Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski

Читать онлайн.
Название Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen
Автор произведения Christoph Regulski
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843804769



Скачать книгу

trugen sogar illegal Lebensmittelvorräte zusammen und schickten sie an ihre Familien317. Dafür ist eine längere Passage von Hans Beckers aus seinen Erinnerungen ein eindringlicher Beleg:

      »Nun zur Verpflegung. Nach dem Grundsatze: Ein satter Soldat ist im Krieg nichts wert! wurde bei uns Mannschaften gespart. Vier, fünf, sechs verschiedene Küchen an Bord dienten dazu, ›besondere Härten‹ in der Beköstigung zu vermeiden. Um nun bei uns Schwerstarbeitern die überschäumende Kriegsbegeisterung auf dem richtigen Maß zu halten, fütterte man uns mit Dörrgemüse, Klippfisch, Steckrüben und sonstigen wertvollen Dingen. Das deutsche Dörrgemüse war ja nach der Ansicht unserer Wissenschaftler viel nahrhafter als Eierkuchen und Schweineschnitzel. Besonders die Steckrübe war lebhaft vertreten. Nach dem Motto: Eßt deutsche Früchte! wurden sie uns drei- bis fünfmal in der Woche serviert. Wir 1200 Mannschaften freuten uns vor allen Dingen, daß so viel Wasser zur Suppe gebraucht wurde. Wir, die wirklich Schaffenden – ebenfalls die Unteroffiziere – saßen beim schlichten Mahl, während in der Offiziersmesse unter den Klängen eines Grammophons die Sektpfropfen knallten. Dort speiste man gut und reichlich. Drei bis vier Gänge und Nachtisch. Dann Sekt, Weine und gute Zigarren. Trotz der höheren Abstammung aßen die Offiziere ebenfalls Steckrüben, dreimal im Monat, aber angebraten, in Butter gerührt und mit Gemüse und Fleisch. – Also hier Rechte, dort Pflichten. Auf der einen Seite Bratenduft und Champagner – auf der anderen Seite Dörrgemüse und Steckrüben. Front und Etappe auf einem Schiff! –«318

image

      Beim Essen im Mannschaftsdeck

      Auch wenn die Schilderung Beckers nachträglich durch bitteren Humor gekennzeichnet ist, verdeutlicht sie das Grundproblem. Die Matrosen hungerten auf den Schiffen319, die Unzufriedenheit wuchs ständig320. Schon beim Bau der Schiffe waren beispielsweise auf der Nürnberg drei Küchen für die verhältnismäßig geringe Zahl von Offizieren und Unteroffizieren eingeplant, während nur eine Küche für die Mannschaftsdienstgrade zuständig war321. Der Gegensatz von miserablem Essen für die Mannschaften, das dem der Zivilbevölkerung ähnelte, und einer vergleichsweise ausgezeichneten Versorgung der Offiziere auf einem Schiff trug in Verbindung mit dem unwürdigen Umgangston zu einer angespannten und gereizten Stimmung bei322. Eine gemeinsame einheitliche, erträgliche Versorgung von Offizier und Mannschaftsdienstgrad unterblieb323. Wenn die Offiziere dann noch ihre berüchtigten Feste zu den verschiedensten Anlässen feierten und Lebensmittel verschwendeten, stieg die Erbitterung der Matrosen noch weiter an324.

image

      In der Offiziersmesse

      Der Zentrumsabgeordnete und Marinereferent des Reichstages Dr. Pfleger erhielt einen Brief des Obermatrosen Conrad Lotter vom 23. Juli 1917 über den Kölner Domkapitular Leicht325. Lotter beschwerte sich darin über die Zustände auf seinem Schiff Bremse, in dem er die schlechte Verpflegung, unregelmäßige Urlaubsgewährung und das schlechte Beispiel der Offiziere anprangerte326. Wegen der vorhandenen Verstimmungen seien die Matrosen bereits zu einzelnen Unbotmäßigkeiten übergegangen. Um Schlimmeres zu verhindern, sollte schnellstmöglich eine nicht militärische Kommission gebildet werden, die sich der Entwicklung auf den Schiffen annehme. Es wäre fatal, wenn die Marineleitung weiterhin wegsehen und Unliebsames vertuschen würde327.

      Aber genau das tat die Marine auch weiterhin, wie die Ausführungen des Staatssekretärs v. Capelle in der späteren Besprechung mit den führenden Abgeordneten der Reichstagsparteien am 25. August 1917 verdeutlichen. Dr. Pfleger wies den Staatssekretär in seinem Brief vom 28. Juli 1917 auf die Missstände in der Hochseeflotte hin328. Die von v. Capelle angewiesenen Untersuchungen ergaben aber keine Hinweise auf berechtigte Klagen seitens der Matrosen329. Der Bericht von Admiral Hebbinghaus vom 7. August hob hervor, dass er keine Verstöße erkennen konnte. Eine einzelne Beleidigung eines Matrosen sei schwer geahndet worden330. Das Ergebnis gipfelte in der Feststellung, dass es den Offizieren auch nicht besser erginge als den Mannschaften331.

