Die letzte Blüte Roms. Peter Heather

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Название Die letzte Blüte Roms
Автор произведения Peter Heather
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783534746620



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mussten die Bürger ihre Steuern tatsächlich in Form solcher Mäntel bezahlen. Anderswo wurde stattdessen der Gegenwert in Gold berechnet.25 Es gab auch eine zusätzliche Steuer in Gold für Senatoren und eine (angeblich) freiwillige Kronsteuer in Gold, die die Städte des Imperiums theoretisch alle fünf Jahre entrichteten, um den Jahrestag der Thronbesteigung des Kaisers zu würdigen, und beide Abgaben spielten eine entscheidende Rolle dabei, das Edelmetall zu beschaffen, das für die periodischen militärischen donativa nötig war.

      Das heißt allerdings nicht, dass das Steuersystem reibungslos funktionierte. Im 4. und 5. Jahrhundert mussten das eine oder andere Mal Sondersteuern erhoben werden, und die Soldaten hatten immer wieder darunter zu leiden, dass sie ihren Sold zu spät oder gar nicht bekamen, vor allem die, die in abgelegenen Regionen stationiert waren.26 Dennoch: Die deutlichsten Indizien für ein chronisch unterfinanziertes Militär – die systematischen Usurpationen des 3. Jahrhunderts und die verhängnisvolle Dynamik von Geldentwertung und Inflation – wiederholten sich diesmal nicht. So war der römische Staat schließlich in der Lage, sich die notwendigen Ressourcen zu sichern, um die enorme Aufstockung seines Militärs zu finanzieren, doch der Preis dafür waren ein enormer Verwaltungsaufwand, die Beschlagnahmung lokaler Einnahmen und eine erhebliche Steuererhöhung. Es ist ein klarer Beleg für das Ausmaß der notwendigen Anstrengungen, dass es ab dem Wiedererstarken der Perser in den 230er-Jahren beinahe drei politische Generationen dauerte, bis aus einer Reihe spontaner Experimente eine praktikable langfristige Lösung hervorging.

      Es dauerte ebenfalls eine ganze Zeit, bis die moderne Forschung verstand, wie sich die Gesamtkosten des Truppenausbaus tatsächlich auf das Imperium als Ganzes auswirkten. Den größten Teil des 20. Jahrhunderts über nahm man an, der Effekt sei regelrecht erdrückend gewesen. Durch Papyri wusste man, dass in den 280er-Jahren die Hyperinflation einsetzte, und ab 250 ging die Anzahl der in Auftrag gegebenen Steininschriften erstaunlich zurück (im Jahresdurchschnitt fiel sie um 80 Prozent); außerdem gab es aus dem 4. Jahrhundert Hinweise auf Landwirte, die an ihr Land gebunden waren, und auf »verlassene Äcker« (agri deserti). Im 4. Jahrhundert, so nahm man an, dürfte das Imperium nach der Krise des 3. Jahrhunderts eine gewisse Stabilität zurückerlangt haben, aber nur dank drakonischer juristischer Maßnahmen, die Landwirte auf ihren Höfen halten sollten, und indem die Steuern so sehr erhöht wurden, dass manche Ackerflächen nicht mehr bewirtschaftet wurden. Gleichzeitig hatten die wohlhabenden Bürger durch die Hyperinflation ihr Vermögen eingebüßt (ähnlich wie in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg), was sich nur allzu deutlich daran ablesen ließ, dass sich immer weniger Bürger in den örtlichen Stadträten engagierten; die Inschriften, die ein solches Engagement vor Mitte des 3. Jahrhunderts zu feiern pflegten, waren inzwischen nahezu verschwundenen.27

      All das ergab in der Summe einen wirtschaftlichen Kollaps, der alle Annahmen der Forscher zu bestätigen schien28 – das macht die neuen, seit den 1970er-Jahren aufgetauchten archäologischen Funde umso spannender. Anhand von Oberflächenfunden sehr gut datierbarer römischer Keramik entwickelten Archäologen neue Survey-Techniken; die Analyse ermöglichte es erstmalig, mehr oder weniger direkt zu messen, wie es der Landwirtschaft im Reich ging; zumindest konnte man erstmals nachvollziehen, wie viele funktionierende Agrarsiedlungen zu verschiedenen Zeiten der römischen Kaiserzeit existierten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind revolutionär. Nimmt man einige wenige Gebiete (wie das nördliche Britannien und die Region unmittelbar hinter der Grenze am Niederrhein) aus, dann war das 4. Jahrhundert in der überwältigenden Mehrheit der Provinzen des Kaiserreichs wider Erwarten keine Zeit der Landflucht – im Gegenteil. Dies widerspricht direkt den früheren Hypothesen (auch wenn schon damals einige kluge Köpfe die besonders pessimistischen Annahmen bezweifelt haben) und zwingt uns, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen der Neuausrichtung des Steuersystems, mit der das Kaiserhaus den Truppenausbau finanzierte, zu überdenken.

