Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski

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Название Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen
Автор произведения Christoph Regulski
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843804769



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1916 eine Strafe wegen des unerlaubten Tragens des Mützenbandes. Die Stammrolle weist Max Reichpietsch als Teilnehmer der Seeschlacht vor dem Skagerrak zwischen dem 31. Mai und 1. Juni 1916 aus353.

      Albin Köbis, geboren am 18. Dezember 1892 in Reinickendorf bei Berlin354, wuchs im Arbeiterbezirk Pankow-Niederbarnim auf und arbeitete als Mechaniker. Er fuhr mehr als drei Jahre als Heizer auf deutschen, dänischen und norwegischen Schiffen zur See355, bevor er 1911 eingezogen wurde. Als seine Dienstzeit endete, brach der Weltkrieg aus356, sodass Köbis in der Marine blieb.

      Während dieser Zeit beschäftigte er sich nicht mit konkreter Politik357, setzte sich aber mit den Grundgedanken des Sozialismus auseinander. Aus diesem Ansatz wuchs sein Interesse an der Philosophie, das ihn schließlich mit der Gedankenwelt des Anarchismus vertraut machte358, die Grundlage seines politischen Handelns wurde359. Seine persönliche Art war stets direkt und aufrichtig360 und brachte ihm während seiner Zeit in der Marine zahlreiche disziplinarische Strafen ein361. Während des Krieges neigte er politisch der linken Sozialdemokratie zu und abonnierte früh den Vorwärts362.

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      Albin Köbis zu Beginn seiner Dienstzeit

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      Albin Köbis

      Hans Beckers wurde am 17. Februar 1892 in Alsdorf bei Aachen363 in eine kinderreiche Arbeiterfamilie geboren. Nach der Volksschule ergriff er wie sein Vater den Beruf des Bergmanns, bis er 1912 zur Marine eingezogen wurde364. Er gehörte der Freien Sozialistischen Jugendbewegung an365 und beschäftigte sich intensiv mit den individualistischanarchistischen Schriften Max Stirners366. Er ähnelte somit Albin Köbis in einer individuellen politischen Auffassung weitgehend losgelöst von politischen Organisationen367. Beckers wurde ebenso wie Reichpietsch religiös erzogen, wandte sich aber vom Glauben ab, da ihn das Leben nach eigenen Worten anderes lehrte, als in den christlichen Schriften stand368. Während der Weimarer Republik schloss sich Beckers der Friedensbewegung an und stand in regem Austausch mit Kurt Tucholsky und Erwin Piscator. Während des Nationalsozialismus wurde Beckers vorübergehend verhaftet und musste sich als Gelegenheitsarbeiter durchschlagen. Nach 1945 trat Beckers in den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ein und unterstützte nach 1955 Kriegsdienstverweigerer. Hans Beckers starb 1971 in Düsseldorf369.

      Willi Richard Sachse war der einzige führende Matrose der Flottenbewegung des Sommers 1917, der über eine sehr gute politische Bildung verfügte. Geboren am 7. Januar 1896 in Leipzig, trat er am 1. Oktober 1914 in die Marine ein370. Als gelernter Mechaniker trat er der Sozialdemokratischen Jugendbewegung bei371 und war mit der sozialistischen Literatur bestens vertraut. Er war sehr intelligent und verfügte über ein gutes Gedächtnis, sodass es ihm jederzeit möglich war, aus den Büchern Bebels und Marx’ zu zitieren.

      Allerdings war Sachse auch ein fanatischer Zug zu eigen, der ihn nach Meinung Wilhelm Dittmanns durchaus »psychopathisch« erscheinen ließ372. Das bestätigte auch sein ehemaliger Kamerad Steilemann373. Weber urteilte über Sachse scharf: »Kurz und gut: ich habe den Eindruck von Sachse, daß er gern etwas vorstellen will, aber andererseits nicht den rechten Mut hat, für seine Taten zu stehen.«374 Sachse war es aufgrund seiner Intelligenz möglich gewesen, Konflikte mit Vorgesetzten zu entschärfen oder ihnen ganz aus dem Weg zu gehen. Er blieb bis zu seiner Verurteilung im August 1917 ohne jede disziplinarische Strafe375. Während seiner Haftstrafe versuchte er die Beamten durch vorgespielte Reue zu täuschen, um schneller entlassen zu werden376. Nahezu abenteuerlich verlief sein Leben nach 1918, als er zunächst für die KPD aktiv war, aus der er aber 1926 nach tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten ausgeschlossen wurde. 1923 beteiligte er sich an Unruhen in Mitteldeutschland, für die er 1927 gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden sollte377. Politisch zwischen den Extremen links und rechts pendelnd, veröffentlichte Sachse in seinem Anti-Nautikus seine frühen ablehnenden Ansichten gegen den Militarismus378, die er in seinem 1934 erschienen Buch Rost an Mann und Schiff stark relativierte. Wilhelm Dittmann kam zu dem Schluss, dass Sachse »je nach der Konjunktur seine Aussagen gewechselt hat«379. Er fand in den 1930er Jahren zu seinen ursprünglichen Überzeugungen zurück und verfasste Schriften des Widerstandes, für die er 1944 hingerichtet wurde380.

