Название | Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen |
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Автор произведения | Christoph Regulski |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843804769 |
Die Essensverweigerung auf der Westfalen Mitte Juli 1917 zog hingegen eine Bestrafung der Mannschaften nach sich452. Die Matrosen der Helgoland widersetzten sich im Juni 1917 dem Befehl, 90 Zentner verdorbenes Mehl zu entladen453. Der verhängte zusätzliche militärische Dienst454 ließ die Verbitterung ebenso wie auf der Rheinland weiter steigen455. Dort mussten die Matrosen in ihrer Freizeit täglich zwei Stunden mit dem Gewehr exerzieren. Als sich der Matrose Calmus darüber empörte und die ungleiche Behandlung auf den Schiffen anprangerte, sagte ihm der Kommandant des Schiffes in schonungsloser Offenheit, was er von seinen Soldaten hielt. »Ob sie verrecken oder nicht, das ist uns egal, die Hauptsache ist die Gefechtsbereitschaft des Schiffes. Leute sind Nebensache, denn die können wir kriegen, soviel wir haben wollen.«456 Für seine als Auflehnung verurteilte Offenheit erhielt Calmus drei Monate Gefängnis457.
In dieser äußerst zugespitzten Situation waren die Menagekommissionen geeignet, die angestauten Spannungen zu mindern. Sie gingen auf die Äußerung v. Capelles Anfang Juli 1917 zurück, es bestünden auf den Schiffen Kommissionen, in denen Matrosen eine Mitsprache bei der Verpflegung eingeräumt sei458, wie das im Heer bereits seit längerer Zeit der Fall war459.
Marine-Staatssekretär Eduard v. Capelle
Diese Ankündigung deckt sich mit dem Zeitpunkt der Reise Max Reichpietschs nach Berlin, der mit den Abgeordneten der USPD über dieses Thema sprach460. Die Besatzung der Prinzregent Luitpold erfuhr davon ebenso zufällig aus einer Wilhelmshavener Zeitung461 wie die Matrosen der Friedrich der Große462.
Die Mannschaften setzten die Wahl zu der Menagekommission gegen den Willen Herzbruchs durch463, der sich erst weigerte, über das Thema zu reden und dann erklärte, die Kommandeure der Hochseeflotte seien nicht zuständig464. Generell waren die Schiffsleitungen von den neuen Kommissionen wenig erbaut465. Sie versuchten sie auch mit der Begründung zu verhindern, Beschlüsse irgendwelcher Minister in Berlin, die ihre Kommandogewalt untergraben würden466, gingen sie gar nichts an467. Auf der Helgoland ernannten noch Offiziere die Mitglieder der ersten Menagekommission468, mussten aber bald dem Drängen der Mannschaften nachgeben469.
Offiziell genehmigte Admiral Scheer die Mannschaftsverpflegungsausschüsse im Juli 1917470. Die Matrosen konnten in ihrer konkreten Arbeit Verschiebungen aufdecken und verlangten für die Überprüfung der Bestände Einsicht in Proviantbestandsbücher471. Da dieses Gremium zuerst auf der Baden472 und bald auf den Schiffen Friedrich der Große, Kaiser, Kaiserin, König Albert, Rheinland, Westfalen und Pillau bestand, verfügten die Soldaten über eine ideale Möglichkeit, sich ohne Wissen der jeweiligen Kommandanten auszutauschen473. Auf dem Flaggschiff Friedrich der Große setzten sich Weber, Sachse und Reichpietsch für die Bildung der Menagekommission ein und galten bald als zentrale Ansprechpartner in Sachen Beschwerdewesen474. In der Tat gelang es durch die Arbeit der Kommission, das Essen auf den Schiffen zu verbessern475.
Diese Ereignisse des Juli 1917 zeigen, dass die Bereitschaft der Mannschaften an Bord, sich die unwürdige Behandlung und das schlechte Essen weiter klaglos bieten zu lassen, gesunken war. Um aber aus diesen ersten Protesten heraus eine politische Bewegung entstehen zu lassen, bedurfte es einer Organisation. Mit den von dem Marinestaatssekretär genehmigten Menagekommissionen war ein Gremium geschaffen worden, in dem sich die Matrosen organisieren und ihre Forderungen nach Frieden durch Taten umsetzen konnten476. Den sozialdemokratisch und sozialistisch gesinnten Matrosen gelang es, ihre Vertrauensleute in die Menagekommission zu wählen477. Sie nutzten die Kommissionen umgehend zu politischen Zwecken478. Die Arbeit in den Menagekommissionen war somit die erste politische Bewährungsprobe479. Nach Walter Beling bestand »unter der Tarnung von Menagekommissionen ein umfassendes revolutionäres Vertrauensmännersystem480«, das in kleinen Zellen aktiv war481. Willi Weber sagte, die Kommission habe ihm wiederholt als Vorwand gedient, politische Angelegenheiten zu erörtern482.
