Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski

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Название Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen
Автор произведения Christoph Regulski
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843804769



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war aus taktischen Gründen in die neue Partei mit eingebunden, da sie ihren Einfluss auch bei den radikaleren Kräften nicht verlieren wollte399. Die konkreten Forderungen der USPD waren neben der Beendigung des Krieges ohne Annexionen und Kontributionen Amnestie für alle politischen Gefangenen400, Beseitigung der Zensur, Aufhebung der Gesindeordnung und ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht401. Gewaltanwendung als Mittel der politischen Veränderung lehnte die Partei strikt ab und setzte auf die Kraft der Argumente402. In ihrer Politik verstand sich die USPD als Block gegen den Burgfrieden, gegen die Kriegskredite, gegen die Zusammenarbeit mit der Regierung403 und für einen schnellen Verständigungsfrieden404. In der USPD sahen die Matrosen der Hochseeflotte die Partei, die ihrem Anliegen nach einem schnellen Friedensschluss am nächsten stand. Willi Sachse rief seine Kameraden daher umgehend zum Eintritt auf405.

      Aus Sicht der Soldaten standen die Nutznießer des Krieges einem schnellen Friedensschluss entgegen. Durch ihre Gewinninteressen ging der Krieg zu Lasten der einfachen Menschen weiter406. Linke Tageszeitungen wie die Leipziger Volkszeitung407 formulierten im Rahmen der geltenden Zensurgesetze oppositionelle Ansichten zum weiter andauernden Krieg408. Diese Zeitung bezogen die Matrosen auf der Prinzregent Luitpold bis zum Juli 1917 ungehindert409.

      Auch Admiral Scheer stellte in seinem Bericht vom Oktober 1917 fest, dass die Revolution in Russland den Grund für eine deutsche Matrosenorganisation bereitete410. Dennoch waren sich die Matrosen bis zum Frühjahr nicht darüber einig, welches Ziel sie mit welchem Mittel erreichen konnten. Besonders das Fehlen einer politischen Partei, die hinter ihrem Anliegen stand, machte sich bis zum April deutlich bemerkbar411. Der Verlauf des Krieges mit der immer größer werdenden Zahl an Opfern412 trug dazu bei, dass viele Matrosen den Krieg gänzlich ablehnten und sich für den Frieden einsetzten413. Das Interesse der Matrosen an ihren Schiffen und dem eintönigen Dienst ließ nach der Skagerrak-Schlacht spürbar nach. Parallel verschärfte sich die Stimmung an Bord414. Auf der Friedrich der Große gelang es den Matrosen ohne Wissen der Schiffsleitung415, Vertrauensmänner unter den Heizern und Wachen zu wählen416. Max Reichpietsch engagierte sich in führender Position417. Er trat für die USPD ein und stand der sich entwickelnden Matrosenbewegung vor418. Politisch befürwortete er die Mitgliedschaft der Matrosen in der USPD, forderte einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen und wollte die USPD durch Unterschriftenlisten auf der bevorstehenden Stockholmer Konferenz stärken419. Dort tagten bereits im Juli internationale sozialistische Persönlichkeiten, um die Möglichkeit eines schnellen Friedensschlusses zu erörtern. Für den September 1917 war die Fortsetzung der Beratungen geplant420, die zuerst auf den 15. August festgelegt worden waren. Das Programm der Konferenz lautete:

      »Die Konferenz wird in Stockholm am 15. August 1917 und an den folgenden Tagen stattfinden. Das vorläufige Programm der Konferenz ist nachfolgend festgesetzt:

      1. Der Weltkrieg und die Internationale

      2. Das Friedensprogramm der Internationale

      3. Die Mittel und Wege zur Verwirklichung dieses Programms und zur raschen Beendigung des Krieges

      Die Organisatoren der allgemeinen Konferenz sind tief überzeugt, daß die Internationale, wenn sie zur Beendigung des Weltkrieges beitragen soll, alle sozialistischen Parteien und die gewerkschaftlichen Organisationen dahin bringen muß, ihrer Regierung jede Mitarbeit zu verweigern, wenn sie ihre Kriegsziele bekanntzugeben ablehnt oder in offener und verdeckter Form imperialistische Ziele ausspricht oder nicht Verzicht auf sie leisten will. Von der Überzeugung ausgehend, daß diese Organisation diese Anschauungen teilt, und bereit ist, die Verpflichtungen zu übernehmen, sind die Beschlüsse der allgemeinen Konferenz ohne Tendenz und Abweichung in die Tat umzusetzen.«421

      Mit dem Aufruf zur Stockholmer Konferenz war nach Kaulisch der »bewusste Aufbau einer revolutionären Mannschaftsbewegung«422 verbunden.

