Die letzte Blüte Roms. Peter Heather

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Название Die letzte Blüte Roms
Автор произведения Peter Heather
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783534746620



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im Westen nannte (nach dem von Papst Felix exkommunizierten Patriarchen Akakios), ließ sich also nicht beilegen, und 515 rückte Vitalian ein drittes Mal auf die Hauptstadt vor. Nur brachte er diesmal eine Flotte mit, die es ihm endlich ermöglichen sollte, die Stadt einzunehmen. Zur Landseite hin war Konstantinopel durch die dreifachen Theodosianischen Befestigungsanlagen geschützt, die kein Feind jemals überwinden konnte (bis die Kanone erfunden wurde).18

      Es war ein wenig wie beim Perserkrieg: Das Endergebnis war nicht so katastrophal wie zunächst befürchtet. Unter der Führung eines der vertrauenswürdigsten Beamten von Anastasios, des Prätorianerpräfekten Marinus, nutzten die Streitkräfte des Regimes das berühmte Griechische Feuer – eine Waffe, die brennenden Schwefel verschoss, der auch auf Wasser weiterbrannte –, um Vitalians Flotte auf dem Bosporus in Brand zu stecken. Da dessen Armee auf anderem Wege nicht in die Stadt gelangen konnte, kam es zu neuen Verhandlungen, und am Ende erklärte Vitalian sich bereit, ins Exil zu gehen, wenn seine Soldaten ausbezahlt würden.

      Dennoch hatte sich Anastasios nur ganz knapp die Macht sichern können, und im Folgenden wagte er keine weiteren Schritte mehr in Richtung Chalkedon. Zusammenfassend können wir festhalten: In religiösen Angelegenheiten zeichnete sich Anastasios’ Regime durch Wankelmütigkeit und ein völliges Fehlen konkreter Erfolge aus, seine Regierungszeit durch zunehmende Konflikte. Der Kaiser selbst war nun bereits Mitte achtzig, sein Regime war in politischer Hinsicht zum Stillstand gekommen, und bis ein neues Regime an die Macht kam, würde nichts Wesentliches mehr passieren. In diesem Zusammenhang leuchtet es durchaus ein, dass Anastasios keinen entscheidenden Einfluss auf die Thronfolge ausüben konnte. Bezeichnenderweise hielt man in den letzten Jahren des Kaisers, als man jeden Augenblick mit seinem Ableben rechnete, seine beiden prominentesten Neffen aktiv von der Hauptstadt fern. Pompeius saß als Kommandant in Thrakien, wo er ein Auge auf den exilierten Vitalian haben sollte, und Hypatius war als Oberbefehlshaber der östlichen Feldarmeen in Antiochia stationiert. Keiner von beiden hatte genug Anteil am Geschehen im Palast, um bei dem politischen Pferdehandel eine Rolle zu spielen, der dem Tod eines Kaisers, der keine direkten Erben hatte, zwangsläufig folgte.

      »Der purpurne Tod«

      In der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 518 entschlief der 87-jährige Anastasios. In den Jahren zuvor wird man beim Heer, bei Hofe und im Senat über eine schier endlose Zahl verschiedener Thronfolger diskutiert haben, gerade weil Anastasios vor seinem Tod die nötige Autorität fehlte, um seine Nachfolge selbst zu regeln. Eine Maxime des Altertums, die später vom Papsttum aufgegriffen wurde, besagte, dass nur jemand des höchsten Amtes würdig war, der dieses Amt gar nicht anstrebte. Da der Kaiser von Gott auserwählt wurde, hatte menschlicher Ehrgeiz in dieser Gleichung keinen Platz. Zudem stellte die enorme Verantwortung, die das Amt mit sich brachte, zumindest theoretisch eine solche Last dar, dass es gar nicht als sonderlich erstrebenswert galt – in diesem Sinne soll Kaiser Julian, als er bei seiner Ernennung zum Caesar neben seinem Cousin, dem Augustus Constantius II., auf dem kaiserlichen Wagen fuhr, den (leicht abgewandelten) homerischen Vers gemurmelt haben: »Der purpurne Tod und das übermächtige Schicksal haben Besitz von mir ergriffen.«19 Insofern legte Justinians Onkel am Morgen des 9. Juli, wie man sich erzählte, eine geradezu absurde Haltung an den Tag. Der Chef der Palasteunuchen, der praepositus sacri cubiculi Amantius, übergab ihm eine große Summe Bargeld, um die Palastwachen zu bestechen, damit sie Amantius’ Kandidaten unterstützten, doch stattdessen verwendete Justin das Geld für seine eigene Kandidatur. Wahrscheinlich ist diese Anekdote nicht mehr als skurriler Klatsch,20 aber auch die höher zu bewertenden Quellen lassen Justin kaum in einem besseren Licht dastehen: 518 war er komplett auf den Thron fixiert.

