Die letzte Blüte Roms. Peter Heather

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Название Die letzte Blüte Roms
Автор произведения Peter Heather
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783534746620



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zu sprechen, man dürfe nur nicht behaupten, sein menschliches Element habe am Kreuz gelitten und sei dort gestorben. Der aktuelle Papst steuerte ebenfalls eine Abhandlung zur Diskussion in Chalkedon bei, den Tomus ad Flavianum; er hielt darin fest, wie die westliche Kirche die Angelegenheit sah: Bei Christus bestehe eine »Einheit der Person in jedem der beiden Wesen«.14

      Wie zu erwarten, stimmten alle versammelten Bischöfe am Bosporus unter den wachsamen Augen von Kaiser Markian, der das Konzil einberufen hatte, und seinen Beamten, die es leiteten, den Beschlüssen von Chalkedon zu. Doch kaum hatten sie dem Kaiser den Rücken zugewandt, ging der Streit von Neuem los. Für viele östliche Bischöfe klangen die »zwei Wesen« einfach zu sehr nach Nestorius, und sie widersetzten sich dem, was sie als Prüfstein der kyrillischen Orthodoxie verstanden – Kompromissformel hin oder her.

      Während die Debatte auch in der folgenden Generation weiterging, bestand die offizielle Strategie der römischen Kaiser einfach nur darin, das in Chalkedon Beschlossene durchzusetzen. Doch hinter den Kulissen wurde die Tragfähigkeit des Dogmas infrage gestellt, angesichts der innerkirchlichen Spaltung, die es provoziert hatte und auf die der Usurpator Basiliskos (474–476) wiederum reagierte, indem er die Beschlüsse des Konzils komplett ablehnte.

      Der Graben, der durch die oströmische Kirche ging, wurde so tief, dass Zenon schließlich nicht mehr tatenlos zusehen konnte. 482 erließ der Kaiser, möglicherweise im Anschluss an eine in Palästina erprobte Friedensinitiative, ein Edikt mit dem Titel Henotikon (»Einigung«), das besagte, der christliche Glaube sei bereits im 4. Jahrhundert auf den ökumenischen Konzilen von Nicäa (325) und Konstantinopel (381) befriedigend definiert worden, und zwar ein für alle Mal. Das Dogma von Chalkedon wurde in dem Edikt nicht direkt verurteilt, sondern einfach ignoriert.

      Zenon gelang es, die Ostkirche offiziell zu befrieden, denn alle vier östlichen Patriarchen (in Alexandria, Antiochia, Konstantinopel und Jerusalem) segneten das Henotikon inhaltlich ab. Doch seine Strategie hatte zwei wesentliche Nachteile. Erstens hatte das Weströmische Reich 482 aufgehört zu existieren, und Italien wurde von Odoaker kontrolliert, der mit Zenon tief verfeindet war, sodass der Kaiser auf den fünften Patriarchen der Kirche, den Bischof von Rom, keinerlei Einfluss hatte; und weil Papst Leos Tomus ad Flavianum formell in das Prozedere von Chalkedon einbezogen worden war, hatte Rom ein starkes Interesse daran, Chalkedons Legitimität als ökumenisches Konzil aufrechtzuerhalten. Alle Verhandlungen führten zu nichts, und zwei Jahre später hielt Papst Felix III. eine Synode ab, auf der das Henotikon verurteilt und Akakios, der derzeitige Patriarch von Konstantinopel, formell abgesetzt und exkommuniziert wurde. Damit befanden sich Rom und Konstantinopel offiziell im Schisma. Und zweitens bedeutete die Tatsache, dass die Kirchenobersten im Osten einander nicht mehr bekriegten, nicht etwa, dass der Streit innerhalb der Ostkirche beigelegt gewesen wäre. Die kaiserliche Hauptstadt beheimatete verschiedene Klöster, die die Beschlüsse von Chalkedon unterstützten, allen voran das Kloster der Akoimetoi (der »schlaflosen« Mönche). In Syrien und Palästina waren demgegenüber viele gegen Chalkedon.15

      Insofern ist es schwer zu beurteilen, was genau die Menge im Hippodrom meinte, als sie Ariadne zurief, der neue Kaiser solle »orthodox« sein. Falls es sich um eine orchestrierte Veranstaltung handelte, war vermutlich gemeint, dass das neue Regime den Status quo aufrechterhalten sollte, wie er im Henotikon verankert war. Falls nicht, dann verlangte die Bevölkerung der Hauptstadt, die zum großen Teil in Richtung einer Chalkedon wohlgesinnten Einstellung tendierte, die Aufhebung des Henotikon. Wie dem auch sei: Das neue Regime hatte ein kaum lösbares Problem geerbt, für dessen Existenz es nichts konnte.

      Es gibt durchaus Grund zu der Annahme, dass Anastasios mit den Antichalkedoniern sympathisierte. Vielleicht gelangten er und seine Berater in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit aber auch einfach zu der Überzeugung, dass sich der allgemeine Frieden in der Ostkirche am besten wiederherstellen ließ, indem man die Chalkedon-Sympathisierenden, die in der kaiserlichen Hauptstadt immer noch in der Überzahl waren, mit einer antichalkedonischen Position untergrub.

