Название | Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen |
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Автор произведения | Christoph Regulski |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843804769 |
Verbotene Beschimpfungen übelster Art und körperliche Misshandlungen274 hatten eine unrühmliche Tradition in der Armee275. Im preußischen Kasinoton mussten alle Dienstgrade unterhalb des Feldwebels damit rechnen, als »Schweine« bezeichnet zu werden276. Auch in der Marine wurden Soldaten »Schweine«, »Strolche« oder »Verbrecher« genannt277. Ein nicht verheirateter Matrose galt bei Admiral v. Müller als »kommunes Schwein«. Admiral v. Prittwitz zu Folge begänne der Mensch erst beim Träger des Roten-Adler-Ordens II. Klasse. Auch Matrosen aus den verschiedenen Staaten des Reiches hatten mitunter keinen leichten Stand. Für Leutnant v. Manteuffel würden südlich von Berlin keine anständigen Menschen geboren. Die Bayern äßen wie die Ferkel278. Eine Bestrafung für Beleidigungen erfolgte nur in ganz wenigen Ausnahmefällen279.
Diese unwürdige und weitestgehend ungeahndete Behandlung280 trug in Verbindung mit dem unnötig pedantischen Dienst maßgeblich zu den Unruhen in der Hochseeflotte bei281. Auch körperliche Misshandlungen in Form von »Ohrfeigen« kamen in der Marine vereinzelt vor282. Es ist bezeichnend, dass hohe Offiziere diesen Missstand nicht sahen und Beschimpfungen allenfalls als individuelle Entgleisung hinstellten. Der Sachverständige v. Trotha betonte noch 1928, dass derartige Beschwerden weitgehend jeder Grundlage entbehrten283. Nur vereinzelt erkannten junge Offiziere die Schwere der Verfehlungen und die langfristigen Auswirkungen auf die Moral der Matrosen284.
Der Oberheizer Rebe war dieser Form der Führung mehr als überdrüssig. Seinem Kameraden Eder285 schrieb er am 6. Februar 1917: »Der Anarchie von oben muss die Revolution entgegen gestellt werden.«286
Die Tagebucheintragung Stumpfs gut ein Dreivierteljahr nach der Skagerrak-Schlacht zeigt eindrucksvoll, wie wenig von der Euphorie geblieben ist und wie die Matrosen behandelt wurden287. Die Darstellung Stumpfs stimmt mit der Schilderung Beckers’ überein. Hans Beckers kam Anfang 1916 auf das Schiff Prinzregent Luitpold, das in der Marine aufgrund der sozialdemokratischen Einstellung vieler Matrosen die Bezeichnung »Verbrecherkasten« führte.
Die Prinzregent Luitpold sticht in See
Die Verpflegung auf der Prinzregent Luitpold war miserabel. Als Beckers seiner Mutter darüber schrieb und der Brief von der Zensur gelesen wurde288, musste er zehn Tage schweren Arrests abbüßen289. Die Matrosen durften ihre Beschwerden am Ende eines Appells an Deck als Meldungen oder Gesuche vortragen. Für ihre berechtigten Klagen ernteten sie meist nur den Zorn und Sarkasmus der Offiziere290. In dieser Situation trafen sich die Matrosen im April und Mai 1917 erstmalig in einem kleinen Kreis unter der Leitung von Willi Sachse. Bei den Treffen in Rüstringen stießen bald auch Willi Weber und Max Reichpietsch hinzu, um die Verhältnisse auf ihren Schiffen zu besprechen291 und sich über sozialistische Lektüre auszutauschen292.
Als eine Reaktion auf die wachsende Unzufriedenheit versuchte die Marineleitung, den Vaterländischen Unterricht des Heeres auch in der Marine zu vertiefen293. Den Unterricht hielten Mitglieder der Vaterlandspartei oder Alldeutsche Redner294. Ihr Programm beschränkte sich auf die Verunglimpfung Karl Liebknechts, den Aufruf, Kameraden zu denunzieren, und gegen sozialdemokratische Blätter zu wettern295. Gleichzeitig verbot das Kommando der Marinestation in der Ostsee den Besuch politischer Veranstaltungen für Matrosen, nachdem am 31. Mai 1917 rund 50 Uniformierte eine Kundgebung des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Otto Landsberg zum Thema »Des deutschen Volkes Forderungen« in Kiel besucht hatten. Der Kommandeur Bachmann stellte heraus, dass der Besuch einer politischen Veranstaltung ohne vorherige dienstliche Erlaubnis nicht zulässig war296.