      Die Steuersätze waren offensichtlich doch nicht so hoch, dass auf einmal ganze Landstriche brach lagen. Im Gegenteil, in der späten Kaiserzeit wurden in vielen Teilen des Reiches sogar viele relativ marginale Flächen kultiviert; die Steuersätze können also nicht so hoch gewesen sein, dass sie die Bevölkerung in dem Maße belasteten, wie man es früher angenommen hatte. Im Zuge dessen beleuchtete die Forschung auch den Begriff agri deserti neu. Man geht inzwischen davon aus, dass dies so viel wie »Land, für das keine Steuern gezahlt werden« bedeutete, denn es existieren keine Belege für eine Besteuerung dieser Flächen. Natürlich bedeutet die neue Beweislage nicht automatisch, dass es den Landwirten überall im Reich wirtschaftlich gut ging, denn je mehr Menschen in einer ländlichen Gegend leben, desto mehr steigt der Druck auf die Löhne und desto schwieriger werden die allgemeinen Bedingungen für die Landwirtschaft. Aber die Annahme, dass das militärische Aufrüsten des 3. Jahrhunderts das Imperium in den Bankrott trieb, ist sicherlich so nicht mehr haltbar. Die notwendigen volkswirtschaftlichen Kosten und der administrative Aufwand waren enorm und langwierig, aber schließlich gelang es doch, genügend Mittel zu mobilisieren, um den organisierten Militärapparat dauerhaft aufrechtzuerhalten, ohne dass dies das produktive Gefüge des Römischen Reiches grundlegend beschädigte. Man kommt kaum umhin, sich dem Fazit anzuschließen, dass das BIP des Imperiums, auch wenn die Steuerpolitik der Bevölkerung einiges abverlangte, im 4. Jahrhundert einen besonders hohen Stand erreichte.29

      Das wiederum heißt aber nicht, dass die strukturelle Neuausrichtung des Steuersystems ein einfacher Prozess oder dass die allgemeine Steuerlast gering gewesen wäre. Unter normalen Bedingungen ließ sich das alles, wie die neuen archäologischen Befunde zeigen, durchaus bewältigen, aber viel Spielraum wird es nicht gegeben haben. Mehrere Quellen aus dem 4. Jahrhundert berichten beispielsweise übereinstimmend, dass ein Feldzug, für den ein großer Teil des Heeres abkommandiert wurde und der sich über mehrere Saisons hinzog, große zusätzliche Belastungen mit sich brachte, die die Steuerzahler nur mit Mühe bewältigen konnten. Bei den ganz großen Feldzügen waren die Truppenlisten voll, man benötigte viel zusätzliche Ausrüstung, musste gewaltige Gepäckzüge (mit vielen zusätzlichen Zugtieren) einrichten und vor allem dafür sorgen, dass in dem relevanten Bereich an der Grenze ungeheure Mengen an Proviant und Tierfutter zur Verfügung standen.

      All dies brachte Steuerbehörden und Logistik an die Grenzen ihrer Kapazität (in Sachen Logistik griff man oft auf Fronarbeiter zurück, eine weitere Form der Besteuerung). Unsere Quellen weisen für einen Fall ausdrücklich darauf hin, dass es gelang, die notwendigen Ressourcen für einen großen Feldzug zu beschaffen, ohne die Steuerzahler zusätzlich zu belasten – ein höchst aufschlussreicher negativer Beweis.30 Ganz explizit erwähnen die Darstellungen von Julians Feldzügen an der Rheingrenze Mitte der 350er-Jahre, wie schwierig es war, genügend Nahrungsmittel aufzutreiben und zu lagern, damit seine Armee mehrere Jahre nacheinander im Feld bleiben konnte. Beim Feldzug von 357 verbrauchte die Armee die letzten nennenswerten Reserven in Gallien – und selbst in jenem Jahr war die Ankunft mehrerer Wagen mit Getreide aus Aquitanien eine höchst willkommene Überraschung; 358 sah sich der Caesar sogar gezwungen, sich an den in Britannien gelagerten Nahrungsmittelvorräten zu bedienen. Die Vorbereitungen großer Feldzüge brachten normalerweise eine beträchtliche zusätzliche Besteuerung und stellten daher auf lokaler Ebene eine erhebliche politische Belastung dar. Julians Vorbereitungen für seinen Perserfeldzug 362/363 verursachten in und um Antiochia, wo die Feldzugarmee stationiert war, schwere wirtschaftliche Probleme; in eben dieser Stadt kam es später, 387, zu Aufständen, bei denen Kaiserstatuen umgestürzt wurden, als nämlich Kaiser Theodosius I. im Zuge der Vorbereitungen seines Feldzugs gegen den westlichen Usurpator Maximus zusätzliche Steuern in Form von Geld und Sachwerten erhob.31

      Zwar war zu Beginn des 4. Jahrhunderts eine Art Gleichgewicht erreicht, aber es brauchte nicht viel, um dieses Gleichgewicht zu stören. In der umkämpften Westhälfte des Reiches schnellten Mitte des 5. Jahrhunderts die Steuersätze in die Höhe, nachdem die Regierung die Kontrolle über große Teile ihrer Steuerbasis verloren hatte, sich aber immer noch militärischen Übergriffen von Hunnen und anderen Völkern ausgesetzt sah, die es abzuwehren galt.

      Die gewaltigen Auswirkungen der Neuausrichtung des Steuersystems zeigen sich auch darin, wie sehr sich das Leben der römischen Eliten veränderte. Im Römischen Reich waren die Eliten traditionell Grundbesitzer, und selbst wenn sie auf andere Weise reich geworden waren, investierten sie das Geld meist umgehend in Grundbesitz, vergleichbar