      Als bekannt wurde, dass Anastasios gestorben war, versammelte sich das Volk wieder im Hippodrom, und diesmal rief es, dass es einen Feldherrn als Kaiser wollte. Und rein zufällig war Justin Feldherr. Er stammte vom nördlichen Balkan, aus Bederiana in der Nähe von Naissus (dem heutigen Niš), und hatte sich beim Heer verpflichtet, um der Armut zu entfliehen. Justin ging zu den excubitores, einer der beiden Einheiten der Palastwächter (die andere waren die scholarii). Über seine spätere Karriere ist wenig bekannt, da unsere Quellen durchweg auf seinen weitaus bekannteren Neffen fixiert sind. Dennoch: Justin nahm während der Regierungszeit des Anastasios an allen wichtigen Feldzügen teil. Zur Zeit des Isaureraufstands in den 490er-Jahren war er ein ranghoher Feldarmeeoffizier (comes rei militaris, ein Rang unterhalb des magister militum). Er kämpfte im Perserkrieg von 503/504 mit und befand sich auf einem Schiff im Bosporus, als Vitalians Flotte ihre entscheidende Niederlage erlitt. Direkt danach wurde er zum comes excubitorum ernannt, zum Kommandanten der Palastwache, der er schon so lange angehörte. Im Rang war dieser Posten nicht so hoch angesiedelt wie Oberbefehlshaber einer Feldarmee, aber dennoch relativ weit oben und mit dem entscheidenden Vorteil, dass der comes excubitorum im Palast stationiert war – ganz nahe am Zentrum der Macht.21

      Somit war Justin während Anastasios’ letzter Lebensjahre genau am richtigen Ort, um bei den einflussreichsten Personen bei Hofe seine Machtansprüche anzumelden. Aber genau dieser Umstand lässt einen nun die Rufe der Menschenmenge im Hippodrom hinterfragen. Nachprüfen lässt sich das heute nicht mehr, aber wahrscheinlich wussten Justins Hintermänner ganz genau, wem sie etwas Bargeld in die Hand drücken mussten, damit die Menge diese doch erstaunlich passende Forderung skandierte. Und Justin war es auch, der den in den Palast gerufenen Senatoren und Würdenträgern offiziell verkündete, dass Anastasios verstorben war. Auch die Tatsache, dass diese herausragende Aufgabe ausgerechnet ihm zufiel, deutet darauf hin, dass er bei Hofe in allerhöchstem Ansehen stand. Doch selbst bis ins Detail ausgetüftelte Nachfolgepläne konnten immer noch eine überraschende Wendung nehmen.22

      Justin hatte beileibe nicht nur Freunde. Die andere Palastwächterabteilung, die scholarii, hätte viel lieber den einzigen anderen Feldherrn im direkten Umfeld des Palasts auf dem Thorn gesehen: Patricius, den Oberbefehlshaber der Praesentalis-Armee. An diesem Punkt hätte das Ganze leicht schiefgehen können, auch wenn der »loyale, aber geistig nicht allzu rege« Patricius den Job im Grunde gar nicht wollte, vor allem als die excubitores ihm mit dem Tod drohten, vermutlich weil sie ihren eigenen Kommandanten als Kaiser sehen wollten. Da schaltete sich Justinian ein und rettete Patricius das Leben, indem er ihn überredete, aus dem Wettlauf um den Thron auszusteigen; dieser Vorgang scheint den künftigen Kaiser allerdings düpiert zu haben. Inzwischen zog sich die ganze Angelegenheit bereits so lange hin, dass die Menschen unruhig wurden. In Sorge, dass das Volk am Ende noch einen eigenen Kandidaten ins Spiel brachte, stellten sich die Senatoren und Würdenträger schließlich einmütig hinter Justin, und nachdem die Palasteunuchen die kaiserlichen Insignien freigegeben hatten, betrat der Kaiser binnen weniger Minuten ordnungsgemäß gekleidet seine Loge und präsentierte sich seinem Volk. Es begrüßte ihn stürmisch. Allen Palastwächtern versprach er eine erhebliche Gehaltserhöhung.23

      Insgesamt gab es so viele bezeichnende Zufälle, dass Justins Inthronisierung nichts anderes als das Ergebnis sorgfältiger Planung gewesen sein kann. Zweifellos hatten andere Leute alternative Pläne (einige Hinweise zu Details traten nach seiner Wahl zutage), aber Justin hatte seine Position als Palastwächter eben von vornherein dazu benutzt, sich für den Thron in Stellung zu bringen, und in ausreichender Zahl Unterstützer hinter sich geschart, um an diesem entscheidenden Morgen im Palast alle anderen potenziellen Herausforderer ausstechen zu können – vielleicht hat er zusätzlich auch einen großen Teil der Menge bestochen, um sicherzustellen, dass auch tatsächlich genügend Leute nach einem Feldherrn schrien. Viele seiner Unterstützer werden in ihm, wie vor ihm in Anastasios, einen guten Kompromisskandidaten gesehen haben, der die Zügel der Macht nicht allzu fest in Händen halten würde. Er war keiner der Neffen von Anastasios, er hatte zuvor kein hohes Amt in der Verwaltung innegehabt, und auch er war über sechzig und kinderlos (allerdings hatte er zu diesem Zeitpunkt seinen Lieblingsneffen Justinian wohl bereits adoptiert). Doch wer in ihm lediglich einen harmlosen alten Mann sah, der sollte schon bald merken, dass er sich getäuscht hatte. Das neue Regime wusste Anastasios’ politische Fehlgriffe zu nutzen, um nach der Macht zu greifen – ohne Rücksicht auf Verluste.

      Oberste Priorität hatte zunächst einmal die Beseitigung jedes potenziellen Widerstands innerhalb des Palastes. Noch in derselben Woche verglichen wütende Kirchgänger in der Hagia