Eine wie wir. Dana Mele

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Название Eine wie wir
Автор произведения Dana Mele
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783038801214



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vorgelesen werden – oder in einem für alle Schüler zugänglichen Community-Forum.

      Vielleicht waren wir doch nicht ganz fair zu Maddy. Vor ein paar Wochen hat Tai mit diesem »Notorious«-Spitznamen angefangen, den ich ehrlich gesagt nicht ganz verstehe. Aber das werde ich auf keinen Fall als Einzige zugeben. Selbst Brie verhält sich Maddy gegenüber neuerdings ziemlich distanziert, ich bin nur noch nicht dahintergekommen, woran das liegt. Maddy ist nicht so originell wie Tai oder so lernbegierig wie Brie und sie besitzt innerhalb unserer Clique den Ruf als Dummchen, obwohl sie eigentlich sehr intelligent ist. Sie hat den zweitbesten Notendurchschnitt der elften Jahrgangsstufe, ist Kapitänin der Feldhockeymannschaft und gestaltet die Websites aller Sportteams. Sie hat nichts von der Zeit, die sie dafür investiert, aber wir können uns dadurch besser präsentieren. Ich glaube, ihr fehlt einfach der gewisse Zynismus, den der Rest von uns verbindet, und die Leute neigen dazu, das als Schwäche auszulegen. Sie erinnert mich an meine beste Freundin zu Hause, Megan Galloway. Sie hat immer nur das Gute in allem gesehen. So eine Weltanschauung ist gefährlich, aber ich beneide das.

      Manchmal habe ich das Gefühl, ich sehe nur die schlechten Seiten.

      »Wie auch immer, sie ist identifiziert. Ihre Eltern wurden informiert. Es ist überall in den Nachrichten.« Brie deutet zur Zimmerdecke und ich blicke leicht durcheinander auf. Das Weinen scheint stärker zu werden.

      Ich lege die Hand vor den Mund und zeige nach oben. »War das ihr Zimmer?«

      Brie nickt. »Ich denke, ja. Vor dem Zimmer hängt Absperrband und das Geheule geht schon zwei Stunden so. Ich kann gar nicht glauben, dass du davon nicht wach geworden bist.«

      »So bin ich eben.« Ich bin ein berüchtigter Tiefschläfer – falls und wenn ich es schaffe, schaltet sich mein Hirn aus – und das weiß niemand besser als Brie. Sie war zwei Jahre lang meine Mitbewohnerin, bevor wir das Einzelzimmerprivileg der Zwölften bekommen haben, und wir übernachten noch immer oft zusammen.

      Sie grinst für einen Moment, dann verschwindet ihr Lächeln. »An der Bates gab es seit über zehn Jahren keinen Selbstmord mehr.«

      »Ich weiß.« Sie ist taktvoll genug, nicht zu erwähnen, dass es in der Vergangenheit, als ihre Mom hier noch zur Schule ging, eine regelrechte Epidemie gab. Ein ganzer Flügel des Henderson-Wohnheims war fast dreißig Jahre lang geschlossen.

      »Wie kann es sein, dass du sie nicht kanntest?«, fragt Brie.

      »Vielleicht hat sie viel Zeit außerhalb des Campus verbracht.«

      Ich ziehe mir ein Sweatshirt über, schnappe mir meinen Schülerausweis und Schlüssel, zögere dann aber, als meine Hand schon auf dem Türknauf liegt. Ich werfe einen Blick auf den Kalender, der über meinem Bett hängt. Meine Eltern haben ihn mir im September mitgegeben und alle Spieltage mit einem roten Marker dick eingekreist. Beim Spiel am Montag werden mich drei Scouts unter die Lupe nehmen und anders als meine Freundinnen kann ich nicht auf einen Haufen Geld zurückgreifen, wenn mir kein Collegestipendium angeboten wird. Ich bin nicht das typische Bates-Girl aus einer der wohlhabenden Familien Neuenglands. Ich bin nur wegen eines »vollen Schülerstipendiums« hier, das Codewort für Sport, weil meine Noten nicht ausreichen, um mich über Wasser zu halten, und meine Eltern sich das Schulgeld nicht leisten können. Aber heute gelten mildernde Umstände und es könnte einen schlechten Eindruck machen, das Training trotzdem durchzuziehen. Das müssten sogar meine Eltern verstehen.

