Название | Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen |
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Автор произведения | Christoph Regulski |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843804769 |
Weder Dittmann noch Vogtherr oder Haase erwähnen den Besuch. In der Matrosenbewegung ist stets vom Besuch Max Reichpietschs die Rede, eine Begegnung Albin Köbis’ mit den Politikern wird auch bei Beckers nicht geschildert. Die Gründe für diese Nichterwähnung können zum einen darin liegen, dass Albin Köbis nur eine kurze Grußbotschaft übermittelte und keine politischen Gespräche führte. Zum anderen überragte der Besuch Max Reichpietschs und die Erörterung politischer Fragen den Besuch Köbis’, der darüber in Vergessenheit geriet. Dafür spricht auch, dass Reichpietsch in Besprechungen mit seinen Kameraden häufig auf seine Berliner Gespräche verwies und die Erinnerung an den Kontakt zur USPD vornehmlich auf Max Reichpietsch beschränkt wurde. Diese Interpretation kann als wahrscheinlich gelten, da Paul Köbis keine politische Unterredung erwähnte, sondern eher von einem kurzen, wohl recht oberflächlichen Kontakt berichtete.
Nach Max Reichpietsch und Albin Köbis suchten noch Willi Sachse und der Matrose Paul Calmus von der Rheinland die USPD-Abgeordneten in Berlin auf.
Die Unterredung zwischen Dittmann und Sachse fand am 2. oder 3. Juli 1917 in einem Vorraum des Reichstages statt und dauerte nur rund zehn Minuten587. Nach Dittmann teilte ihm Sachse mit, dass er zuvor Aufnahmeanträge für die USPD im Parteibüro abgegeben habe, und berichtete kurz über die Verhältnisse an Bord seines Schiffes. Mit einer Erkundigung nach den Friedensaussichten war das Gespräch wegen weiterer Termine Dittmanns dann beendet588. Sachse erwähnte vor dem Untersuchungsausschuss der Verfassunggebenden Nationalversammlung, dass er mit Dittmann über die zum damaligen Zeitpunkt umkämpften Menagekommissionen gesprochen habe589. Wilhelm Dittmann mahnte auch hier zu einem vorsichtigen Vorgehen590 und hob hervor, dass das Kaiserwort »Ich kenne keine Parteien mehr« in der politischen Praxis keinerlei Bedeutung habe591. Kurz streiften Sachse und Dittmann den Bezug von USPD-Broschüren und deren Versand592. Sachse war von der kurzen Unterredung enttäuscht593, da ihm klar wurde, dass Dittmann wenig Interesse an der Entwicklung der Matrosenbewegung hatte und sich mit ihm nicht über mögliche politische Schritte unterhielt594. Ein Gespräch Sachses mit dem zuständigen Abgeordneten über Marinefragen kam nicht mehr zustande595.
Am 2. August, dem Tag des Ausmarsches der Prinzregent-Matrosen, suchte Paul Calmus Luise Zietz in der USPD-Zentrale auf und bat um Rat, wie er ein Wiederaufnahmeverfahren nach seiner Verurteilung zu drei Monaten Festungshaft betreiben solle596. Bei dieser Gelegenheit übergab er Luise Zietz 40 Mark für die erhaltenen USPD-Broschüren597.
7.1. Matrosenbewegung und USPD
Eine Bilanz der Gespräche zwischen den Matrosen und den Parlamentariern der USPD fällt ernüchternd aus. In erster Linie war es Max Reichpietsch, der Wilhelm Dittmann über die Situation in der Hochseeflotte unterrichtete. Dittmann und seine Parteifreunde rieten ausdrücklich zur Vorsicht598. Der Besuch Albin Köbis’ besaß eher symbolischen Charakter, da er die Grüße der Matrosen übermittelte599. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass revolutionäre Schritte besprochen und die Anwendung von Gewalt oder ein Flottenstreik erwogen wurden600.
Das weitere Vorgehen der Matrosen bestand dann auch in einem evolutionären Konzept, das die eigene Organisation stärken und die Ergebnisse der Stockholmer Konferenz abwarten sollte601. Konkret sollten der Leserkreis sozialistischer Schriften vergrößert und Unterschriften für die USPD als Zustimmung zu der Friedenspolitik gesammelt werden602. Nach der Gründung des Soldatenbundes Anfang Juli 1917 blieb der passive Widerstand, so wie die Gehorsamsverweigerungen zuvor, das bevorzugte Mittel im Kampf um den Frieden603. Sollte sich die Regierung nach der Stockholmer Konferenz weiterhin einem Friedensschluss widersetzen, wäre ein Generalstreik der Flottenmannschaften die naheliegende Konsequenz604. Nach Dittmanns Darstellung wäre aber ein solcher Schritt schon über das hinausgegangen, was die USPD akzeptiert hätte. Der politische Kampf der USPD wurde mit Reden geführt und sollte auf die Gesellschaft zurückwirken, um die Regierung zu beeinflussen605.