       6.2. Die Gründung

      Am 6. Juni 1917 weigerte sich die Mannschaftsbesatzung der Prinzregent Luitpold, das verdorbene Mittagessen abzuholen423. Das Essen wurde bis zum Abend aufbewahrt und dann weggeschüttet, ohne dass die Matrosen etwas anderes bekommen hätten424. Die Beschwerde bei dem 1. Offizier, Korvettenkapitän Herzbruch, verhallte ungehört. Vielmehr schrie Herzbruch die auf Deck versammelten Mannschaften an, sie handelten unpatriotisch425. Der Wunsch nach Aufklärung über die Gründe für das schlechte Essen wies der Offizier barsch zurück426. Im Anschluss an den Streik traf sich Hans Beckers mit Willi Sachse und Max Reichpietsch, um über die Folgen der Auflehnung zu sprechen und den Gedanken einer soldatischen Mitbestimmung bei der Versorgung zu erörtern427. Die wichtige Erfahrung solidarischen Handelns bestärkte die Matrosen, sich weiter zu organisieren428.

      Gegen den verhassten 1. Offizier429 richtete sich dann Ende Juni eine gezielte Aktion. Vor dem kriegsbedingt raschen Kohleaufnehmen in das Schiff schrieben die Matrosen in großen Lettern die Parole »Schafft uns Herzbruch von Bord – dann schlagen wir den Rekord«430 auf den Panzerturm und durchschnitten die Seile der Kohlenkörbe431. Da Herzbruch aber in seiner Stellung verblieb, arbeiteten die Mannschaften langsam und brauchten für das Einladen der rund 800 Tonnen Kohle vier Stunden mehr als vorgesehen432. Die Macht der Offiziere stieß in diesem Fall an ihre Grenzen433.

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      Beim Kohlentrimmen

      Einen Monat später ereignete sich auf dem Flaggschiff Friedrich der Große ein vergleichbarer Vorfall, der die Autorität der Offiziere in Frage stellte434.

      Während eines Nachtschießens aßen die Matrosen das für den Morgen bestimmte Brot auf, ohne zum Frühstück frisches zu erhalten. Daraufhin weigerten sie sich, zum Dienst anzutreten435 und hissten einen alten Wischlappen als Zeichen ihres Protestes436. Durch die Androhung von Waffengewalt versuchte die Schiffsleitung wieder das Kommando zu übernehmen437. Die Matrosen erzielten mit ihrer Weigerung, wieder ihren Dienst zu versehen, einen durchgreifenden Erfolg438. Auch das Zugeständnis einer warmen Mahlzeit werteten die Matrosen als einen Sieg über die Willkür der Offiziere439.

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      Das Schlachtschiff Friedrich der Große

      Mitte des Monats Juli weigerten sich die Heizer auf der Posen verschimmelte Rüben zu essen440. Sie wurden von einem Offizier, der damit drohte, sie aus dem Maschinenraum zu werfen, übel als Schweinehunde beschimpft441. Auf der Moltke führte die unzureichende Ernährung zur totalen Erschöpfung der Heizer, die ihren Dienst nicht mehr durchhielten und »umfallen wie die Fliegen.«442

      Der 1. Offizier der Nürnberg rief den versammelten Mannschaften zu: »Heute haben verschiedene Leute um mehr Brot gebeten. Das gibt es nicht, da müssen sie eben hungern. Sollte einer von ihnen dabei eingehen, so bin ich gern bereit, ihn mit allen Kriegsehren beerdigen zu lassen443.« Derartige Äußerungen der Offiziere sind auch von Beckers überliefert. Sätze wie »der Soldat hat nur das Recht, sich totschießen zu lassen!« oder »Freßt Steine statt Brot«444 waren »stets an der Tagesordnung445

      Zwei weitere Vorfälle auf der Prinzregent Luitpold trugen zum einen dazu bei, den Matrosen zu zeigen, dass sich Widerspruch lohnen konnte. Zum anderen zeigten kleine Erfolge aber auch, dass sich an dem gesamten System nichts änderte.

      Mitte Juli 1917 bereiteten die Schiffsköche eine Suppe, die komplett mit Maden durchsetzt war446. Nach eingehenden Beschwerden untersuchten die Schiffsärzte das Essen und befanden es für ungenießbar447. Als im Zuge des Protestes das Schiff im Kaiser-Wilhelm-Kanal stehen blieb und diesen blockierte, gab es für die Matrosen