Eine wie wir. Dana Mele

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Название Eine wie wir
Автор произведения Dana Mele
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783038801214



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      Ich spüre, wie mein Gesicht trotz der nächtlichen Kälte ganz warm wird. »Ich habe ihn reingeworfen.«

      Die Polizistin saugt ihre Wange ein und nickt. »Wie man das halt so macht. Den werde ich mitnehmen müssen.«

      Shit. So fängt es an. Mit Kleinigkeiten wie dieser. Ich halte ihr den Umhang hin, aber sie ruft über ihre Schulter nach einem Kollegen. Ein kleiner Mann mit blauen Nitrilhandschuhen kreuzt auf und steckt den Umhang in eine Plastiktüte.

      Sie dreht sich wieder zu Maddy um. »Und jetzt von Anfang an.«

      »Wir sind zum Schwimmen hier rausgekommen. Brie ist vorneweggerannt. Ich habe sie schreien gehört und –«

      »Wer ist Brie?« Detective Morgan richtet die Handykamera nacheinander auf uns. Brie hebt die Hand.

      »Und dann haben wir die Leiche neben ihr im Wasser entdeckt. Kay hat gesagt, dass ich zuerst Dr. Klein und dann die Polizei anrufen soll«, erklärt Maddy.

      »Nein, das habe ich nicht.« Meine Stimme klingt angespannt und fröstelnd. »Das war Brie.«

      Detective Morgan wendet sich zu mir und lässt die Kamera langsam von Kopf bis Fuß an mir entlangwandern, wobei sie an den aufgekratzten Hautstellen besonders sorgfältig ist. »Du bist Kay«, sagt sie mit einem merkwürdigen Lächeln.

      »Ja, aber eigentlich hat Brie gesagt, dass Maddy zuerst Dr. Klein anrufen soll.«

      »Was spielt das für eine Rolle?«

      Diese Frage überrascht mich. »Tut es das nicht?«

      »Sag du es mir.«

      Ich presse die Lippen fest aufeinander. Ich weiß aus Erfahrung, wie Polizisten Aussagen aufnehmen und die Worte dann verdrehen, sodass am Ende etwas herauskommt, was man gar nicht gemeint hat. »Entschuldigung, aber stecken wir in Schwierigkeiten?«

      »Kennt jemand von euch das tote Mädchen?«

      Ich sehe die anderen an, aber niemand springt für mich ein. Maddy hat die Arme immer noch unter ihrem Kleid verschränkt und schaukelt steif hin und her. Cori beobachtet die Polizisten am See mit einem seltsam faszinierten Gesichtsausdruck. Tricia schaut bedrückt zu Boden, ihre nackten Schultern zittern. Tai sieht mich nur ausdruckslos an und Brie nickt mir zu, damit ich fortfahre.

      »Nein. Stecken wir nun in Schwierigkeiten?«

      »Ich hoffe nicht.« Detective Morgan gibt einem Officer über unsere Köpfe hinweg ein Zeichen und ich werfe Brie einen kurzen Blick zu. Sie sieht besorgt aus und ich frage mich, ob ich das auch sein sollte. Sie hält sich einen Finger an die Lippen und ich nicke kaum merklich, während ich gegenüber den anderen die Augenbrauen hochziehe. Tai nickt monoton, Tricia und Cori verschränken ihre kleinen Finger, nur Maddy wirkt ernsthaft verängstigt.

      In diesem Moment sehe ich, wie Dr. Klein sich einen Weg durch die Menge bahnt, eine kleine, aber Respekt einflößende Frau, tadellos gekleidet und beherrscht, selbst zu dieser Uhrzeit und unter diesen Umständen. Mit einer winzigen Handbewegung winkt sie einen Officer aus dem Weg und marschiert direkt auf uns zu.

      »Kein weiteres Wort«, sagt sie und legt eine Hand auf meine Schulter und eine auf Coris. »Diese Mädchen stehen unter meiner Obhut. In Abwesenheit ihrer Eltern bin ich ihr Vormund. Ohne meine Anwesenheit dürfen sie nicht befragt werden. Haben Sie das verstanden?«

      Detective Morgan will protestieren, aber das hat keinen Zweck, wenn Dr. Klein ganz in ihrer Rolle als Schulleiterin aufgeht.

      »Diese Schülerinnen haben gerade eine entsetzliche Entdeckung gemacht. Ms Matthews ist völlig durchnässt und riskiert eine Unterkühlung. Sollten Sie nicht gewillt sein, sie drinnen weiterzubefragen, müssen Sie ganz einfach noch einmal wiederkommen. Ich richte mich auch während der Unterrichtsstunden gern nach Ihrem Zeitplan.«

      Detective Morgan lächelt wieder, ohne die Zähne zu zeigen. »Na schön. Die Mädchen haben eine Menge durchgemacht. Geht ruhig und schlaft gut. Lasst bloß nicht zu, dass so eine winzig kleine Tragödie eure tolle Party ruiniert.« Sie ist im Begriff zu gehen, dreht sich dann aber noch einmal zu uns um. »Ich melde mich.«

      Dr. Klein bringt uns zurück zu den Wohnheimen und wirft noch einen kurzen Blick auf das Seeufer.