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      Willi Sachse

      Über den 1917 ebenfalls zum Tode verurteilten Willi Weber ist hingegen sehr wenig bekannt. Das Urteil gegen ihn weist, im Gegensatz zu allen anderen Angeklagten, nicht einmal sein Geburtsdatum aus, das wohl als unbekannt gelten muss. Weber wurde in Gronau geboren, war evangelischer Konfession und trat am 12. Oktober 1912 in die Marine ein381. Seit dem 28. Dezember 1916 diente er auf dem Schiff Friedrich der Große, zuvor war Weber auf der Westfalen382. Er war bis zu seiner Verurteilung 1917 elf Mal disziplinarisch und ein Mal feldkriegsgerichtlich vorbestraft383. In seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss der Verfassunggebenden Nationalversammlung führte Weber aus, er habe sich vor dem Krieg nie politisch engagiert und sei nach dem Krieg nur kurze Zeit in Rheinland-Westfalen in der Politik gewesen384. Nach Sachse habe er sich im Prozess gegen ihn aber klar zur Sozialdemokratie bekannt, was ihm das Leben durch die Begnadigung gerettet habe385.

      Aus diesen zum Teil fragmentarischen Angaben wird deutlich, dass die Matrosenbewegung von einer sehr heterogenen Führung geleitet wurde. Sie unterschied sich deutlich in Temperament, politischer Bildung und religiöser Erziehung. Da zudem noch politisch konservativ denkende Matrosen wie der Matrose Bieber386 von der Helgoland als Mitglied der Vaterlandspartei387 der Mannschaftsverpflegungsausschüsse, auch Menagekommissionen genannt, angehörten, wird das Bild der sich im Sommer 1917 auflehnenden Männer immer uneinheitlicher und erklärt den langen, schwierigen Weg zu einer gemeinsamen Grundlage. Das angestrebte politische Handeln kam wegen der vorzeitigen Aktion der Mannschaften auf der Prinzregent Luitpold nicht mehr zustande.

      6. DIE MENAGEKOMMISSIONEN

       6.1. Die Voraussetzungen

      Zu Beginn des Jahres 1917 staute sich die Unzufriedenheit mit dem soldatischen Alltag, der aus Untätigkeit, überflüssigem Drill und Freizeit bestand, immer mehr an. Für Scheer war die übermäßig bemessene Freizeit der Grund dafür, dass intelligente Matrosen zum Buch griffen und sich mit politischen Ideen auseinandersetzten388. In dieser Situation verbreitete sich die Nachricht von der russischen Revolution wie ein Lauffeuer389. Der Sturz des Zaren hinterließ bei den Matrosen einen sehr tiefen Eindruck390. Er beseitigte damit auch das deutsche Argument, gegen den despotischen Zarismus zu kämpfen, und führte bei den Soldaten zu der Überzeugung, in dem gleichen Sinne handeln zu müssen391. Die Revolution ging allerdings auf die Proteste der Bürger in St. Petersburg zurück, die den Rückhalt der örtlichen Soldaten fanden392.

      Der Oberheizer Rebe vom Panzerkreuzer Moltke wertete die Revolution als ein »Schul- und Lehrbeispiel nicht nur für Sozialisten, sondern auch für jeden denkenden Arbeiter.«393 An der Ostfront verabredeten deutsche und russische Soldaten, nicht mehr aufeinander zu schießen394. Die Nachrichten von den Verbrüderungen verstärkten zusätzlich den Wunsch nach einem schnellen Friedensschluss395.

      Innenpolitisch ging von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) ein klares Signal aus, dass auch Reichstagsabgeordnete den Frieden dringend wünschten396. Am 6. April 1917 gründeten 15 sozialdemokratische Parlamentarier in Gotha die USPD, um die Sozialdemokratie im Sinne August Bebels wieder entstehen zu lassen. Wilhelm Dittmann berief sich darauf, dass die SPD den eigenen Weg verlassen habe, den die Unabhängigen Sozialdemokraten begehen wollten397. Ihre Politik richtete sich eindeutig gegen