Название | Eine wie wir |
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Автор произведения | Dana Mele |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038801214 |
Irreführung. Manchmal ist Irreführung nötig.
»Sicher.«
Ich atme tief ein und sehe mich auf dem Campus um. Die Sonne ist gerade hinter dem Horizont verschwunden und zeichnet die gotische Architektur des Schulinnenhofs samtig blau. Die Laternen, die den gepflasterten Weg säumen, leuchten in einem sanften Gelb wie Gefäße mit Hunderten Glühwürmchen, die sachte über uns schwirren.
»Hast du schon mal darüber nachgedacht, eine leistungssteigernde Droge zu nehmen?«
Tais helle Augen mustern mich mit einer Spur Herablassung. »Wer hat das nicht? Wenn du nicht erwischt wirst, ist es nichts anderes, als Kaffee zu trinken, damit du länger lernen kannst.«
Mir schnürt sich die Kehle zu und ich versuche, meine Beklommenheit zu verbergen. Ihre Antwort verheißt nichts Gutes. »Ich finde, das ist schon ein bisschen was anderes.«
»Nehmen wir das Beispiel Meldonium, das Mittel, mit dem Marija Scharapowa erwischt wurde. Es ist absolut legal.«
»Nicht in den USA.« Ich stopfe meine Hände in die Taschen. Ich weiß nicht, wie ich mich locker verhalten soll. Hände sind das größte Problem, wenn es nichts für sie zu tun gibt. Das fiel mir auch am schwersten, als ich mit dem Fußball angefangen habe. Ich hatte immer den Reflex, den Ball zu fangen, mein Gesicht zu schützen oder um mich zu schlagen. Hände sind zu sehr Teil von uns. Sie verraten uns.
»In Russland wird es andauernd verschrieben. Es erhöht nur die Durchblutung, was die Belastungsfähigkeit verbessert.«
»Ja, aber es wurde aus einem bestimmten Grund verboten. Es verschafft dir einen Vorteil.«
Sie bleibt stehen und sieht mich ernst an. »Du brauchst gar keinen Rat.«
Ich seufze und blicke ihr in die Augen. »Was willst du damit sagen?«
»Nichts. Dieses Gespräch ist beendet.« Sie wendet sich zum Gehen.
»Du musst dich stellen.«
Sie wirbelt herum, ihre Augen sind mondgroß im Licht der Laternen. »Wie bitte?«
»Jemand weiß davon. Ich werde erpresst, damit ich dich anzeige, aber wenn du es tust, wäre das bestimmt besser für dich.«
Ihr Gesicht wird kreidebleich. »Besser für mich? Hier herrscht eine Null-Toleranz-Politik. Ich fliege von der Schule. Ich habe es dir erzählt, weil ich dir vertraut habe und weil ich weiß, dass du dich im Fußball auch verbessern musst. Ich dachte erst, du wolltest mich um Hilfe bitten.«
Mein Mund fühlt sich so trocken an wie das Laub, über das wir gehen. »Nein. Tut mir leid.«
»Geht es dabei um Georgetown? Ich kann sofort dort anrufen und absagen. Wir machen nicht mal denselben Sport, Kay. Das ist dir klar, oder?«
»Es geht nicht darum. Ich sage dir die Wahrheit.«
Sie schüttelt den Kopf. »Wow, Kay, ich weiß, dass du dich von Erfolg bedroht fühlst, aber das ist ein anderes Level.«
»Oder vielleicht hast du so viel Angst davor, zu verlieren, dass du nicht fair spielen kannst.« Ich bekomme mit, wie ein paar Leute ihre Fenster öffnen, und senke die Stimme. »Ich meine es todernst. Jemand weiß es. Wie hätte ich sonst davon erfahren sollen?«
»Dann nenn mir Namen.« Sie baut sich vor mir auf. »Sonst gehe ich davon aus, dass nur du dahintersteckst.«
Jetzt schüttele ich den Kopf. »Ich würde es dir sagen, wenn ich könnte, aber die haben auch etwas gegen mich in der Hand. Glaub mir, die ganze Sache ist echt übel. Bitte, Tai. Wenn du dich stellst, ist die Schule vielleicht nachsichtig.« Es gibt so viele Lügen. Selbsterhaltende Lügen und betäubende Lügen.
»Wenn das Konsequenzen für mich hat, ist das deine Schuld«, sagt sie, aber ihre Stimme klingt flehend.
Ich wende mich in Richtung Mensa zum Gehen, denn ich weiß, wenn sie jetzt noch etwas hinzufügt, breche ich in Tränen aus.
Und dann sagt sie es.