      Im Jahr 508 durfte der Vordenker der Antichalkedonier, Severus, mit 200 auf seine Linie eingeschworenen Mönchen aus Palästina nach Konstantinopel, kommen, und später wurde er sogar von einem Neffen des Anastasios, Probus, der anscheinend Teil von Severus’ Netzwerk war, dem Kaiser vorgestellt. Dies bereitete den Boden für explizitere Aktionen. Am 20. Juli 511 musste die Gemeinde in der großen Kirche Hagia Sophia feststellen, dass in eines der Standardgebete der Liturgie, das Trisagion, mit einem Mal ein antichalkedonischer Teil eingefügt worden war. Dieses Gebet wurde stets vor dem täglichen Psalm gesungen und lautete ursprünglich: »Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser.« Der neue Zusatz – »der für uns gekreuzigt wurde« – war in einigen Gemeinden im Rahmen der Reaktion gegen die Beschlüsse von Chalkedon bereits Ende der 460er-Jahre in das Gebet eingefügt worden. Kein Chalkedon-Sympathisant konnte sich dem anschließen.

      Das Henotikon war im Jahr 511 offiziell immer noch in Kraft, aber die Politik des Regimes hatte eine klar antichalkedonische Richtung eingeschlagen, wie die Aussagen der Patriarchen von Konstantinopel und Antiochia, Makedonios und Florian, in jenem Sommer deutlich machten. Beide hatten sich dem Henotikon angeschlossen, hatten aber so viele Sympathien für die Chalkedon-Beschlüsse, dass sie radikalere Schritte zur formellen Verurteilung des Konzils ablehnten. Dass dies tatsächlich die Richtung war, in die sich das Regime bewegte, wurde spätestens dann klar, als Florian abgesetzt und durch Severus ersetzt wurde. Somit stand nun einem Bischofssitz, dessen intellektuelle Traditionen beim Konzil von Chalkedon besonders stark vertreten gewesen waren, ein offen antichalkedonischer Patriarch vor.16

      So weit, so gut. Anastasios’ Regime hatte sich für eine Lösung entschieden und versuchte, sie durchzusetzen. Doch schon bald zeigte sich, wie schwach das Regime im Grunde genommen war. Nachdem es zunächst darauf gesetzt hatte, die religiöse Spaltung auf seine Weise zu beseitigen, ruderte es auf Druck der Bevölkerung wieder zurück. Im Jahr 512 erlebte das Hippodrom der kaiserlichen Hauptstadt heftige Ausschreitungen seitens der Chalkedon-Befürworter, die den Kaiser fast den Thron kosteten. Anastasios sah sich gezwungen, ohne sein kaiserliches Diadem persönlich im Hippodrom zu erscheinen und die Menge für seine unüberlegten religionspolitischen Entscheidungen um Vergebung zu bitten.17 Die Akoimetoi spielten bei der Orchestrierung der gewaltsamen Aktionen eine führende Rolle, aber höchstwahrscheinlich waren auch einflussreiche Personen bei Hofe daran beteiligt, denen die betont antichalkedonischen Politik des Regimes ein Dorn im Auge war – oder die einfach nur verhindern wollten, dass Anastasios seine Macht weiter ausbaute.

      Schon bald entstanden dem Kaiser neue Probleme: Ein Großteil des Militärs auf dem Balkan unter der Führung von Vitalian probte den Aufstand. Vitalians offizieller Posten war damals wahrscheinlich Befehlshaber der zahlreichen foederati, die in den verschiedenen Teilen des Balkans Land besaßen. Die foederati hatten einen bedeutenden Anteil am Ausbruch der Revolte, die wie so viele Militärrevolten als Streit um ausbleibenden Sold und eine schlechte Versorgungslage begann. Sie erfasste rasch viele der limitanei- und Feldarmee-Einheiten der Region, deren Offiziere Vitalian entweder für seine Pläne gewann oder aber ermorden ließ. Anfang 513 drang er mit einer Streitmacht von rund 50 000 Mann bis nach Hebdomon vor, sieben Meilen vor Konstantinopel, wo oft die Inthronisierung neuer Kaiser stattfand. In Gesprächen mit Vertretern des Regimes unterbreitete Vitalian seine Forderungen: Er verlangte, dass seine Truppen endlich ihren Sold erhielten und dass die chalkedonische Orthodoxie wiederhergestellt wurde und der alte Patriarch Makedonios seinen Posten zurückbekam. Dass er selbst Kaiser werden wollte, behielt Vitalian noch für sich.

      Anastasios ließ seine Vertreter verkünden, er lenke in allen Punkten ein, doch er hielt sich nicht an seine Versprechen; also rückte Vitalian 514 ein zweites Mal auf Konstantinopel vor. Mit 5000 Pfund Gold im Gepäck zog er wieder ab, nachdem Anastasios ihm konkret zugesichert hatte, er werde die beiden entlassenen Patriarchen (Makedonios und Florian) wieder einsetzen und im Jahr 515 ein Konzil einberufen, um die religiöse Einheit mit Rom wiederherzustellen. Der Tod von Papst Symmachus im Juli 514 schien neue Chancen zu eröffnen, denn wie immer, wenn ein Papst starb, bestand die Hoffnung, dass sein Nachfolger umgänglicher war als der Vorgänger, und so schrieb Anastasios in der zweiten Jahreshälfte dem neuen Papst Hormisdas einen Brief, in dem es um eine mögliche Aussöhnung der beiden Kirchen ging. Doch der Kaiser