Die letzte Blüte Roms. Peter Heather

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Название Die letzte Blüte Roms
Автор произведения Peter Heather
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783534746620



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augenscheinlichen Frieden ursächlich. Der erste war Julians fehlgeschlagener Persienfeldzug im Jahr 363, der dazu führte, dass Rom den Persern Nisibis und eine Reihe römischer Territorien jenseits des Tigris überlassen musste. Der zweite Rückschlag war die Teilung Armeniens unter Kaiser Theodosius I. in den 380er-Jahren, bei der etwa drei Viertel des Staates in ein persisches Protektorat (Persarmenien) umgewandelt und damit der römischen Einflusssphäre entzogen wurden (siehe Karte 1).10

      Dass diverse römische Regime des 5. Jahrhunderts diese beiden Rückschläge hinnahmen, ohne zu Vergeltungsmaßnahmen auszuholen, lag allerdings nicht etwa daran, dass unter den Kaisern plötzlich die Großzügigkeit ausgebrochen wäre. Vielmehr stellte der steile Aufstieg der Hunnen in Mittel- und Osteuropa eine völlig neue Gefahr für die Grenzen Ostroms dar, und folglich waren für irgendwelche »unnötigen« Streitigkeiten mit Persien einfach keine militärischen Kapazitäten mehr übrig.

      Die Perser wiederum hatten im Grunde alles erreicht, was sie sich vernünftigerweise hatten erhoffen können, und auch sie sahen sich einer neuen Bedrohung ausgesetzt, in Form der Steppenvölker im Norden und Osten. Vor allem die sogenannten Hephthaliten oder »weißen Hunnen«, die zu Beginn des 5. Jahrhunderts von ihrer ursprünglichen Machtbasis (wahrscheinlich) im Nordwesten Afghanistans aus Sogdien und Chorasan eroberten, entwickelten sich zu einem äußerst aggressiven Nachbarn. Ob und auf welche Weise sie tatsächlich mit den Hunnen verwandt waren, die in beiden Teilen der römischen Welt für so viel Unruhe sorgten, wird nach wie vor kontrovers diskutiert.

      Der entscheidende Punkt ist, dass die Hephthaliten, als sie Ende des 5. Jahrhunderts ihre Machtbasis erweiterten, die Perser mehrfach besiegten. Die schlimmste Niederlage erlitten die Perser bei der Schlacht von Herat im Jahr 484, die für sie ähnlich katastrophal verlief wie für die Römer damals die Schlacht von Adrianopel; der persische Großkönig Peroz (459–484) fand bei Herat den Tod.11

      Beide Reiche hatten mithin gute Gründe, im 5. Jahrhundert keinen neuen Krieg miteinander vom Zaun zu brechen, und das änderte sich auch nicht über Nacht. Zur Zeit Zenons baten die Perser Konstantinopel sogar um Unterstützung gegen die Hephthaliten, und er scheint ihnen tatsächlich bisweilen unter die Arme gegriffen zu haben. In den 490er-Jahren forderten die Perser aber immer mehr. Doch selbst als der neue persische Herrscher Kavadh die Hephthaliten dafür bezahlte, ihm zurück auf den Thron zu verhelfen – eine unerhörte Provokation –, blieb Anastasios’ Regime dem Geist der friedlichen Zusammenarbeit treu, die das Nebeneinander der Großmächte im 5. Jahrhundert geprägt hatte. Er weigerte sich sogar, eine Revolte der christlichen Persarmenier in den 490er-Jahren zum Anlass zu nehmen, die nun immer dreisteren Nachbarn zur Rechenschaft zu ziehen. Doch zu Beginn des 6. Jahrhunderts war Kavadh schließlich so weit, dass er Rom nicht mehr nur drohte, sondern tatsächlich den Krieg erklärte.12

      Dass dieser Krieg ausbrach, konnte man Anastasios’ Regime zwar nicht ankreiden, wohl aber, dass es sich nicht gut genug auf einen möglichen Krieg an der persischen Front vorbereitet hatte. Als Kavadh im Jahr 502 in den römischen Osten einmarschierte, traf seine Armee auf so gut wie keine Gegenwehr. Als Erstes fiel er in Armenien ein und ließ seine Truppen im Handumdrehen Theodosiopolis, die Hauptbasis der Römer, zerstören. Anschließend wandte er sich nach Süden und kam nach Martyropolis, das er verschonte, als der dortige Statthalter den Eindringlingen das Doppelte seiner jährlichen Steuereinnahmen aushändigte. Als Nächstes überfiel das Perserheer Amida. Es gab zwar keine römischen limitanei in der Stadt, aber die Einwohner verteidigten ihre Häuser bis aufs Blut – erst nach drei Monaten gelang es den Persern, die Stadt zu stürmen. Jeder zehnte der überlebenden männlichen Einwohner von Amida wurde hingerichtet, die übrigen wurden als Sklaven verkauft; sämtliche Reichtümer der Stadt wurden nach Persien gebracht. Zur gleichen Zeit plünderten Kavadhs arabische Verbündete den römischen Osten, von Edessa bis Constantia.

      Anastasios war so aufgebracht, dass er zur Feldzugsaison 503 eine gewaltige Armee nach Mesopotamien schickte. Mit 40 000 Mann war sie weitaus größer als irgendein Truppenverband, der jemals unter Justinian ins Feld geführt werden sollte, und sie operierte in drei Divisionen, von denen eine von Hypatius, einem Neffen des Kaisers, befehligt wurde. Zwei begaben sich nach Amida, das inzwischen von einer 3000 Soldaten starken persischen Garnison besetzt war, die dritte zur persischen Regionalhauptstadt Nisibis. Alle drei Divisionen erlitten im Laufe des Jahres entscheidende Niederlagen. Bei diesem persischen Gegenschlag gelang es Kavadh aber nicht, weitere römische Gebiete zu erobern – Constantia und Edessa waren zu gut befestigt. Der Krieg in Mesopotamien steuerte schnell auf eine Pattsituation zu. Für die dramatischste Aktion des Jahres sorgten die Lachmiden, Persiens arabische Verbündete unter Al-Mundhir, als sie in die römischen Provinzen Arabien und Palästina einfielen. Laut Kyrillos von Skythopolis legten sie »alles in Schutt und Asche, versklavten Tausende Römer und begingen viele gesetzlose Taten«.

      Das war alles, im Großen und Ganzen. Nach diesen leichten Gewinnen hatte Kavadh kein Interesse mehr daran, den Krieg fortzusetzen. Die Römer versuchten noch einmal, Amida zurückzuerobern, aber es gelang ihnen nicht. 504 wurde ein Waffenstillstand vereinbart, und man verhandelte über einen dauerhaften Frieden; nennenswerte Kampfhandlungen gab es keine mehr. Das Friedensabkommen war für Anastasios keine allzu große Demütigung, denn jährliche Zahlungen, wie sie die Perser vor dem Krieg gefordert hatten, wurden nicht vereinbart, und die Römer erhielten die Kontrolle über Amida zurück.

      Der Kaiser ließ nun die römischen Verteidigungsanlagen in Mesopotamien ausbauen, nicht nur in Amida, sondern auch in Edessa und Batnae, und richtete an der Grenze bei Dara einen ganz neuen römischen Stützpunkt für die Region ein. Im Gegenzug verzichtete man auf Vergeltungsmaßnahmen für die militärischen Niederlagen von 502/503. Es war Anastasios gelungen, Amida allein durch Verhandlungen zurückzugewinnen – und indem er seinem persischen Rivalen einen bestimmten Festbetrag zahlte. Nichts von alldem war besonders verhängnisvoll, doch weder der Kaiser noch sein Lieblingsneffe (dessen Feldzug zur Rückeroberung Amidas ein Fehlschlag gewesen war) konnten aus den Vorgängen ein derartiges politisches Kapital schlagen, dass es ihnen ermöglicht hätte, die Balance zwischen den verschiedenen Fraktionen bei Hofe in Konstantinopel entscheidend zu ihren Gunsten zu beeinflussen.13

      Das Gleiche gilt für das zweite große Thema von Anastasios’ Herrschaft: die Spaltung innerhalb der oströmischen Kirche. Wie wichtig dieser Komplex war, klang bereits zu Beginn, bei der Szene im Hippodrom, kurz an, als die Menge – wahrscheinlich nach vorheriger Absprache – verlangte, der neue Kaiser müsse »orthodox« sein. Die gegenwärtige Spaltung war eine Reaktion auf die Definition des christlichen Glaubens beim Konzil von Chalkedon im Jahr 451, dem vierten großen ökumenischen Konzil der römischen Spätantike. Das grundlegende Thema war die anhaltende Debatte darüber, in welcher Form das göttliche und das menschliche Element in der Person Christi vereint seien – was wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Frage hatte, auf welche Weise Christus die Menschheit gerettet hat. War Christus als Gott am Kreuz gestorben? War dies das Wunder, mit dem er den Tod besiegt hatte? Aber konnte ein unsterblicher Gott überhaupt sterben?

      In der Generation vor Chalkedon war Nestorius, der Patriarch von Konstantinopel (428–431), von Leuten abgesetzt worden, die anderer Meinung gewesen waren als er und die von seinem Erzfeind Kyrillos, dem Patriarchen von Alexandria, aufgestachelt worden waren: Nestorius hatte den Standpunkt vertreten, der unsterbliche Gott habe nicht leiden können – und daher sei lediglich der menschliche Teil Christi am Kreuz gestorben. Als Reaktion darauf hatte Kyrillos behauptet, das sei Unfug und es könne nur ein unteilbares »fleischgewordenes Wesen von Gott dem Wort« geben; das göttliche und das menschliche Wesen Christi seien nicht voneinander zu trennen. Die meisten Christen waren der Ansicht, dass Nestorius nicht recht haben konnte, aber für manche ließ Kyrillos’ Gerede von dem einen Wesen Christi, insbesondere die Art und Weise, wie es von einigen seiner radikaleren Anhänger interpretiert wurde, zu wenig Platz für die Menschlichkeit Christi.

      In Chalkedon sollte dieser Streit beigelegt werden. Auf dem Konzil wurde zum einen bekräftigt, dass Christus nach seiner Menschwerdung mit »zwei Wesen« fortbestand, zum anderen wurde Nestorius’ Lehrmeinung noch einmal offiziell verdammt. Die gewählte Formulierung ließ sich mit den Ansichten des Kyrillos in Einklang bringen, denn in einem Dokument, einer sogenannten Kompromissformel (433), hatte der Patriarch auf Druck seitens des