Das Treffen in Berlin führte zu keinerlei Veränderungen in der bis dahin noch ungefestigten Organisation der Matrosen. Es gab Reichpietsch jedoch neue Kraft, da er die Reichstagsabgeordneten der USPD hinter sich glaubte606. Anscheinend bewertete Max Reichpietsch die Aussagen der Abgeordneten zu stark als Unterstützung und wähnte die USPD fest hinter sich zu haben. Die von Bernhard hervorgehobene »Gewaltidee« Max Reichpietschs war der Versuch, durch das Konzept der Gehorsamsverweigerung einen Frieden zu initiieren. Es wäre ein fundamentales Missverständnis, den passiven Weg Reichpietschs als aktive Gewaltanwendung im Sinne eines revolutionären Vorgehens bezeichnen zu wollen607. Gerade Gewalt in jeder Form lehnten die Matrosen ab.
Die Zusammenarbeit mit der lokalen Kieler USPD unter der Leitung von Sens und Güth608 gestaltete sich schwierig. Sens war nach einigem Zögern bereit, Marineangehörige in seine Ortsgruppe aufzunehmen609. Güth unterhielt ebenfalls Kontakte zu den Matrosen, die aber im Vorfeld der Ereignisse des 1. und 2. Augusts 1917 nicht näher benannt werden können610. Die zu seiner Verurteilung führenden Aussagen, er habe die Matrosen zu Gehorsamsverweigerungen aufgerufen, gingen auf Aussagen des Spitzels Adams zurück611. Am 26. November 1917 verurteilte ihn ein außerordentliches Kriegsgericht in Kiel zu fünf Jahren Zuchthaus612. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er am 31. August eine Dienstverweigerung anriet, um die Freilassung Gefangener zu erzwingen und verurteilte ihn wegen versuchten kriegsverräterischen Aufstandes613. Max Güth war bis zu seiner Verhaftung für die Matrosenbewegung tätig und ließ sich durch die vorherigen Maßnahmen der Marinebehörden nicht einschüchtern.
Der zweite wichtige Kontakt zwischen der Matrosenbewegung und der lokalen USPD kam über Wilhelm Sens zustande. Reichpietsch wies sich Sens gegenüber durch ein handschriftliches Schreiben Dittmanns aus614. Über Sens war es Reichpietsch dann möglich, Briefe unter Umgehung der Zensur an Dittmann zu schreiben615.
Am Nachmittag des 14. Julis 1917, unmittelbar vor der Versammlung im Kieler Lokal Meilenstein, kamen Sens, Reichpietsch und Pallavicini616 zu einer 20-minütigen Unterredung zusammen. Pallavicini stand einer politischen Unterstützung der Matrosen ablehnend gegenüber. Er riet von der bevorstehenden Versammlung ab und wollte die Unterstützung ausschließlich auf die Beschaffung von genehmigter Literatur beschränken. Eine Mitgliedschaft hielt er für wenig erstrebenswert, da Militärangehörigen die Teilnahme an politischen Versammlungen verboten sei. Reichpietsch schilderte Pallavicini und Sens die Bildung von Menagekommissionen und bat Pallavicini, den USPD-Abgeordneten in Berlin bei seinem bevorstehenden Urlaub davon zu berichten617.
Die Kieler und Wilhelmshavener USPD unterstützten die Matrosen in erster Linie durch die Besorgung von Schriften618. Nach der Besprechung am 14. Juli 1917 im Lokal Meilenstein gerieten Sens und Reichpietsch in eine heftige Auseinandersetzung619, bei der auch Sachse anwesend war620. Sens sprach sich für zivile, aber gegen militärische Streiks aus621, da diese für die Beteiligten viel zu gefährlich und »die Strafen für dasjenige, was zu erreichen wäre, zu hoch seien.«622 Reichpietsch entgegnete ihm, dass gerade die militärischen Streiks erforderlich seien und von den Berliner USPD-Abgeordneten befürwortet würden. Er halte einen Generalstreik der Flotte für zwingend erforderlich623. Sens bezweifelte die Angabe Reichpietschs, die Berliner Abgeordneten wären mit einem Flottenstreik einverstanden oder würden Reichpietsch zu diesem Vorhaben ermächtigen. Sens war vielmehr der Meinung, dass die Reichstagsabgeordneten keine Kenntnis von einem Flottenstreik besäßen, da sie ihn sonst unter allen Umständen zu verhindern suchten624. Für Reichpietsch war der Flottenstreik das äußerste Mittel, dessen sich die Matrosen bedienen dürften. Jegliche Gewalt lehnte er strikt ab, wie Willi Sachse bestätigte: »Wenn ich gesagt habe, Reichpietsch habe Gewaltanwendung für zulässig erklärt und die Billigung der U.S.P. behauptet, so ist unter Gewaltanwendung nur Flottenstreik zu verstehen. Weitere Gewaltanwendung bekämpfte Reichpietsch ja selbst.«625 Der Matrose Reuter von der Ostfriesland berief sich in der Gewaltfrage