      Hast du das Passwort?

      Nein.

      Solltest du es haben?

      Ist eine lange Geschichte.

      Erzähl sie mir.

      Ich seufze. Ich muss wissen, was Jessica gegen mich in der Hand zu haben glaubt und was sie mit Feinden und Rache meint. Nola ist meine beste Chance, das herauszufinden, ohne die Informationen an die große Glocke zu hängen.

      Treffen wir uns.

      Wo in dem Gewimmel?

      Bibliothek.

      In fünf Minuten.

      Ich nehme den Hintereingang des Wohnheims, um dem Menschengedränge zu entgehen, und laufe den Hügel zur Bibliothek hinunter. Die Luft riecht nach Holzrauch und Apfelwein, genau wie es an einem frühen Novembersamstag sein sollte. Die Stimmen der Reporter und Trauernden wehen von der Vorderseite des Gebäudes herüber. Einige haben begonnen, Hymnen zu singen, während andere sich weiter unterhalten. Es klingt wie eine Mischung aus Trauerfeier unter freiem Himmel und riesiger Parkplatz-Party. Das Ganze ist plump und bizarr und gruselig. Abseits der Trauergesellschaft sind nicht besonders viele Schülerinnen zwischen den Wohnheimen und dem Schulinnenhof unterwegs. Ich werde langsamer und kicke nachdenklich tote Blätter vor mir her. Heute sollte eigentlich ein großer Tag werden. Training bis fünf, Abendessen mit Brie und Justine, und dann wollten wir eine endgültige Entscheidung treffen, ob man Spencer je wieder vertrauen kann. Ich meine, die Antwort ist eigentlich ziemlich offensichtlich. Laut Justine, einer äußerst verlässlichen Gerüchtequelle an der Easterly, hat er mich mit einer Bates-Schülerin betrogen, und zwar in dem Café, wo wir uns zu unserem ersten offiziellen Date getroffen haben. Aber Menschen ändern sich. Jeder hat in der Vergangenheit Dinge getan, die er oder sie bereut. Heb die Hand, wenn das bei dir nicht der Fall ist. Yeah …

      Ich gehe die Treppe zur obersten Etage der Bibliothek hinauf, weil dort die geringste Wahrscheinlichkeit besteht, dass ich jemandem begegne. Dann sende ich Nola eine Nachricht, dass ich da bin. Die oberste Etage ist absolut retro. Hier gibt es VHS-Kassetten, Mikrofilme und altmodische Karteikarten. Aber das alles muss irgendeinen Wert haben, sonst hätte die Schule den Kram schon längst ausrangiert. Im Grunde ist es ein Friedhof für alte Medien, und ich bin ziemlich sicher, dass uns hier oben niemand stören wird. Ich finde einen bequemen, von Motten zerfressenen grünen Cordsessel, der bestimmt genauso alt ist wie die VHS-Sammlung, mache es mir darin bequem und öffne den Laptop auf meinem Schoß.

      »Hi.«

      Mir entfährt ein leiser Schrei. Nola hockt auf einem Bücherregal direkt über meinem Kopf und ist ganz in Schwarz gekleidet wie ein verdammter Rabe.

      »Was machst du da oben?«

      Sie springt flink herunter, schiebt das Kinn über meine Schulter, streckt ihr knochiges Handgelenk aus und beginnt auf meiner Tastatur zu tippen. »Auf dich warten, Lahmarsch.« Sie stößt mich mit der Schulter an, bis ich auf dem Sessel Platz für sie mache und ihr den Computer ganz überlasse.

      Nachdem sie einen genaueren Blick auf den Racheblog geworfen hat, richtet sie ihre riesigen Augen auf mich. »Warum stalken wir ein totes Mädchen?«

      Ich rutsche unbehaglich auf dem Sessel hin und her. Für jemanden, den ich kaum kenne, ist diese Sache viel zu vertraulich. Jetzt kommt die Idee sogar mir völlig bescheuert vor. »Wie ich schon sagte, lange Geschichte. Vertrau mir einfach, denn es ist wirklich wichtig, dass ich Zugang zu dieser Website bekomme.«

      Sie kneift die Augen zusammen. »Warum?«

      Ich zögere einen Moment. Jessica hat geschrieben, dass ich nicht zur Polizei gehen soll. Von Nola Kent war nicht die Rede. »Jessica hat mich darum gebeten.«

      Sie hält kurz inne. »Wart ihr befreundet?«, fragt sie dann.

      Es gibt Momente, da muss man lügen. »Irgendwie schon, aber wir waren nicht die besten Freundinnen.«

      »Warum hat sie dir das Passwort nicht gegeben?«

      »Hör zu, ich muss einfach wissen, was auf dieser Website ist. Jessica hat mir eine Nachricht hinterlassen und ich habe sonst keine Möglichkeit, darauf zuzugreifen. Es sind im Grunde ihre letzten Worte.«

      Sie klappt meinen Laptop zu. »Das klingt nicht sehr überzeugend.«

      »Was willst du?«

      »Du hast kein Geld.« Das sagt sie völlig sachlich. In einem herablassenderen Tonfall hätte es mich weniger getroffen.

      »Und du brauchst keins«, sage ich. Das stimmt. Sie ist wie die anderen. Sie zieht sich vielleicht nicht so an und verhält sich nicht so wie sie, aber ihre Familie gehört ebenfalls zum alten Geldadel Neuenglands.

      Meine Worte scheinen sie überrascht zu haben, denn es dauert einen Moment, bevor sie etwas erwidert. »Hol mich in dein Team, wenn ihr wieder spielen dürft.«

      Mir fällt die Kinnlade herunter. »Aber … du warst noch nie bei einem Probetraining.«

      Sie zuckt