Die letzte Blüte Roms. Peter Heather

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Название Die letzte Blüte Roms
Автор произведения Peter Heather
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783534746620



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Vitalian habe mit seinem Tod direkt im Anschluss an die Feierlichkeiten zu Ehren seines Konsulats den Preis für seine früheren umstürzlerischen Aktivitäten gezahlt. Dass Justin Vitalian, dessen Prominenz ein potenzieller Stolperstein für die Zukunft seines Neffen gewesen war, eliminieren ließ, während er zugleich dafür sorgte, dass Justinian endlich das öffentliche Profil erhielt, das ihm gebührte, selbst wenn er sich dazu mit Hypatius & Co. arrangieren musste, lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass Justin Justinian bereits zu diesem Zeitpunkt als seinen unangefochtenen Nachfolger aufbauen wollte.28

      Ein weiterer Hinweis darauf, dass dies der Fall war, stammt aus derselben Zeit und hat eine ganz besondere Note. Der Lieblingsneffe des Kaisers hatte eine Affäre mit einer extravaganten blonden Ex-Schauspielerin namens Theodora. Es ist geradezu erstaunlich, welche furchterregenden Details Prokop in seiner Geheimgeschichte über Theodoras Vorleben zu berichten weiß, doch auf jeden Fall war sie Schauspielerin gewesen, und das allein stellte ein Problem dar. Schließlich war es Personen mit einem dermaßen geringen gesellschaftlichen Status wie dem einer Schauspielerin seit Langem per Gesetz untersagt, mit Personen von höherem Rang (wie dem illustren Justinian) eine legitime Ehe einzugehen. 521/522 änderte Justin aus heiterem Himmel das entsprechende Gesetz. Einige Details der neuen Rechtsprechung haben im Codex Iustinianus überlebt, mitsamt – was recht ungewöhnlich ist – ihrer rhetorischen Rechtfertigung.

      Natürlich diente dieses neue Gesetz in erster Linie dazu, eine ganz bestimmte Ehe zu ermöglichen. Auf eine Einleitung, in der alle moralischen Mängel des Theaterberufs aufgezählt werden, folgt die erste wichtige neue Klausel, in der es heißt, es sei trotz allem nicht richtig, all jenen Frauen, die inzwischen ihrem früheren lockeren Lebensstils entsagten, eine legitime Ehe zu verwehren; daher dürften sie den Kaiser darum bitten, ihnen denselben Status zu gewähren wie einer Frau, die noch nie gesündigt hat. Eine zweite ganz signifikante Klausel besagt, dass Kinder, die aus solchen Ehen geboren werden, vollkommen legitim sind und ihre Väter beerben können. Es folgen sechs weitere detaillierte Klauseln, aber der springende Punkt des neuen Gesetzes dürfte bereits klar geworden sein: Justinian konnte seine Schauspielerin heiraten, und ihre gemeinsamen Kinder würden seine legitimen Erben sein.29

      Es lohnt sich, an dieser Stelle einen Moment innezuhalten und sich genau klarzumachen, was Justin hier gerade für seinen Neffen getan hat. Justins Gattin, Euphemia, hasste Theodora wegen deren zweifelhafter Vergangenheit und antichalkedonischer Einstellung. Das Gesetz, das solche Ehen untersagte, war seit über zweihundert Jahren in Kraft, und die Haltung, die darin zum Ausdruck kam, war noch viel älter. Die landbesitzenden Eliten des Altertums hatten extreme Vorbehalte gegenüber jeder Art von Ehe, die gegen etablierte gesellschaftliche Verhältnisse verstieß. Dass der Kaiser so weit ging, Justinian eine vollkommen legitime Ehe mit Theodora zu ermöglichen, anstatt darauf zu bestehen, dass er sie sich bloß als Geliebte hielt (was niemanden gekümmert hätte), erzeugte in der rigiden, statusbesessenen Welt des konstantinopolitanischen Hofes enormen Widerstand, und zwar nicht nur seitens Justins Ehefrau: Prokop walzt diese Geschichte so genüsslich aus, dass man einen guten Eindruck davon bekommt, welch ein Skandal dieser Vorgang gewesen sein muss. Angesichts dieses Widerstands das neue Gesetz durchzusetzen, nur damit Justinian seine Schauspielerin heiraten konnte, bedeutete für das Regime den Einsatz eines gewaltigen politischen Kapitals. Dieser Umstand wie auch die Tatsache, dass Justinian nach der Eliminierung Vitalians seine neuen Posten als Oberbefehlshaber und Konsul erhielt, sandten ein deutliches Signal aus: Selbst wenn die Thronfolge zu diesem Zeitpunkt noch keine beschlossene Sache war, so war Justinian doch eindeutig Justins designierter Erbe.