      Ich wende mich an Brie. »War echt fies, was sie da gesagt hat.«

      »Stimmt«, erwidert Brie aufgewühlt. »Es klang fast wie eine Drohung.«

      2

      Am nächsten Morgen hat die Neuigkeit die gesamte Schule infiziert. Mein Wohnheim befindet sich auf der anderen Seite des Campus und ich wache auf von den Sirenen draußen und einem gedämpften Schluchzen über mir. Ich öffne die Augen und sehe Brie am Rand meines Bettes hocken, das Gesicht an das Fenster gepresst. Sie ist schon geduscht und angezogen und schlürft Kaffee aus meiner »I ♥ Bates Soccer Girls«-Tasse.

      Der Anblick der Tasse jagt mir einen Stromstoß über den Rücken. Am Montag ist ein entscheidendes Spiel und als Vorbereitung habe ich heute Vormittag ein langes Training angesetzt. Ich springe aus dem Bett, binde mein dickes, welliges rotes Haar zu einem straffen Pferdeschwanz zusammen und ziehe mir Leggings über.

      »Jessica Lane«, sagt Brie.

      Eisiger Frost überzieht meine Haut und meine Schultern verkrampfen sich. »Was?«

      »Das Mädchen im See.«

      »Nie von ihr gehört.« Ich wünschte, Brie hätte mir ihren Namen nicht genannt. Es war schon fast unmöglich, ihr unbewegtes, friedliches Gesicht aus dem Kopf zu bekommen, als ich letzte Nacht wach neben Brie in meinem schmalen Wohnheimbett lag, und jetzt muss ich mich konzentrieren. Ich will jedes noch so kleine Detail der letzten Nacht aus meinem Gedächtnis streichen. Drei Jahre lang war ich stabil und jetzt möchte ich nicht wegen dieser Sache zusammenbrechen. Eine einzige Schneeflocke.

      »Aber ich. Sie war in meinem Mathekurs.«

      Ich spüre ein flaues, nagendes Gefühl im Magen. »Vielleicht war es doch keine so gute Idee, vor der Polizei zu behaupten, dass wir sie nicht kannten.«

      »Zerbrich dir nicht den Kopf darüber.« Sie setzt sich zu mir und dreht eine meiner Locken um ihren Finger. »Ich meine, ich kannte sie nur ganz, ganz flüchtig. Wir konnten den Cops nicht alles erzählen. Sie hätten sich nur darauf eingeschossen und unser Leben komplett ruiniert.«

      Brie hatte ihren eigenen, ganz anderen Grund, den Gesetzeshütern gegenüber skeptisch zu sein. Zum einen sind ihre Eltern Top-Strafverteidiger und sie will beruflich auch in diese Richtung. Wahrscheinlich weiß sie mehr über Strafrecht als die meisten Jurastudenten im ersten Studienjahr. Alles, was du sagst, kann und wird gegen dich verwendet werden. Seit sie im letzten Jahr die Debattierclub-Regionalmeisterschaften gewonnen hat, wurde dieses Zitat zu einem Mantra für sie: »Tanze, als würde dich niemand sehen; schreibe E-Mails, als könnten sie laut bei einer Vernehmung vorgelesen werden.« Zum anderen hat Brie eine rassistische Ungleichbehandlung durch Polizisten schon selbst erlebt. Natürlich nicht an der Bates, wie sie immer betont. Aber sogar ich habe mitbekommen, wie anders die Dinge außerhalb der Schule laufen. Als einmal eine Party außerhalb des Campus aufgelöst wurde, ist ein Cop direkt an mir vorbeigegangen – an einer Minderjährigen mit einer offenen Bierflasche – und hat Brie zu einem Alkoholtest aufgefordert. Sie hatte eine Dose Limo in der Hand. Trotzdem musste sie in das Testgerät pusten.

      Ich seufze. »Und man kann Maddy nichts erzählen, wenn man nicht will, dass die ganze Schule davon erfährt.«

      »Das ist nicht fair.«

      Es geht hier gar nicht um fair. Letztes Jahr hat Maddy versehentlich die Namen der Neuzugänge unserer Fußballmannschaft online veröffentlicht, bevor wir sie aus ihren Zimmern »entführen« konnten, was zu unserem traditionellen Aufnahmeritual gehört. Diese Tradition schweißt uns als Team zusammen und abgesehen davon macht es höllisch Spaß. Nimmt man der Initiationsnacht den Schrecken, geht auch der Glücksrausch verloren, wenn man erfährt, dass man aufgenommen wurde. Dass man gut genug ist. Aber nein. Maddy sind die Namen durchgesickert,