Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski

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Название Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen
Автор произведения Christoph Regulski
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843804769



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Max Reichpietsch bewährte sich in verantwortungsvoller Position als Signalgeber auf dem Flaggschiff Friedrich der Große von Admiral Scheer.

      Die Marinebewegung ein Jahr später war auf die sich stetig verschlechternden Verhältnisse auf den Schiffen selbst und die sinnlose maritime Kriegsführung zurückzuführen. Hans Beckers betonte in seinen Erinnerungen ausdrücklich, dass selbst am 2. August 1917, dem Tag des Ausmarsches nach Rüstersiel, der alte Schlachtengeist noch lebte. »Würde man (…) die Meldung überbracht haben, daß der Engländer vor Helgoland erschienen sei und unsere Schiffe zum Auslaufen bereit liegen –, dann wären fast alle in rasender Eile zur Werft zurückgeeilt.«236 Richard Stumpf hob hervor, dass es nie einen Unterschied zwischen vaterlandstreuen und -untreuen Matrosen gab. »Nein, wir Alle waren vaterlandsliebend, Offiziere wie Mannschaften.«237

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      Schwerstarbeit im Heizraum

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      Die Heizer der Prinzregent Luitpold (ganz links stehend Albin Köbis)

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      Signalgast auf der Brücke während der Schlacht

      Willi Weber sah in dem Kommando »Seeklar!« stets etwas Befreiendes238. Während der Fahrt auf dem offenen Meer, als jederzeit mit Feindkontakt zu rechnen war, funktionierte das Zusammenspiel von Offizieren und Mannschaften. Es war ein »ganz anderer Geist da«239.

      4. DAS FRÜHJAHR 1917

      Nach der als bedeutender Sieg gefeierten Seeschlacht und den Besuchen zahlreicher Bundesfürsten240 hielt die positive, fast euphorische Stimmung unter der Besatzung noch einige Wochen an241. Die Schlacht war nach Richard Stumpf »eine Erlösung für Alle.«242 Sowohl Offiziere als auch Mannschaften standen noch unter dem Eindruck der bislang größten Seeschlacht und dem gelungenen Zusammenwirken aller Kräfte auf den Schiffen243. Die Marine hatte sich als Ganzes ausgezeichnet. Somit war die ungerechte Behandlung durch die Vorgesetzten für kurze Zeit vergessen244.

      Doch nach der Schlacht folgte die große Ruhe245. Zahlreiche Schiffe waren schwer beschädigt, die militärischen Lehren aus der Schlacht lauteten, dass die deutsche Marine auf keinen Fall eine zweite große Begegnung mit der Grand Fleet riskieren dürfte.

      Aus diesem Grund kam es nur noch zu wenigen Fahrten in die Nordsee mit militärischen Aufträgen246. Bis zum März 1917 plante die Seekriegsführung neun größere Operationen, von denen aber nur zwei überhaupt ausgeführt werden konnten247. Am 19. August 1916 begann Vizeadmiral v. Hipper einen Vorstoß gegen die Stadt Sunderland, den er mit nur zwei seiner älteren Schlachtkreuzer führen musste. Erst am 16. Mai 1917 waren die Kleinen Kreuzer Bremse und Brummer unter Fregattenkapitän Leonhardi in ein Gefecht mit englischen Schiffen verwickelt. Es gelang, einen von Zerstörern gesicherten Geleitzug beinahe vollständig zu vernichten248. Alle anderen in der Zwischenzeit geplanten Vorhaben mussten aus den bekannten Gründen wie Schiffsreparaturen oder ungünstige Wetterverhältnisse abgesagt werden. Dazu kam es bereits in der Planungsphase bei einzelnen Vorstößen zu heftigen Kontroversen in der Seekriegsleitung249. In der Tat blieben diese beiden Angriffe die einzigen Aktionen der deutschen Marine in dem Zeitraum zwischen der Skagerrak-Schlacht und dem Ausbruch der Matrosenbewegung Anfang August 1917. Bei einem Blick auf die auf sechs Geschwader verteilten 56 Schiffe der Hochseeflotte250 wird mehr als deutlich, dass nur ein Bruchteil der Schiffe in ein Gefecht zog.