Wie vollkommen unterschiedlich die Sicht auf den Krieg war, zeigte sich auch darin, dass die Offiziere im Rahmen des Unterrichts im Sinne eines alldeutschen Siegfriedens auf die Mannschaften einzuwirken versuchten, die den Krieg als Verteidigung des Vaterlandes auffassten297. Die zeitgleich von Hand zu Hand gehenden, streng verbotenen Spartakusbriefe trugen ebenfalls dazu bei, alle nationalistischen Ziele zu unterlaufen298. Sie lösten nach den Erinnerungen eines Matrosen eine regelrechte Panik unter der jeweiligen Schiffsleitung aus299 und veranlassten das Preußische Kriegsministerium, auf eine generelle Verschärfung der Zensur zu drängen300. Es ist naheliegend, dass der Vaterländische Unterricht in einem bereits stark aufgeheizten Umfeld keinerlei Erfolg erzielte301. Die an Bord ausliegenden nationalistischen Zeitungen wie die Hamburger Nachrichten trugen ebenfalls zu einer Polarisierung bei302.
Der Versuch, patriotische Gefühle für den Krieg zu wecken, wirkte angesichts dessen, was ein Matrose im Mannschaftsdienstgrad täglich erlebte, geradezu hilflos. Sozialdemokratisch eingestellte Matrosen riefen ihren Kameraden zu: »Ihr glaubt an das Vaterland und seid doch nur seine Stiefkinder. Ihr glaubt das Vaterland zu verteidigen und nützt doch nur den Ausbeutern im eigenen Lande.«303 Ganz in diesem Sinne schrieben drei Matrosen von der Oldenburg bereits im Januar 1917 ihre Meinung zu dem Krieg auf eine aushängende Holztafel. Oberheizer Graf schrieb: »Wann ist der Krieg alle? Das Hungerleben, die Halsabschneider!«304 Sein Kamerad, Oberheizer Baars, fügte den bekannten Spruch »Gleiche Löhnung, gleiches Essen, dann wäre der Krieg schon längst vergessen!« hinzu, den er um die Worte »Dem deutschen Militarismus fehlt nur noch die Knute. England kämpft für die Freiheit der Völker, aber Deutschland will sie unterdrücken. Die Agrarier. Nieder mit dem Krieg. Wir wollen Frieden. Ein Sozialdemokrat« erweiterte305.
Obermaschinenanwärter Jenssen fügte noch hinzu: »Was sind deutsche Soldaten? Weiße Sklaven! Nieder mit den Aristokraten! Hoch die weißen Sklaven! Ein Sozialdemokrat.«306 Baars und Jenssen erhielten für ihre Bemerkungen je neun Monate Gefängnis, während Graf bemerkenswerterweise straffrei ausging, da er den Richter Glauben machen konnte, seine Ausführungen hätten sich gegen England gerichtet307.
Das Scheitern der Bemühungen um eine enge Einbindung der Matrosen zeigte sich ganz besonders darin, dass es nicht gelang, sie zum Zeichnen von Kriegsanleihen zu bewegen308. Auf der Moltke protestierte der Obermatrose Preuschkat öffentlich gegen den Aufruf. Er wurde daraufhin degradiert und zum Heer abkommandiert309. Der Zwang, diese Anleihen erwerben zu müssen, sorgte für große Verbitterung310. Den Matrosen wurden von ihrem mühsam ersparten Kleidergeld zwischen 100 und 200 Mark abgezogen und für den Erwerb der Anleihen verwendet311.
4.1. Die Verpflegungssituation
Die Verpflegung in der Hochseeflotte war im Frühjahr 1917 schlecht312. Noch schlechter war sie allerdings in der Zivilbevölkerung. Nach dem Steckrübenwinter 1916/17 standen für weite Teile der Bevölkerung bis in den Sommer 1917 hinein bei eisiger Kälte von Februar bis März kaum Lebensmittel zur Verfügung313. Mit dem Jahr 1917 stieg die Zahl der an den Folgen der Unterversorgung gestorbenen Menschen sprunghaft an314. Vor diesem Hintergrund war es nicht in erster Linie der Mangel an sich, der die Matrosen so sehr aufbrachte, sondern die eklatant ungleiche Versorgung auf den Schiffen selbst. Während die Mannschaften die Nöte der Bevölkerung weitgehend teilten und so sehr abmagerten,