»Na schön. Aber hör zu, Kay, egal, was mit mir passiert, du wirst die Bates ohne Auszeichnung, ohne Stipendium und ohne Zukunftsaussichten verlassen. Und du wirst direkt in das Loch zurückfallen, aus dem du gekrochen bist, bevor du hierherkamst. Wenn ich rausgeworfen werde, gehe ich nächstes Jahr trotzdem an ein Elite-College. Aber hey, wenn du nicht so viel Zeit damit verbracht hättest, dir meine Klamotten auszuborgen und Brie an die Wäsche zu gehen, wärst du vielleicht sogar eine echte Gefahr.«
Ich drehe mich langsam zu ihr um, meine Gedanken rasen so schnell, dass ich keinen zu fassen bekomme. Sag etwas. Sag nichts. Zerstöre sie. Vergib ihr.
»Ich bin eine Gefahr«, sage ich leise. Sie hat ja keine Ahnung.
Sie kommt auf mich zu, bis unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind. »Jeder hat seine eigenen Prioritäten. Ich will erfolgreich sein und mir einen Namen machen. Deine sind nur Verkleiden spielen und keinen Sex haben.«
Fehdehandschuh hingeworfen.
*
Beim Abendessen ist es in der ganzen Mensa düster und niemand redet. Samstagabends ist es immer ziemlich ruhig, weil sich die meisten Schülerinnen aus der Oberstufe eine Genehmigung holen, außerhalb des Campus zu essen, doch heute Abend sind fast alle aus Solidarität dageblieben. Mrs March, unsere Hausmutter, hat, ihrem puterroten Gesicht und den blutunterlaufenen Augen nach zu urteilen, den ganzen Tag geweint. Sie sitzt still in einer Ecke und stochert in ihrem Essen herum. Ich habe das Gefühl, dass ich zu ihr gehen und etwas sagen sollte, aber mir fallen keine passenden Worte ein. »Ihr Verlust tut mir sehr leid«, ist wahrscheinlich nicht ganz angemessen, weil es ja nicht wirklich ihr Verlust ist. Direktion und Personal behaupten immer, dass die Bates eine Familie ist, aber das stimmt nicht. Wir sind eher ein Team, aber selbst das trifft nicht ganz zu. Wir sind zwei Teams. Lehrkräfte und Mitarbeiter sind ein Team und die Schülerinnen das andere. Innerhalb der Teams wird es noch komplizierter, ich kann dies mit der gemessenen Autorität einer zweijährigen Mannschaftskapitänin sagen. Und anders, als es die Trainer einem von klein auf einbläuen, während man als Anfänger hektisch über das Feld rennt, ist nicht jedes Teammitglied unverzichtbar.
Deshalb gibt es Einschnitte. Deshalb gibt es Bänke. Deshalb sitzt einem während jeder Saison ständig die Angst im Nacken, zu versagen, selbst den Sommer über, in der Nebensaison, in der Vorsaison, in der Nacht vor einem großen Spiel. Selbst als Mannschaftskapitänin ist man sich bewusst, dass eine falsche Entscheidung den Absturz bedeuten kann und man im Handumdrehen ersetzt wird. Fehler zählen. Jessica gehörte zwar zum Schülerinnenteam, aber sie wird mir nicht fehlen. Ich fühle mich deshalb schlecht. Oder vielmehr leer als schlecht.
Nach meinem epischen Krach mit Tai will ich lieber allein sitzen, um weiteren Dramen aus dem Weg zu gehen. Tai kann heute Abend gern das Sorgerecht für unsere Freunde haben. Mir fehlt die Kraft für eine weitere Auseinandersetzung. An den runden Eichentischen in der Mensa gibt es jeweils sechs Plätze und die meisten sind besetzt. Ich nehme mir fünf leere Tabletts und verteile sie auf dem Tisch, damit die Leute gleich mitkriegen, dass ich keine Lust auf Gesellschaft habe. Ein paar Mädchen aus meiner Mannschaft winken mir im Vorbeigehen mitfühlend zu und ich erhalte ein paar gedämpfte Beileidsbekundungen von irgendwelchen Neunt- und Zehntklässlerinnen, die wahrscheinlich annehmen, dass ich trauere oder so. Zum größten Teil werde ich jedoch in Ruhe gelassen. Aber nach ein paar Minuten legen sich zwei Arme um meine Taille und ich spüre Bries Wange an meiner.
»Wie geht’s dir, Süße?«
Die dunklen Gefühle verschwinden. Ich lächle zu ihr auf. »Schrecklich. Ist Justine gegangen?«
Sie setzt sich mir gegenüber. »Theaterprobe. An der Easterly geht das Leben weiter. Also, ich habe gehört, dass du Tai auf dem Hof attackiert hast?«
Ich seufze in meine Hand. »Klar. Ich habe Tai auf dem Hof attackiert. Mit einem Kerzenständer.«
Sie beugt sich vor, ihre Augen glühen förmlich. Das Einzige, was