      Ich drehe mich zu Brie um. »Sollte ich das Training besser absagen?«

      Sie wirft mir einen ihrer »Ich will dir ehrlich keine Vorwürfe machen«-Blicke zu. »Kay, das Training ist bereits abgesagt.«

      »Das können die nicht machen!«

      »Natürlich können sie das. Wir leiten doch nicht die Schule. Sport, Musik, Theater, alle außerschulischen Aktivitäten sind auf Eis gelegt, solange die Ermittlungen laufen.«

      Ich lasse mich wieder aufs Bett fallen, mir schwirrt der Kopf. »Du machst Witze. Montag ist der wichtigste Tag meines Lebens.«

      Sie legt einen Arm um meine Schulter und zieht mich an ihren warmen Körper. »Ich weiß, Süße. Es ist ja auch nicht endgültig vorbei, sondern nur aufgeschoben.«

      Ich werfe meinen Schlüssel auf den Boden und drücke meine Stirn gegen Bries Schulter, meine Augen brennen. »Ich dürfte gar nicht so aus der Fassung sein, oder?«

      »Doch, solltest du. Dir ist nur nicht ganz klar, warum du so aus der Fassung bist. Die letzte Nacht war traumatisch.«

      »Du verstehst das nicht.« Ich löse mich von ihr und drücke die Fingerknöchel in meine Augenhöhlen. »Ich kann nicht nach Hause gehen. Selbst wenn du nicht schon deinen Collegeplatz hättest, stünde für dich absolut nichts auf dem Spiel.«

      »Das ist weder fair noch wahr.«

      Ich mustere ihre ernsten, mahagonifarbenen Augen und die gerunzelte Stirn. Ihr weiches, wolkenartiges Haar umrahmt ihr Gesicht fast wie ein Heiligenschein. Sie ist immer so akkurat und gefasst. Sie passt gar nicht in mein Zimmer oder mein Leben, wo das nukleare Chaos herrscht. Sie hat Köpfchen, Ausstrahlung, Geld und eine perfekte Familie.

      »Du verstehst das nicht«, wiederhole ich leise.

      »Es wird sich zeigen, dass es sich um einen klaren Fall handelt«, sagt Brie entschieden. Sie steht auf und schaut wieder aus dem Fenster. »Eindeutig Selbstmord.«

      »Was genau wird dann untersucht?«

      »Ob es eine Fremdeinwirkung gab, vermute ich.«

      »Mord?«

      »Das wird immer geprüft, wenn jemand gewaltsam ums Leben gekommen ist.«

      Die Worte hallen in meinem Kopf wider. Ein gewaltsamer Tod. Sie sah so ruhig, so friedlich aus, aber der Tod ist hart und unerbittlich. Er ist schon per Definition ein gewaltsamer Akt.

      »Hier?«

      »Mörder gibt es überall, Kay. In Pflegeheimen und Notaufnahmen. Auf Polizeirevieren. Überall, wo man eigentlich sicher sein sollte. Warum nicht in einem Internat?«

      »Weil wir schon seit vier Jahren hier sind und jeden kennen.«

      Brie schüttelt den Kopf. »Mörder sind auch nur Menschen. Sie essen dasselbe und atmen dieselbe Luft. Sie machen nicht gerade auf sich aufmerksam.«

      »Vielleicht doch, wenn man richtig zuhört.«

      Brie schiebt ihre Finger zwischen meine. Meine Hände sind immer kalt, ihre sind immer warm. »Es war Selbstmord. In ein paar Tagen geht es mit Sport weiter. Du wirst angeworben. Ganz sicher.«

      Dass ihr das Wort Selbstmord so leicht über die Lippen kommt, irritiert mich. Es liegt etwas Giftiges darin, wie die zerrissenen Teile von mir, die kaum zusammengeflickt sind und die Brie nicht sehen soll. »Jetzt werden sie uns mit Schülerversammlungen zum Thema Warnzeichen bombardieren und warum man sich nicht umbringt und so ’n Scheiß. Denn das ist nachträglich ja so hilfreich.« Was in einem Punkt sogar stimmt, wenn man an die Vergangenheit der Bates denkt. Zumindest ist es besser als nichts. Aber für die Person, die gegangen ist, und für alle, denen sie etwas bedeutet hat, ist es ein Scheißdreck.

      Brie zögert. »Na ja, auf jeden Fall sollten wir ab jetzt netter zu unseren Mitschülerinnen sein. Denk mal darüber nach.«

      Ich sehe ihr in die Augen und suche irgendwo in den Tiefen nach meinem schattenhaften Ich. Vielleicht gibt es da draußen eine bessere Version von mir, und falls sie wirklich existiert, dann in Bries Gedanken. »Nett ist subjektiv.«

      »Du sprichst wie ein echtes Bates-Girl. Wir sind so egozentrisch. Wie selbstsüchtig muss man sein, um nicht zu bemerken, wenn jemand vor einem Zusammenbruch steht?«

      Für den Bruchteil einer Sekunde denke ich, dass sie von mir spricht.

      Aber das tut sie nicht. Sie spricht von Jessica.

      Ich atme wieder.

      »Du kandidierst noch nicht als Präsidentin. Es ist nicht deine Aufgabe, jedermanns beste Freundin zu sein. Nur