Willi Sachse und Max Reichpietsch besprachen das neue Vertrauensmännersystem wiederholt mit Wilhelm Sens und Alfred Herre. Ob die USPD in Berlin über die konkrete Entwicklung informiert wurde, kann nicht abschließend geklärt werden. Nach Willi Sachse bestand zumindest die Möglichkeit, dass Informationen über Kurt Pallavicini in die Hauptstadt gelangten483.
Allerdings waren in den Menagekommissionen auch Matrosen vertreten, die sich der Politik enthielten. Die Matrosen Bieber von der Helgoland und Schneider von dem Flaggschiff Friedrich der Große betonten ausdrücklich, nur an den wirtschaftlichen Aspekten innerhalb der Menagekommissionen interessiert gewesen zu sein484. Auch für Richard Stumpf bestand ihre Funktion nur in der Verbesserung des Essens ohne jeglichen politischen Aspekt485. Der auf den Schiffen noch anzutreffende Gegensatz zwischen Heizern und Matrosen trug zur erschwerten Bildung der Menagekommissionen bei486.
Max Reichpietsch verfasste ein politisches Rundschreiben an alle Schiffsgruppen, das einen Bezug zwischen der russischen Revolution und den Menagekommissionen herstellte: »Wir müssen den Leuten klarmachen, daß die Menagekommissionen der erste Schritt zur Bildung von Matrosenräten nach russischem Muster sind.«487 Daher liegt die eigentliche Bedeutung der Menagekommissionen in der organisatorischen Grundlage für die politische Arbeit der Matrosen488. Der Kampf um diese Kommissionen schuf gleichfalls die Grundlage für die festere Zusammenarbeit489. Von einer Annäherung der Verpflegung von Mannschaften und Offizieren konnte aber keine Rede sein490.
7. KONTAKT ZUR USPD
Für die Flottenbewegung des Sommers 1917 war die Beziehung zur USPD von ganz zentraler Bedeutung. Die in Gotha wenige Monate zuvor gegründete Partei war in erster Linie eine Abspaltung von Sozialdemokraten, die den Kurs ihrer Partei während des Weltkrieges nicht mehr mittragen wollten491 und sich für einen zügigen Frieden ohne Eroberungen einsetzten492. In diesem wichtigsten Ziel der USPD glaubten sich die führenden Köpfe der Marinebewegung einig zu sein. Es schien aus Sicht der Matrosen naheliegend, sich mit der USPD zu identifizieren, Mitglied zu werden und Kameraden zu einer Mitgliedschaft zu bewegen. Nach den Ereignissen des Frühjahrs 1917, die die Matrosen in ihrer Einigkeit stärkten und erste organisatorische Erfolge wie bei der Wahl von Vertrauensmännern brachten, war es folgerichtig, sich für weitere Schritte, die den Friedensschluss beschleunigen sollten, des Rückhaltes einer Reichstagspartei zu versichern und dort Empfehlungen zum weiteren Vorgehen einzuholen493. Die Kontakte zu USPD-Abgeordneten bestanden schon länger, da einzelne Matrosen immer wieder ihre Beschwerden an die Abgeordneten richteten494.
Max Reichpietsch nutzte die Gelegenheit zu einem ersten Kontakt zu den führenden Vertretern der USPD während seines Urlaubs im Juni 1917. Der genaue Zeitpunkt seines Urlaubs lässt sich aber heute nicht mehr ermitteln. Die wichtigste Quelle zu dieser Frage, das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Nationalversammlung, gibt verschiedene Auskünfte. Nach Oberreichsanwalt Zweigert dauerte der Urlaub vom 12. bis zum 21. Juni 1917495. Wilhelm Dittmann, der mit Max Reichpietsch persönlich sprach, gab eine Urlaubszeit vom 6. bis zum 21. Juni 1917 an496. Im Urteil des Kriegsgerichtes wird der Beginn des Urlaubs auf den 21. Juni 1917 festgelegt497. Nach Bernhard kann der von Zweigert genannte Zeitraum als der wahrscheinlichste gelten, da Max Reichpietsch mit Willi Sachse über die geplante Unterredung in Berlin mit Vertretern der USPD gesprochen habe, bevor Sachse seinen eigenen Urlaub am 23. Juni angetreten habe498.
Max