      In der älteren Forschung findet sich zum Teil eine blinde Übernahme dieser Einschätzung332, die auch zu einem großen Teil auf den Untersuchungen beruht, die im Rahmen des Werkes des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Nationalversammlung veröffentlicht wurden. In Ergänzung zu seinem Gutachten führte der Sachverständige v. Trotha aus, dass die Versorgung der Offiziere sehr schlecht gewesen sei und sich nicht von der Versorgung der Mannschaftsdienstgrade unterschied333. Die Marinebehörden wollten die tatsächlichen Verhältnisse nicht anerkennen, da die Seeoffiziere maßgeblich profitierten. Beschwerden der Matrosen reichten die Schiffsleitungen nicht weiter, direkt vorgetragene Beschwerden unter Umgehung des Beschwerdeweges brachten dem Soldaten häufig Strafen ein, die von Strafexerzieren und Arrest bis zu Gefängnis reichten334. Mit diesem Verkennen der tatsächlichen Lage nahm sich die Marineleitung die Möglichkeit, einen Ausgleich herbeizuführen und die vorhandene Unzufriedenheit zu mildern335. So ist es nur folgerichtig, wenn der Oberheizer Rebe am 21. März 1917 an seinen Kameraden Eder schrieb: »Wer von den Arbeitern, die sich (als) Sozialdemokraten bezeichnen, jetzt noch nicht begreift, wo ihre geistigen Feinde stehen, der wird das nie begreifen.«336

      5. BIOGRAPHIEN

      Die aufbegehrenden Matrosen des Sommers 1917 einte ihr gemeinsamer Dienst auf den Schiffen der Hochseeflotte und ihr Widerwille gegen die seit langer Zeit unwürdige Behandlung und schlechte Verpflegung. Darüber hinaus entstammten sie zwar alle eher bescheidenen Verhältnissen, entwickelten aber sehr unterschiedliche Anschauungen bei ganz verschiedenen Temperamenten und Eigenschaften.

      Max Reichpietsch wurde am 24. Oktober 1894 in Neukölln bei Berlin geboren337. Er war nach dem Auszug seiner militärischen Stammrolle 163 cm groß und wog 56 Kilogramm bei kleiner Gestalt338. Seine Eltern waren Arbeiter, er selbst besuchte die Volksschule bis zu seinem 14. Lebensjahr. Nach der Schule arbeitete der junge Max Reichpietsch für zwei Jahre in einer Schraubenfabrik und anschließend als Zimmermann339. Seine Eltern waren gläubige Christen der Apostolischen Gemeinde340, die ihren Glauben an den Sohn weitergaben341. Politisch stand Reichpietsch keiner Partei nahe, er war auf diesem Gebiet gänzlich »ungeschult und unerfahren«342. Am 16. Juli 1912 trat Max Reichpietsch für vier Jahre als Freiwilliger in die Marine ein. Seine anfänglichen Beurteilungen waren gut, Vorgesetzte beschrieben ihn als fähigen, brauchbaren Matrosen mit guten Eigenschaften, im »Zeug sauber« und nicht unbegabt343. Diese Einschätzung teilte auch Hugo Haase, den Max Reichpietsch 1917 im Reichstag besuchte, um ihm seine Beschwerden vorzutragen. Reichpietsch machte »den Eindruck eines frischen, mutigen jungen Mannes mit hohen Gedanken«344 und »erhabenen Idealen«345. Haase konnte sich durchaus vorstellen, dass Reichpietsch nach dem Krieg »etwas Positives leisten« würde346.

image

      Max Reichpietsch

      Wohl wegen dieser idealistischen Einstellung kam Max Reichpietsch in dem rauen Klima des Militärs mehrfach in Konflikte mit seinen Vorgesetzten. Ab 1913 häuften sich Strafen wegen unerlaubten Wegtretens, verspäteten Dienstantritts und des Verlassens des Schiffes ohne Erlaubnis347. Es folgten disziplinarische Bestrafungen und in einem Fall eine fünfmonatige Gefängnisstrafe wegen militärischen Diebstahls348, die Max Reichpietsch zwischen April und September 1915 verbüßte349. Er unterhielt zur Aufbesserung seines Soldes einen verbotenen Handel mit Zigaretten350, was ebenfalls zu einer schlechten Beurteilung durch seine Vorgesetzten beitrug: »gut begabt, aber träge und liederlich, von unlauterem Charakter, leistet Geringes.«351 Unter seinen Kameraden war Reichpietsch hingegen wegen seiner ruhigen und überlegten Art sehr beliebt352. Die nach der Verurteilung verfügte Degradierung in die 2. Klasse des Soldatenstandes wurde am 21. März 1917 rückgängig gemacht. Max Reichpietsch »hat sich in letzter Zeit zusammengenommen«, eingesetzt