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      Die schwer beschädigte Seydlitz nach der Skagerrak-Schlacht

      Der überwiegende Teil der Matrosen blieb auf den Schiffen im Hafen251. Der Dienst wurde durch fehlende Herausforderungen eintönig252. Auf der Helgoland verweigerten weite Teile der Mannschaft bereits im Herbst 1916 den Gehorsam253. Diese Verweigerungen wiederholten sich im Frühjahr 1917 auf dem Kaperschiff Möwe und auf Minensuchbooten, die ihre Häfen nicht verließen254. Einzelne Matrosen übten erste Kritik an dem monarchischen System. Es sei veraltet und müsse verschwinden255.

      Auf der Posen kam es um die Jahreswende 1916/1917 zu einer Aufsehen erregenden Einzelaktion durch den Matrosen Pistor. Die zentralen Sätze auf dem von ihm aufgehängten Transparent kritisierten die unwürdige Behandlung und die erheblich bessere Versorgung der Offiziere. »Ob alt oder jung, man behandelt uns gleich, man sieht in uns nur den Pöbel. Kein Lernen, kein Fortschritt, kein Denken darf sein, nur Gewalt, Drill und Zwang sollen halten fein die Ordnung, den Respekt und Patriotismus zusammen. Nicht Achtung, nein Abscheu und Furcht macht sich breit. Da, wo Patriotismus heute noch ist feil, ist er wohlgepflegt mit riesiger Heuer, mit Eiern, Kuchen und vollen Schüsseln. Wir sehen jeden nach achtern gehen, uns merkend für spätere Zeiten! Drum merkt’s Euch, Ihr Herren, was jetzt ihr sät, das wird man später ernten!«256 Das bereits am 18. Januar 1917 gefällte Urteil sah zwei Jahre und einen Monat Gefängnis vor257. An der weit verbreiteten Stimmung der Matrosen änderte es nichts. Schon zu Beginn des Jahres 1917 war mehr als deutlich, dass die Lage an Bord sehr angespannt war.

      Im Frühjahr 1917 spitzte sie sich nach Beckers noch weiter zu. Durch den langen und ermüdenden Bereitschaftsdienst zusehends gereizt, verschärften die Offiziere den Dienst für die Matrosen. Sie ersetzten Freizeit durch militärischen Dienst258, der aber oft jeglichen militärischen Sinns entbehrte und als »Hampelmann-Dienst« bezeichnet wurde259.

      Für jeden Fehltritt musste der Betroffene bis zum Umfallen Exerzieren. Selbst in Situationen militärischer Konfrontation mit dem Gegner war der einfache Matrose nicht vor Schikanen sicher. Einem Kameraden Beckers’ fehlte ein Hosenknopf, was der vorgesetzte Bootsmann in dem Moment bemerkte, als Granaten zu den Geschützen getragen wurden. Für diese »Verfehlung« ordnete der Bootsmann Strafexerzieren an260.

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      Kasernenhofdrill auf Achterndeck

      Während der militärischen Instruktion jagten Vorgesetzte die Matrosen durch das gesamte Schiff. Der Dienst nahm eine bislang nicht gekannte Schärfe an und glich in seiner Willkür zunehmend der Behandlung von Soldaten im Heer261. Beschimpfungen waren weiterhin alltäglich262, selbst Deckoffizieren263 wurde bis zum Ende des Krieges die Anrede »Herr« verweigert264. Die Mitgliedschaft im aktiven Offizierskorps blieb ihnen verwehrt265. Nach Ernst General lebten Mannschaften und Offiziere wie »Hund und Katze« zusammen266. An Bord bestanden zwei verschiedene Welten, die ein Matrose als die der Herren und die der Sklaven bezeichnete267.

      Die Stimmung war stets gereizt. Willi Weber bezeichnete sie als »faul«268. Diese Verstimmung basierte auch auf der strengen räumlichen Trennung auf den Schiffen. Zu den Offiziersmessen hatten die Matrosen zu keiner Zeit Zugang, die Wohn- und Schlafräume waren weit voneinander entfernt und unterschieden sich sehr deutlich voneinander269.

      Damit begann schnell wieder der Alltag auf den Schiffen, der sich nicht von dem vor der Skagerrak-Schlacht unterschied. Im Gegenteil: Nach der hervorragenden Bewährung zu See empfanden die drangsalierten Matrosen die ungerechte Behandlung doppelt bitter270. Der Matrose Richard Stumpf, streng nationalistisch eingestellt271, fasste es in seinem Tagebuch am 22. Februar 1917 eindrucksvoll zusammen:

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      Schlafgelegenheiten für Mannschaften

      »Es ist unsagbar, welche Gemeinheiten ich mir von dem O.St.Maaten … gefallen lassen