      Darauf, dass das Ehethema die Geduld des Kaisers strapazierte (oder man zumindest annahm, dass sie das tat), weist eine recht seltsame Geschichte hin, die in diversen Versionen auftaucht. Im Zentrum dieser Geschichte stand ein besonders blutiger Gewaltausbruch seitens der Zirkuspartei der Blauen im Jahr 523, vor allem in Konstantinopel, aber auch in einigen anderen großen Städten des Imperiums. Laut einigen Versionen, wenn auch nicht den frühesten, gab es hinterher eine offizielle Untersuchung, die zu dem Schluss kam, dass das Ganze von Justinian orchestriert worden war. Beinahe wäre sein Name öffentlich genannt worden, doch der wütende Justin intervenierte und beendete den Vorgang. Es ist schwer zu sagen, was man von dieser Geschichte halten soll, nicht nur wegen ihrer inneren Widersprüche, sondern auch, weil aufseiten Justinians ein glaubwürdiges Motiv fehlt. Aber es gab bei Hofe durchaus Leute, die Justinian nur allzu gern in Misskredit gebracht und Justin somit gezwungen hätten, noch einmal über die Thronfolge nachzudenken, und diese Geschichte könnte genau in dieses Szenario passen.30 Falls es diese Strategie gab, so ist sie nicht aufgegangen; 523 ist nämlich auch das Jahr, in dem Justinian den Ehrentitel des Patriziers erhielt – und damit Zutritt zur exklusivsten Statusgruppe des Imperiums. Die Beziehung zwischen Onkel und Neffe war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich wieder gekittet, und als Mitte der 520er-Jahre die Beziehungen zu Persien – das zweite große Thema der Herrschaft des Anastasios – wieder auf die kaiserliche Tagesordnung zurückkehrten, waren sich die beiden erneut einig.

      Einen ersten Hinweis auf die generelle Haltung des Regimes gegenüber Persien hatte es schon etwas früher gegeben, im Zuge eines Vorfalls im Jahr 521 oder 522. König Tzath von Lasika, einem persischen Klientelkönigreich, nahm plötzlich Kontakt mit Konstantinopel auf. Um seine regionale Dominanz auszubauen, wollte der persische Großkönig Kavadh Lasika zwingen, die zoroastrische Religion anzunehmen; Tzath hingegen wollte sich taufen lassen, also Christ werden, und bat Ostrom um Unterstützung, um eine weitere Ausbreitung der persischen Hegemonie zu verhindern. Es verhielt sich also genau andersherum als noch im Jahr 456, als Lasika ein römischer Klientelstaat gewesen war. Damals hatten sich die Perser geweigert, sich bei den Römern einzumischen. Justins Regime indes ließ keine Gelegenheit aus, sein Prestige zu mehren, und so empfing der Kaiser Tzath in Konstantinopel.

      Der König von Lasika wurde mit allen denkbaren Ehrenbezeugungen getauft, gekleidet in ein aufwendiges Seidengewand, das mit dem Konterfei von Kaiser Justin bestickt war. Schließlich bekam er noch eine hochwohlgeborene Römerin zur Frau und kehrte dann nach Hause zurück, begleitet von einer römischen Militäreskorte. Als der persische Botschafter sich beschwerte, wurde er mit dem Hinweis entlassen, Lasika sei schon immer römisch gewesen. Das stimmte natürlich gar nicht – Lasika hatte immer wieder seine Allianzen gewechselt, je nachdem, unter wessen Schirmherrschaft es am eigenständigsten agieren konnte. Aber da die Tendenz des 5. Jahrhunderts hin zu einer Kooperation zwischen den Supermächten zumindest teilweise immer noch aktuell war, entschied Kavadh, Rom nicht den Krieg zu erklären.31

      Der eigentliche Grund dafür sickerte durch, als wahrscheinlich im Jahr 525 eine neue persische Gesandtschaft in Konstantinopel eintraf. Auch wenn es sich vielleicht nur um eine Anekdote handelte, führten beide Reiche zu Beginn des 6. Jahrhunderts die lange Phase ihrer kooperativen Beziehungen darauf zurück, dass es Anfang des 5. Jahrhunderts eine Vereinbarung zwischen Kaiser Arcadius und dem persischen Großkönig Yazdegerd gegeben hatte, laut der Letzterer den kleinen Sohn von Arcadius, Theodosius II., adoptieren würde, falls Arcadius vorzeitig ablebte. Dieser Schritt sollte Theodosius dann die Thronfolge erleichtern – und genauso kam es. Als Arcadius 408 starb, war Theodosius gerade einmal sechs Jahre alt.32 Nun bat Kavadh Justin unter Berufung auf diesen Präzedenzfall, seinen Sohn Chosrau zu adoptieren. Chosrau war der dritte Sohn des Großkönigs, doch zu seinem ältesten Sohn hatte er den Kontakt abgebrochen, und der zweite war von der Thronfolge ausgeschlossen, weil er ein Auge verloren hatte. Jetzt war Chosrau Kavadhs bevorzugte Wahl, und der König befürchtete, dass dieser es nicht allzu leicht haben würde, seinem Vater auf den Thron zu folgen, wenn er selbst erst tot war.

      Will man Prokop glauben, so waren Justin und Justinian vom Vorschlag der Perser mehr als angetan und ließen sofort die entsprechenden Dokumente anfertigen. Doch dann schaltete sich der oberste Jurist des Regimes ein, der Quästor Proculus:

      Diese Gesandtschaft deutete ganz unverhohlen und direkt und mit den ersten Worten an, dass dieser Chosrau, wer auch immer er sei, zum Adoptiverben des römischen Kaisers gemacht werden soll. Und ich hätte gerne, dass Ihr in dieser Sache Folgendes bedenkt: Dem Gesetz der Natur zufolge geht der Besitz der Väter auf ihre Söhne über. Und obwohl alle Völker immer wieder wegen ihrer Gesetze miteinander in Streit geraten, da sich diese Gesetze voneinander unterscheiden, sind sich in dieser Angelegenheit doch die Römer und alle Barbaren einig: